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Wurstdesign: oder warum „Design“ einem nicht vollkommen Wurst sein sollte

Sprache und Design haben gemein, dass sie, vorausgesetzt der Ausdruck beziehungsweise die Form stimmen, Dinge größer und bedeutender erscheinen lassen können als sie tatsächlich sind. Das ist übrigens ein Grund, weshalb Politiker ein so komisches Deutsch sprechen, das immer weniger Menschen verstehen. Wer Lügen wohlklingend und formschön verpackt, der braucht sich nicht wundern, wenn Menschen sich abwenden.

Die politische Sprache ist gespickt mit bedeutungsvoll klingenden Wörtern, die nicht selten als Vehikel dafür dienen, inhaltliche Leere zu überdecken. Staatstragend wird wortreich vorgetragen, was in zwei kurzen, schlichten Sätze hätte gesagt werden können. Die Krönung sprachlicher Verschleierung wird alljährlich zum Unwort des Jahres gewählt. Mein ganz spezielles, zeitlich nicht limitiertes Unwort lautet „Wurstdesign“. Neben Unwörtern wie „Sozialtourismus“ und „Opfer-Abo“ wirkt es freilich, weil ihm rein gar nichts Menschenverachtendes anhaftet, harmlos, was nichts daran ändert, dass „Wurstdesign“ ähnlich konstruiert ist. Gleiches gilt für „Naildesign“ oder „Hairdesign“. Alle Begriffe beschreiben etwas, was es gar nicht gibt. Und wenn abertausende Treffer bei Google scheinbar Gegenteiliges bezeugen, ist dies nur (ein weiterer) Beleg dafür, wie kaputt das Internet ist.

Die Arbeitsagentur, ehemals Arbeitsamt (» Sprachlenkung durch den Staat), denkt sich allerlei Berufsnamen aus etwa Nageldesigner/in, was genauso lächerlich, weil aufgesetzt und aufgebläht klingt wie „Facility Manager“. Dass letztgenannter nur noch selten „Hausmeister“ heißt, liegt daran, dass immer mehr Unternehmen den Eindruck erwecken wollen, selbst „niedere Dienste“, wie etwa das Auf- und Abschließen von Türen, würden im Unternehmen von hochqualifizierten Mitarbeitern verrichtet. Excellence angefangen im Keller bis hinauf in die Chefetage. Wobei in vielen Fällen nicht einmal diese sich darüber bewusst ist, mit welch Wortungetümen und -hülsen ihr Unternehmen Corporate Branding betreibt.

Jeder möchte einen guten Eindruck machen, gerade auch im Corporate Design ist dieser von großer Bedeutung. Ebenso wie die Sprache, die seit der Antike eine maßgebliche Rolle in meinungsbildenden Prozessen spielt, kann auch Design Menschen beeinflussen, etwa in der Einschätzung hinsichtlich einer Marke, eines Unternehmens oder einer Institution. Oftmals es ist das visuelle Erscheinungsbild, das für den ersten und sprichwörtlich so entscheidenden Eindruck sorgt.

George Orwell hat die Mechanismen der Sprachlenkung in zahlreichen Essays beschrieben. Zweifellos lassen sich Menschen auch mit Design lenken, sei es vor dem Hintergrund einer diktatorischen Herrschaft, wie sie Orwell in „1984“ beschrieb und wie sie im Erscheinungsbild der Nationalsozialisten zum Ausdruck kommt, wie auch rein wirtschaftliche Interessen die erhoffte Einflussnahme begründen. Wir Konsumenten lassen uns gerne beim Kauf „beraten“ respektive beeinflussen, zuweilen auch einlullen. Wir lesen Bewertungen und Rezensionen, recherchieren nach Testergebnissen, schauen uns Werbespots und -anzeigen an oder wir lassen eben das Produkt für sich selbst sprechen. Das ist, was Produkt Design und Verpackungsdesign leisten muss. Es muss sich von anderen Produkten abheben und sich im Zweifel selbst verkaufen können. Allerlei Tricks, manche an der Grenze zur Legalität, lassen sich die Hersteller hierfür einfallen.

Wie in der Politik haben auch im Design Lügen kurze Beine. Unterscheidet sich die Darstellung etwa auf einer Verpackung signifikant vom Inhalt, wird man das Produkt kein zweites mal kaufen. Was dem Handel der Etikettenschwindel, ist dem politischen Betrieb der Wortbruch. Wortbruch, beziehungsweise dessen Aufdeckung, gilt es mit aller Macht zu vermeiden. Und ja, natürlich geht es um Macht, die Ausübung von Macht mit Hilfe der Sprache. Die Versprechen im Wahlkampf zur Europawahl werden so weich und unkonkret wie nur möglich verpackt. „Für ein Europa, in dem niemand untergeht“, heißt es etwa auf einem der Plakate. Sicher. Wer mag da widersprechen.

Auch in der Werbung wird gerne übertrieben, werden die positiven Aspekte überschwänglich hervorgehoben, während die negativen kaschiert werden. So lange es bei der Übertreibung bleibt, werden die Meisten wohl ein Auge zu drücken. Mit Werbeversprechen, wie „nichts wäscht so weiß“, haben wir über die Jahrzehnte gelernt umzugehen. Eine ähnliche Grundskepsis legen wir mittlerweile an den Tag, wenn Sportler oder Politiker auf kurzfristig anberaumten Presseterminen davon sprechen, ein reines Gewissen zu haben.

Greenwashing ist eine besonders perfide Form der Schönfärberei, bei der auch das visuelle Erscheinungsbild eines Unternehmens ein Versprechen abgibt, das es über seine Produkte oder Leistungen jedoch nicht einhalten kann. Anders allerdings als die Lüge eines Bundesministers dulden wir offenbar die Lüge, die in einem Design formuliert wird, denken wir als Beispiel an das grüngelbe, floral anmutende Logo von BP, das den Anschein erweckt, es repräsentiere ein Bio-Unternehmen. Auch nach der Ölpest im Golf von Mexiko verleiht der grüne Mantel des Designs dem Ölkonzern den Anschein des Ökologischen, des grünen Gewissens. Nur die Wenigsten allerdings scheinen sich explizit daran zu stören, entweder weil sie die Kluft zwischen Schein und Sein im Kontext von Kommunikationsdesign nicht erkennen oder aber, was nachdenklich stimmen sollte, weil sie nichts Störendes daran empfinden, wenn Unternehmen Etikettenschwindel in dieser Art und Weise betreiben.

Gerade Corporate Design verfolgt das Ziel, den Kern eines Unternehmens, einer Marke sichtbar zu machen, das Wesen einer Identität freizulegen. Es ist dies ein meist über viele Monate, nicht selten Jahre hinweg andauernder Prozess. Eben diese Prozesshaftigkeit ist es, die Design ausmacht. Wer „Design“ sagt, ohne dass der Kreation ein solcher Findungsprozess vorausgegangen ist, meint im Grunde „Gestaltung, vielleicht „Dekoration“, in vielen Fällen auch einfach nur „Styling“.

Nur weil eine Arbeit kreatives Handeln beinhaltet, ist sie nicht automatisch eine Designleistung oder eine künstlerische. Wer etwa seine Wohnung selbst gestaltet und einrichtet, beweist zwar Kreativität, ein Innenarchitekt ist er deshalb allerdings nicht. Wer leidenschaftlich Familie und Freunde bekocht, ist nicht automatisch Koch. Und wer Fingernägel ideenreich lackiert oder würzige Wurstprodukte kreiert, produziert sicherlich kein Design, egal welch verkaufsfördernde Bezeichnung er sich dafür hat einfallen lassen.

Wurstdesign
Wurstdesign-Lieferwagen, Foto: Schaffrinna

Nicht jede Gestaltung ist automatisch Design. „Gestaltung“ ist wertneutral. „Design“ hingegen impliziert Wertigkeit und Qualität. Ob einem das jeweilige Design gefällt, ob es funktioniert, ist allerdings ein anderer Punkt. Design ist essentieller Bestandteil der Wertschöpfungskette vieler Unternehmen, zumindest der erfolgreichen. GROHE, Festo und DEDON sind gute Beispiele €“ hier ist Design nicht „nice to have“, sondern Garant des Erfolges. Wenn BMW, Volvo und andere Markenhersteller mit dem Wort „Designed“ in ihren Anzeigen werben, dann machen sie dies aus dem gleichen Grund wie zum Beispiel eine hannoversche Metzgerei, deren Lieferwagen mit „Wurstdesign“ beklebt sind (siehe Abb. oben). Es soll jeweils der Eindruck vermittelt werden, die Produkte seien von besonderer Qualität, sie seien nicht nur produziert, sondern eben designt worden, womit auch die korrekte Schreibweise im Deutschen genannt wäre. Automobile unterliegen einem Designprozess, Fleischwaren, egal wie raffiniert die Rezeptur vielleicht sein mag, nicht.

Zugegeben, „Design“ ist, gleichfalls wie Form Follows Function, ein Wortschwamm, der alles in sich aufzunehmen vermag. Die meisten Menschen werden „Design“ mit etwas Schönem assoziieren, mit Ästhetik. Designer sind also gemeinhin die, die Dinge schön machen. Das wohl auch, aber so monothematisch, wie es in weiten Teilen der Gesellschaft wahrgenommen wird, ist Design mitnichten. Steve Wozniak beispielsweise, der Schöpfer des ersten Apple-Computers, verstand unter „board design“ beziehungsweise „hardware design“ etwas ganz anderes, nämlich die Entwicklung eines Computers. Ästhetik spielte hierbei, das wird mit einem Blick auf den fertigen Apple I deutlich, zunächst keine Rolle. Es ging darum, Hardware-Komponenten, Schaltkreise und Mikrochips so zu konzipieren und zu montieren, dass im Ergebnis ein möglichst erschwinglicher Personal-Computer entsteht. Wie man sich vorstellen kann, brauchte es hierfür mehr als einen Anlauf, bedurfte es eines Prozesses aus Versuch, Irrtum und Verbesserung. Genau das ist es, was Design ausmacht. Insofern beschreibt „designen“ auch sehr treffend, was der Digital-Freak Wozniak Mitte der Siebziger Jahre tat.

Programmierer sprechen beim Entwerfen einer Software von „Softwaredesign“, womit nicht die Oberfläche der Anwendung, das Interface, gemeint ist, sondern die Planung komplexer Regeln, die der Entwicklungsarbeit an einem Programm zugrunde liegen. „Softwaredesign“ beschreibt sehr gut den konzeptionellen Aspekt von Design. Ohne Konzept, kein Design. „Design“ ist sprachlich stark mit „planen“ konnotiert. Das lateinische Wort „designare“, von dem sich „Design“ ableitet, übersetzen wir mit „bezeichnen“, „ordnen“ und „planen“. Nicht zufällig sind Architekten wie Peter Behrens, Marcel Breuer oder Charles Eames, um nur einige zu nennen, auch Designer gewesen.

Auch Kreationisten, was wohlgemerkt nicht mit „Kreativen“ zu verwechseln ist, beherrschen die politische Sprache, indem sie Begriffe wie „intelligent Design“ besetzen. Die Sprache innerhalb von Religionen und Ideologien ist durchtränkt von beschönigenden, euphemistischen Ausdrücken. Es würde das Thema sprengen, darauf weiter einzugehen. Design jedenfalls orientiert sich am Menschen, nicht am Göttlichen.

„Designer“ ist, anders als beispielsweise „Arzt“ oder „Rechtsanwalt“, keine geschützte Berufsbezeichnung, was durchaus einige Designer beklagenswert empfinden, insbesondere diejenigen, die eine mehrjährige akademische Ausbildung absolviert haben. Es gibt kein Gesetz, das den Schutz der Bezeichnung regelt und keine Kammer, kein Berufsverband, die die Gesetzmäßigkeit kontrollieren, und so darf sich „Designer“ nennen, wer will. Neben „Nageldesigner“ wäre zum Beispiel auch das Führen der Berufsbezeichnung „Felddesigner“ (Landwirt), „Rohrdesigner“ (Klempner) oder „Außenfassadendesigner“ (Gebäudereiniger) vorstellbar. Klingt doch gleich viel wertiger, oder? Wer diese Begrifflichkeiten für absurd hält, dem sollten eigentlich auch bei „Hairdesign“ alle Haare zu Berge stehen.

Das Beispiel „Wurstdesign“ macht es einem aufgrund der ungewöhnlichen Wortkonstellation und dem offensichtlich fehlendem Bewusstsein um ästhetische Formgebung vergleichsweise einfach, die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu erkennen. Nicht immer ist es so einfach, Sprachverirrungen als solche auszumachen. Umso wichtiger ist das Benennen von Unwörtern.

Nun sind die dt-Leser gefordert. Sicherlich gibt es noch viele weitere Unwörter (Kontext Design/Gestaltung), die Zusammenhänge unzureichend wiedergeben, die beschönigen oder gar verschleiern. Das Stolpern über derlei Begrifflichkeiten ist ein guter Anlass, um sich damit zu beschäftigen, sich darüber im klaren zu werden, ob beispielsweise „Art Director“ eigentlich die treffende Bezeichnung dafür ist, was man macht. Also her mit den sprachlichen Stolpersteinen!

Dieser Beitrag hat 38 Kommentare

  1. Ist am Ende doch alles Wurst? Die W-Begrifflichkeit ist gerade am Puls der Zeit … und hoffentlich wird es nicht so überstrapaziert wie der Designbegriff. Die Bezeichnung Gebrauchsgrafiker hat wahrlich ihren Reiz, denn Designer ist ja heute quasi jeder. Ein frisches Beispiel von nebenan: https://www.designmadeingermany.de/2013/50923/ “Der Kunde […] darf […] selbst kreativ und zum Designer werden.” Das ist alltäglich und bestimmt nicht neu, persönlich finde ich es aber gerade auf Plattformen wie jener präsentiert, noch erschreckender!

  2. Ich finde deinen Begriff von Sprache ziemlich elitär. Sprache entsteht durch deren Benutzung und verändert sich demnach ständig. Sprachliche Begriffe unterliegen immer menschlichen Assoziationen. Daher darf den Begriff “Design” meiner Meinung nach jeder gern benutzen, wie er möchte.
    Genauso wäre es für mich vermessen zu sagen, dass man einen Stuhl per Gesetz nicht als Kleidungshalter verwenden darf.

    Für mich ist es keine Lösung, die freie Verwendung von Sprache repressiv zu behandeln. Ich kann mir außerdem nicht vorstellen, worin der große Vorteil für uns “Designer” liegen soll, wenn Nageldekorateure und ihre wurstigen Kollegen den Begriff “Design” nicht mehr als den ihren verwenden dürfen. Es hebt uns Akademiker durch unsere ohnehin schon vorhandenen Vorteile nur noch auf ein höheres Ross.

    Ich selbst bezeichne mich als UX/UI Designer. Gebucht werde ich von Kunden, die meine Arbeit schätzen. Und nicht, weil ich durch mein Studium den Anspruch erheben darf, neben meinem akademischen Titel auch noch eine Berufsbezeichnung exklusiv zu führen. Des weiteren würde es absolut nichts bringen, wenn “Designer” eine geschützte Berufsbezeichnung wäre, weil wir ohnehin durch die zunehmende Diversifizierung unsere Disziplin dazu gezwungen sind, genauer zu beschreiben, was wir da eigentlich designen – und wie wir es tun.

    Sprache den Menschen, die sie sprechen – und schreiben. Auf Wurstwagen oder sonstwo.
    Und wer sagt eigentlich, dass die Wurst nicht auch gründlich konzipiert und geplant wurde?

  3. Hm. Wenn “Designen“ – “Eben diese Prozesshaftigkeit ist“ “die es ausmacht“. Dann gibt es durchaus auch “Wurstdesigner“ oder meinetwegen auch “Naildesigner“. Bspw. die Herstellung einer guten Wurst brauch mehrere Prozesse die sich über “Jahre“ perfektionieren und benötigt ggfs. eigene Incredentien die die eine oder andere Wurst “einzigartig“ macht. Das gleiche kann man eventuell auch auf ganz andere Bereiche “umlegen“.
    Den Artikel fand ich sehr gut – meiner Meinung nach kritisiert er aber eher Beliebigkeit bzw. in der Meta-Ebene ggfs. das Fehlen von Leidenschaft.

  4. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass irgendjemand das Wort Wurstdesign ernst nehmen könnte. Mein erster Gedanke war: Respekt! Ein Metzger mit Humor, der genau die hier beschriebene Entwicklung aufs Korn nimmt und für seine Werbezwecke nutzt.

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