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Bad Waldsee legt Hand an, am Signet von Otl Aicher

Bad Waldsee Logo, Quelle: Stadtverwaltung Bad Waldsee
Bad Waldsee Logo, Quelle: Stadtverwaltung Bad Waldsee

Im baden-württembergischen Bad Waldsee hat man sich schon längere Zeit mit dem visuellen Erscheinungsbild der Stadt beschäftigt. Als Ergebnis eines mehrjährigen Markenprozesses wurde vor Kurzem der Webauftritt relauncht und das mittlerweile historische Stadtlogo modifiziert, welches Otl Aicher, Altmeister des Grafikdesigns und Wegbereiter des Corporate Designs, in den Jahren 1979/1980 entworfen hat.

Vor dem Hintergrund des stetigen Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft und einer zunehmenden Professionalisierung in Sachen Kommunikation beschäftigen sich längst nicht mehr nur große Metropolen und Städte mit Themen wie Markenkern, Image und dem visuellen Profil als Stadt(marke). Schließlich sind Zukunftsfähigkeit und die Attraktivität als Standort auch für kleinere Gemeinden und Kommunen von großer Bedeutung. In Bad Waldsee wurde bereits im Sommer 2018 ein entsprechender Markenprozess in Gang gesetzt. Erste Ergebnisse dieses Prozesses werden nun sichtbar, etwa der frisch relaunchte und in Kooperation mit der Agentur Hirsch & Wölfl realisierte Webauftritt.

Mit neuem Webauftritt hält auch ein weiterentwickeltes visuelles Erscheinungsbild Einzug. Die Stadtverwaltung folgt hierbei dem Motto, wie es in der offiziellen Pressemeldung heißt, „Bewährtes erhalten und Zukunft gestalten“. Erhalten bleibt nicht nur die blau-grüne Farbgebung, sondern auch das von Otl Aicher einst entwickelte „Wald und See“-Signet.

Ursprünglich bestand das Stadtlogo Bad Waldsees einzig aus jenem „Wald und See“-Signet. In ersten Druckschriften wurde der Bildmarke der Stadtname zur Seite gestellt, gesetzt in einer von Aichers Lieblingsschriften, der Helvetica. 1998 erfolgte ein Redesign. Bei der von einer ortsansässigen Werbeagentur durchgeführten Anpassung wurde die Bildmarke durch eine in Versalien angelegte Wortmarke „BAD WALDSEE“ samt Slogan „TUT GUT…“ ergänzt, gesetzt in der Schrift Optima.

Unter dem Einfluss fehlender Gestaltungsvorgaben sind im Laufe der Jahre Abbildungsvarianten entstanden, die sich in Bezug auf ihre Anmutung und Anordnung sowie hinsichtlich der Proportion von Wort- und Bildmarke stark unterscheiden. Einige Varianten lassen zudem deutliche Qualitätsdefizite erkennen. Die in der bisher verwendeten Wortmarke (Abb. unten) gezeigte Spationierung – „W ALDSEE“ – ist nicht nur gemessen an Aichers Gestaltungsanspruch unzureichend und fehlerbehaftet. Ein Redesign tat Bad Waldsee in diesem Fall also unbedingt gut.

Bad Waldsee Logo – vorher und nachher, Bildquelle: Stadtverwaltung Bad Waldsee, Bildmontage: dt
Bad Waldsee Logo – vorher und nachher, Bildquelle: Stadtverwaltung Bad Waldsee, Bildmontage: dt

Das neue Stadtlogo bildet eine stärkere, zugleich kompaktere Einheit aus Bildmarke und Wortmarke. Der nunmehr auf drei Zeilen umgebrochene Ortsname ist linksseitig der Bildmarke platziert, rechtsbündig ausgerichtet. Die über zwei Stockwerke reichende Bildmarke und die über drei Stockwerke angelegte Wortmarke bilden eine nahezu quadratische Form. Darüber platziert, Wort- und Bildmarke in einer Art visuellen Klammer verbindend, steht der Namenszusatz „GROßE KREISSTADT“. Wortmarke wie auch der Namenszusatz sind in der Rotis gesetzt, der von Otl Aicher 1988 geschaffenen, lange Zeit häufig verwendeten, später viel kritisierten Hybridschriftart. Weshalb die „Rotis eine Streitschrift“ ist, haben Christian Hartig und Ralph Burkhardt in ihrer gleichnamigen und vielbeachteten Diplomarbeit (Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd, 2006) herausgearbeitet.

In der Kreisstadt Bad Waldsee wird die Arbeit des berühmten Schöpfers also in mehrfacher Hinsicht gewürdigt und in Ehre gehalten. Ähnlich wie in Isny. Für die Gemeinde im Allgäu hatte das Büro Otl Aicher seinerzeit ebenfalls ein Stadtsignet samt dazugehöriger visueller Kommunikation entwickelt. Gerne hätte ich an dieser Stelle die für das visuelle Erscheinungsbild von Bad Waldsee verantwortliche Agentur genannt. Auf Anfrage teilte mir die Stadtverwaltung lediglich mit, dass der Relaunch / das Redesign mit „fachkundigen Mitarbeitern der Stadtverwaltung gemeinsam mit einer freien Agentur entwickelt wurde“. Den Unterlagen zum Markenprozess ist zu entnehmen, dass die Agentur Pink Pony (Stuttgart) den Zuschlag für die Entwicklung des Erscheinungsbildes erhielt.

Stadtlogos von berühmten Designern finden sich nicht nur in Bad Waldsee und Isny. Die für die südfranzösische Stadt Nîmes gebräuchliche Palme/Krokodil-Assoziation antiken Ursprungs wurde in den 1980er-Jahren von Designer und Architekt Philippe Starck neu interpretiert. Noch heute nutzt die Stadt das von Starck gezeichnete Signet als offiziellen Absender. Auch das heutige Stadtlogo Hamburgs mit rotem Stadttor und blauer Wellen-Linie wurde 1998 von einem namhaften Designer entworfen, nämlich von Peter Schmidt.

Dass ein Stadtlogo nicht dem Denkmalschutz unterliegt, stellte hingegen Berlin klar. Im Zuge der Umstellung auf eine „partizipative Markenstrategie“ entschied sich das Land Berlin im Sommer 2020 das Signet mit rotem Brandenburger Tor, in den 1990er-Jahren von Erik Spiekermann geschaffen, auszutauschen. Im Rahmen einer Werbekampagne wurde dem Brandenburger-Tor-Signet, welches ursprünglich für die Berliner Verwaltung entwickelt wurde, also für Behördenschriftverkehr konzipiert und gedacht war, das Wort „be“ vorangestellt. Wenig zur Freude Spiekermanns, wie er in einem Interview gegenüber der „taz“ verriet. Im Vergleich dazu geht die städtische Verwaltung in Bad Waldsee mit dem grafischen Erbe der Gemeinde gewissenhafter vor.

Noch eine Anmerkung zur Typo. In dem in Rotis gesetzten Namenszusatz „GROßE KREISSTADT“ sticht der Buchstabe „ß“ hervor, und zwar in negativer Weise. Die Strichstärke des „ß“ ist dünner als die der anderen Lettern, siehe Veranschaulichung. Das „ß“ fällt hierdurch, da es weniger Schwarzfläche in Anspruch nimmt, im Vergleich zu den anderen Lettern deutlich ab. Bei dem im Namenszusatz verwendeten „ß“ handelt es sich nicht etwa, wie es erforderlich wäre, um ein Versal-ß, sondern um ein gewöhnliches ß in Kleinschreibweise. Versalien und Kleinbuchstaben unterscheiden sich nicht nur in ihrer Form, sondern eben auch (vielfach) in Bezug auf ihre Strichstärke. Bei der Rotis ist der Stärkenunterschied zwischen Versalien-Stamm und Minuskeln-Stamm tatsächlich recht ausgeprägt.

Im Gegensatz zu vielen modernen Schriften besitzt die von Monotype herausgegebene Rotis keine Glyphe mit Versal-ß. Ein folgenreiches Defizit, könnte man sagen, wie das neue Bad-Waldsee-Logo verdeutlicht. Die kleine typographische „Unwucht“ hätte im Zuge der Gestaltung natürlich händisch ausglichen werden können. Gerade in diesem Fall wäre, wie ich meine, der damit verbundene Aufwand der Mühe Wert gewesen, galt Otl Aicher doch als akribischer, detailversessener Gestalter.

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Dieser Beitrag hat 51 Kommentare

  1. Das Versal-Eszett ist anscheinend noch nicht überall angekommen. Ich frage mich bei solchen Fällen immer, wie so ein Redesign vonstatten geht. Am neuen Design sowie der neuen Webseite, sind ja viele Grafikdesigner involviert, von denen ich erwarten würde, dass die meisten das Versaleszett kennen und ihnen das kleine ß hier genauso negativ ins Auge fällt. Wie kann es sein, dass im ganzen Prozess niemand ruft “Halt, das müssen wir ändern”. Wenn es mit der Rotis so mühsam ist, ließe sich ja bestimmt auch eine alternative Schrift finden, die genauso gut zur Bildmarke passt. Aber da das neue Logo ungefragt in das neue Webdesign eingebunden wurde, nehme ich mal an, dass es entweder niemandem aufgefallen ist oder sich niemand dafür verantwortlich gefühlt hat. Oder gibt es eine bessere Erklärung dafür?

    1. Der Gestaltungsprozess ist nicht geplant, sondern macht einfach mal los (als Auftraggeber und auch als Auftragnehmer), und lässt sich Teilergebnisse “absegnen”, bevor man dann weiter macht. Loops sind nicht vorgesehen, Reinzeichnungen am liebsten auch nicht.

      Vermutlich steht da erst mal eine der beiden duden-korrekten Schreibweisen: “GROSSE”. Das ist “abgesegnet”. Dann kommt von irgendwo später im Prozess plötzlich als Querschuss ein (ge)wichtiger Input: “Aber das schreibt man mit ß! Müsst ihr korrigieren!”. Was nun ein dickes Problem ist, denn alles ist schon mühsam abgesegnet, eine andere Schrift wäre also nochmal von vorn – der Projektmanager hat darauf überhaupt keine Lust oder Verständnis.

      Die “SS”-Schreibweise ist defacto tot, und die Schrift hat kein Versal-ß – und die Diskussion über die individuelle Gestaltung eines passenden Versal-ß (sofern bei den Grafikern Kompetenz für sowas vorhanden wäre) mit jemandem führen, der sich schon als mühsam geoutet hat, ist auch nichts, was man unbedingt tun will (vor allem nicht mehr der Projektmanager).

      Also nimmt man das, was die Schrift halt hat, denn das ist immerhin approved by Otl Aicher himself, und tut so als wäre das eine Lösung die schon von überall abgesegnet ist (Entscheidungsgremium, Querschießer, Otl). Alle glücklich, keine Reibung, visuelle Kleinkatastrophe perfekt.

      So oder so ähnlich haben wir das ständig in der Agentur … es ist oft schon ein interner Kampf, wenn die Grafiker “nachträglich nach Freigabe” noch eine saubere Logo-Reinzeichnung machen wollen. Ganz kompliziert wird es, wenn sie das Logo nochmal anpassen wollen, weil – schon wieder – das Logo solitär zu Beginn des Gestaltungsprozesses entworfen und gleich abgesegnet wurde, und sich im CD-Prozess dann zeigt, dass Anpassungen noch dringend angeraten sind damit das ein schlüssiges Gesamtbild ergibt und überhaupt praktikabel ist.

      1. Oh. Na, das gibt mir einen Eindruck. Als Laie konnte ich mir sowas nie erklären. Ich finde ein kleines ß inmitten von Versalien irgendwie so wie “Ja, das Fensterglas hat für unseren Mercedes nicht das richtige Format, aber es geht auf und zu, also gut.”

    2. Als jemand mit einer Dekade Unterrichtserfahrung an einer Design-Hochschule (in der Umbruchszeit zum Digital Native) kann ich nur den traurigen Bewusstseinsmangel bei den Studierenden, aber auch den Lehrkräften feststellen. Damals ließ das Fehlen von Normen einen Wildwuchs aufkommen, der ein Anything Goes als gestalterische Qualität verkaufte. Noch während meiner Lehrtätigkeit tauchten dann (bestimmt befeuert durch die Menüpunkte der gängigen Grafikprogramme, die einen Text in Versalien umwandeln) die ersten Grossplakate von Markenherstellern auf, bei denen sich mangels korrekter Glyphe ein kleines Esszet zwischen den Versalien tummelte.‘
      Und die nächste Generation von Gestaltern und Gestalterinnen hat sich anscheinend daran orientiert oder das Problem war ihr mangels darauf achtender Lehrkräfte überhaupt nicht bewusst.

      Interessanterweise galt das zu meiner Zeit sogar für Studentinnen und Studenten, die ein Esszett im Nachnamen führten. Auch die hatten, obwohl bereits ein Leben lang mit dem Problem konfrontiert und entschlossen, eine Karriere in der Gestaltung zu beginnen, oft keine Ahnung von der korrekten Behandlung des Problems.

  2. Gut und schön finde ich zunächst mal den typografischen Aufbau der Wortmarke. Den Namen dreizeilig zu setzen und so neben die Bildmarke zu stellen, ist die richtige Idee gewesen. Die »Stapelung« passt formal und inhaltlich zum Aufbau des Signets und erzählt es typografisch nach. Hierfür die Rotis zu verwenden gefällt mir auch, das passt in mehrerlei Hinsicht.

    Nicht gelungen ist meiner Ansicht nach die Platzierung der zusätzlichen Zeile darüber (war das notwendig?). Der wirklich grobe Patzer ist allerdings das fehlende Versal-Eszett. Das hätte man zeichnen müssen. Sowas erfordert Aufwand und Umsicht, aber alles andere ist doch eigentlich keine Option.

  3. Danke Achim, für den guten Beitrag!

    Ein ß in einem Versalsatz zu integrieren, war übrigens auch schon vor der Einführung des Versal-ẞ vor 15 Jahren falsch. Die Regel, die ich bereits in der Grundschule gelernt habe (und die im Zweifel auch im Duden nachgeschlagen werden kann – Regel D 160) lautet, dass man in solchen Fällen ein Doppel-S verwendet(e).

    Eine zusätzliche Unwucht, bei der ich ebenfalls nicht verstehe wie das passieren konnte, weil Designer-Grundwissen, ist das rechts herausstechende Wort „SEE“. Es ist lediglich mathematisch mit den darüberliegenden Zeilen bündig, jedoch leider nicht optisch. Einmal bemerkt kann ich beim Betrachten des Logos jetzt nicht mehr wo anders hinschauen.

    Um noch positive Worte zu finden: Schön, dass man sich für eine evolutionäre Überarbeitung entschieden hat. Das zeigt, dass man sich des Wertes des bestehenden Logos durchaus bewusst war.

  4. Wenn man kein Versal-ẞ im Font hat, sollte man zumindest im Logo, welches als feste Grafik abgelegt wird, manuell Hand ans kleine ß legen. Habe ich selbst schon machen müssen, oft genügt es schon, den Buchstaben etwas in die Breite zu ziehen und eben die Strichstärke mit den anderen Versalien abzugleichen. Das Bad Waldsee-Ergebnis ist ein Schlag aufs Auge.

    Davon abgesehen, finde ich es leider insgesamt nicht zeitgemäß. Ich denke, die Silbentrennung “Bad, Wald, See” war vor einigen Jahren mal schwer in Mode. Die Bildmarke aber beinahe unangetastet zu lassen, finde ich am Schlimmsten. Hätte man sie nicht aus den Haarlinien-Umrissen befreien können?

    Scheint fast so, als wäre der selbe “Künstler” wie beim alten Logo am Werk gewesen. “BAD W ALDSEE” und “T UT GUT…” war ja auch autsch! So kann man sich auch im Negativen treu bleiben.

  5. Über das Logo wurde schon alles gesagt, was visuell und handwerklich nicht gelungen ist. Ich finde aber die Anwendungen und Visuals auch alles andere als hervorragend.
    Die neue Website wirkt auf den ersten Eindruck auch ziemlich überladen. Bei den Quicklinks habe ich erst mal panisch das “x” zum Schließen gesucht, weil ich dachte, das sei das obligatorische Cookies Pop up … Das einzige Positive ist, dass es ein bisschen besser aussieht, als das alte Optima-Logo. Das war’s dann auch. Schade.

  6. Außer dass es deutlich kompakter ist, ist es jetzt deutlich schlechter. So hätten unsere Logos ausgeschaut, wenn sich unsere technische Reinzeichnungsabteilung daran versucht hätte. Oder wenn ein Maschinenbauchef Änderungen verlangt hätte. Die Eleganz ist komplett weg.

    Der Durchschuss ist zu eng, leider zu wenig Luft jetzt.
    Ich verstehe das neue Blau und das neue Grün nicht ganz.
    Das mit dem rechten E von SEE wurde bereits erwähnt.

  7. Trotz der berechtigten Kritik, ist es eine angemessene Anpassung, die insgesamt schöner und besser zu verwenden ist. Das hält für die nächsten 20 Jahre, bis dahin gibt es vielleicht ein großes ß im dann verwendeten Font.

  8. Wer ein Otl-Aicher-CI in Oberschwaben hat, der trennt sich davon nur schweren Herzens, denn Aicher gilt dort was, man hält ihn hoch, zu Recht, schließlich hatte er dort sein Atelier im zu Leutkirch gehörenden Weiler Rotis, dem Aichers Typo ihren Namen verdankt. Man ist stolz auf ihn. Aber die Designs, die er Städten verpasst hat, auch das von Isny, vermitteln mir zu wenig Lebensgefühl und Emotion. Ich fremdle mit seinen Städtedesigns. Sie wirken auf mich kalt wie Industriedesign. Als Bad Waldsee hätte ich das Aicher-Logo ganz über den Haufen geworfen und visuell von Grund auf neu angefangen. Es ist eine so schöne barocke Stadt.

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