Wenn beim Anblick eines Autos bestimmte Assoziationen in uns ausgelöst werden, dann ist das in der Regel kein Zufall. Das Marketing-Spiel mit Emotionen – wohl nirgends lässt es sich so anschaulich dokumentieren wie im Automobildesign.
Warum wir kaufen, was wir kaufen – damit beschäftigen sich Wissenschaftler und Marketing-Experten gleichermaßen, und zwar schon seit Jahrzehnten. Neuromarketing basiert auf der Erkenntnis, dass Emotionen unsere Kaufentscheidungen beeinflussen, und zwar in erheblichem Maße. Nicht wenige Markenstrategen und Marketing-Experten sind davon überzeugt, dass Emotionen das zentrale Kaufargument sind, etwa wenn wir ein Paar Schuhe, ein Smartphone oder ein Auto kaufen.
Kauf = Selbstbestätigung
Wir wählen Objekte nach Eigenschaften, die wir auch für uns selbst in Anspruch nehmen. Das Prinzip folgt der inneren Logik: Ich kaufe, was ich bin. Teils bewusst, teils unbewusst kaufen wir Dinge, die uns in unserer Persönlichkeit bestätigen. Attribute wie kreativ, innovativ und leistungsfähig, wie sie gerne Computern, Tablets oder Smartphones von Herstellern zugesprochen werden, beziehen wir beim Kauf auf uns selbst, unabhängig davon, ob wir diese Eigenschaften selbst aufweisen. Das funktioniert verblüffend gut. Der Kauf derartiger Produkte macht uns deshalb so großes Vergnügen, weil wir uns auf diese Weise versichern, welch kreativer und leistungsfähiger Typ man doch sei. Bei diesem Prozess, so eine Erkenntnis aus dem Neuromarketing, kommt das Belohnungszentrum des Gehirns, der Nucleus accumbens, so richtig in Schwung. Das freut auch die Hersteller.
Die gesamte Strategie, angefangen bei der Produktentwicklung, der Positionierung, der Werbung bis hin zum Corporate Design, ist darauf ausgerichtet, den Kunden bei seinen Bedürfnissen abzuholen. Wer sportlich und dynamisch ist, oder sich dafür hält, wird sich kaum mit einem rein auf Zuverlässigkeit und Sicherheit ausgerichtetes Produkt zufrieden geben. Die Aufgabe von Automobildesignern ist es, für unterschiedliche Bedürfnisse entsprechende Angebote zu kreieren. Es gilt ein visuell ansprechendes Produkt zu schaffen, das den Kunden von der ersten Wahrnehmung bis hin zur endgültigen Kaufentscheidung in seinen Bann zieht.
Anatomie im Automobildesign
Wie stark automobiles Design und die (menschliche) Anatomie verwoben sind, lässt nicht nur an den zahlreichen „Auto-Look-alike“-Beispielen dieses Artikels ablesen, auch anhand der Sprache ist diese Verbindung offensichtlich, wie Bezeichnungen wie Body (Karosseriekörper), Schulter, Nasen und Augen verdeutlichen. Kia hat eine Tiger-Nase, der zweigeteilte Kühlergrill von BMW wird als Niere bezeichnet und Mercedes hat viele Jahre ein Vier-Augen-Design propagiert, womit das Konzept der Doppelscheinwerfer gemeint ist.
Scheinwerfer sind heutzutage weit mehr als nur Leuchten. Es gilt das Prinzip sehen und gesehen werden. Zwei spitz zulaufende Scheinwerfer wirken aggressiv und dynamisch, während zwei große, kugelrunde Scheinwerfer, dem Kindchenschema folgend, niedlich auf uns wirken. Der Form des Kühlergrills kommt eine besondere Bedeutung zu, da er in der Regel DAS identitätsstiftende Element eines Automobils ist. Über ihr Design sollen Fahrzeuge Souveränität, Dynamik, Sportlichkeit, Progressivität oder Temperament vermitteln und Emotionen in uns wecken.
Warum wir in Autos Gesichter sehen
Wenn wir glauben, in Autos Gesichter zu erkennen, liegt das an Zweierlei. Einerseits gibt die Konstruktion des Fahrzeugs die Anordnung der Scheinwerfer vor. Zwei parallel angeordnete kreisähnliche Scheinwerfer ähneln nun einmal einem Augenpaar. Eine horizontal darunter verlaufender Linie reicht bereits aus und das Gesicht ist in unserer Wahrnehmung komplett. Punkt, Punkt, Komma, Strich…. Diesen Effekt, in Objekten ein Gesicht zu erkennen, nennt man Pareidolie. Ein Ergebnis der menschlichen Evolution.
In früher Vorzeit, als die Kommunikation zwischen Menschen noch nicht sonderlich fortgeschritten gewesen ist, half uns diese Fähigkeit, die Mimik des Gegenübers zu deuten. Anhand mimischer Ausdrücke wie Stirnrunzeln, hochgezogenen Mundwinkeln oder weit aufgerissenen Augen lassen sich Emotionen und mögliche Reaktionen ablesen. Ohne einen solchen direkten Blickkontakt entgehen uns im Austausch mit Menschen wesentliche Informationen. Dass es bei der Kommunikation via Telefon, E-Mail, SMS oder WhatsApp oft zu Missverständnissen kommt, zuweilen trotz Verwendung von Emoticons, ist also wenig überraschend.
Darüber hinaus war das Erkennen von Gesichtern für den Menschen, mehr noch für dessen Vorfahren, überlebenswichtig. Diese waren bekanntermaßen nicht nur Jäger, sondern selbst Gejagte, die beim Durchstreifen unwegsamen Terrains damit rechnen mussten, selbst angegriffen zu werden. Das ständige Ausschauhalten nach bekannten Formen und Mustern ist also tief in der Entwicklung des Menschen verankert. Dank dieser Fähigkeit zur Mustererkennung, wie sie bereits Vorzeitmenschen besaßen, glauben wir im Frontdesign von Autos Gesichter zu erkennen.
Gesichter von Autos und ihre “Doppelgänger”
Auch wenn die Ähnlichkeit der nachfolgenden Automodelle mit ihren „Doppelgängern“ aus Film und Fernsehen von den verantwortlichen Autodesignern in den seltesten Fällen beabsichtigt gewesen ist – das Nachahmen bestimmter menschlicher Mimiken ist hingegen in aller Regel intendiert. Denn schließlich möchten die Autohersteller die Käufer emotional ansprechen. Autos können sympathisch/freundlich oder aggressiv/bedrohlich wirken. Bestimmte Fahrzeuge tragen maskuline Züge, andere feminine. Manche Autos wirken ernst, andere hingegen lustig, je nach Positionierung des Modells.
Von Hundehaltern ist bekannt, dass diese ihren Vierbeinern oftmals verblüffend ähnlich sehen. „Es scheint, dass Menschen ein Geschöpf wollen, das so ist wie sie“, hatten vor einigen Jahren die Psychologen Nicholas Christenfeld und Michael M. Roy von der University of California in San Diego im Rahmen ihrer Studie festgestellt. Wir wählen also Dinge, Objekte ja sogar Tiere, die uns in unserer Persönlichkeit bestätigen. Das Leben – ein einziger Ego-Trip. Um die Probe aufs Exempel zu machen, einfach mal dem eigenen Auto ganz tief in die Augen schauen! Dann erkennen wir, dass ein bisschen von uns auch in dem Fahrzeug steckt.
Danke für diesen großartigen Artikel + Galerie!
Spätestens beim “Fiat 500 – Errol Flynn”-Vergleich hat’s mich komplett zerrissen! :’)
Herrlicher Vergleich mit dem Koalabären!
Ich finde ja, der Fiat Multipla sieht Sid aus “Ice Age” sehr ähnlich.
Mir faellt auf, dass es selten freundliche Gesichter sind. Viele sind kriegerisch, grimmig. Ein Aequivalent zu den stressigen Zuständen auf den Straßen?
Definitiv!
In der Tat denke ich, dass viele Autos nach ihrem Effekt im Rückspiegel designt und gekauft werden.
Ich möchte ergänzen, dass es bei dem Erwerb von Produkten neben der beschriebenen Emotionalität auch immer den Blick auf den Pragmatismus gibt (ist es zweckdienlich, beinhaltet es die benötigten Funktionen?) und die Frage nach der Erwerbbarkeit (Angebot, Kosten?). Denn vieles, was man sich anschafft (auch Hunde), sind in in ihrer ursprünglichen Idee Gebrauchsgegenstände, die eine Aufgabe erfüllen und finanzierbar sein sollen. Das Emotionale sehe ich bei der Kaufentscheidung erst hinter diesen Gedanken, wenn man Kompromisse machen muss oder zwischen mehreren gleich guten Angeboten steht.
Gefährlich sehe ich die Entwicklung, dass wir zunehmend Bedürfnis nach Dingen entwickeln, für die eigentlich kein Bedarf besteht. Wenn die Märkte des täglichen Bedarf längst übersättigt sind, es aber trotzdem neue Märkte geben muss (wie war das mal hier im dt mit der Oberklasse-Milch aus der edlen Dose?). Da dürfte das Emotionale und das Ich-bin-was-ich-habe eine deutlich höhere Bedeutung – die einzige Bedeutung – einnehmen.
Abgesehen davon finde ich es nicht verkehrt, bei Produktdesign und Vermarktung mit dieser Emotionalität zu kommen, solange es den Gebrauch stützt und nicht behindert (man denke an überzüchtete Sportwagen, die man weder ausfahren noch sich annehmbar reinsetzen kann). Und urtümlich menschlich dürfte dies auch sein – Schmuck, Kleidung, Kriegsbemalung sollte doch auch schon seit ältester Zeit die Person als solche unterstreichen.
Auf jeden Fall ein sehr interessanter Einblick in die Psychologie!
Wer weitere Vergleichsbilder erstellen möchte findet hier eine umfassende Bibliothek an Fahrzeug-Fronten:
https://cargocollective.com/faceofcars
Ich fahre einen neueren Ford Focus und bin gerade in sein “Gesicht” total verliebt :) Die freche Schnauze beim Ford finde ich zur Zeit von allen Marken die schönste.
Ein interessanter Artikel. Erinnert mich auch stark an die Vergleiche zur Anatomie (Wesen) von Hundehaltern und Haustier. Ein Zusammenhang ist nicht von der Hand zu weisen.
Was Autos angeht würde ich aber noch das Wunschdenken mit einbeziehen, wobei das Wunschdenken (Statur, Kraft) im weitesten Sinne natürlich ebenfalls zur Persönlichkeit gehört. (Siehe der Hämpfling mit dem fetten Jeep usw.)
Ansonsten sehr anschaulich rüber gebracht das Thema. Werde mir das mal Bookmarken.
Sehr amüsanter und toller Beitrag mit super Beispielbildern. Ich erwische mich auch immer wieder selbst dabei, dass wenn mir Produkte vom Aussehen her Sympathie vermitteln sie auch eher gekauft werden. Bei Autos sehe ich auch häufig Gesichter und assoziiere diese mit mir bekannten Personen. Letztens erst sagte ich zu meinem Lebensgefährten bei einer Autofahrt “Oh, schau mal der Wagen sieht aus wie ein Stormtrooper!” :D Gerne mehr von solchen Beiträgen! Einen schönen Wochenstart wünsche ich.
Ich war immer fasziniert von Transportation Design, schon als Schüler vor über 20 Jahren waren meine Schulhefte voll von Musclecars, Supersportwagen (und allerhand Grimassen). Dieser Avenger-Look war wohl auch in vielen meiner Entwürfe enthalten – obwohl ich diese damals gar nicht kannte.
Heute verteufele ich diesen Stil und hoffte, das sich die Designsprache wieder der Eleganz früherer Jahrzehnte näherte, anstatt die steigenden Aggressionen im Strassenverkehr mit ihrer Brutalästhetik noch zu befeuern. Manchmal habe ich die Vermutung, dass die modernen Designer dieser Jugendphase nie entwachsen sind.
Natürlich sollte jeder Kunde selber wählen können, jedoch sind besonders Männer nicht in der Lage, beim Autokauf ein Mindestmaß an Objektivität zu bewahren, da die Werbung ihnen das ultimative Mittel zum Sieg in der Schlacht verspricht, und das auch noch mit Massagesitzen. Dass der deutsche Durchschnitts-Müller wenig Stil besitzt, erkennt man am besten auf einem durchschnittlichen Parkplatz einer durchschnittlichen Stadt vorm Supermarkt. Da ist der Kontrast zwischen Körperbau/Kleidung und fahrbarem Untersatz geadezu grotesk.
Wenn (bevor der Einwand kommt) der Markt alles regelt, dann stehen in 10 Jahren nur noch “dynamische” 500 PS-SUVs mit sportlichen 21 Zoll Niederquerschnittsreifen (“welche IHRE individuelle sportliche Natur unterstreichen”) vorm Mc-Drive, in denen adipöse Männer sitzen, die sich die Ware vor Scham ob ihres aus den Fugen geratenen Körpers durchs Seitenfenster geben lassen.
Das Auto als Statussymbol funktioniert in der Peripherie oder bildungsfernen Kreisen wohl noch eine Weile, im modernen urbanen Raum hingegegen wird es mehr und mehr (vor allem von der Jugend) als Belastung awahrgenommen, als jämmerlicher Potenzersatz verschrien oder bestenfalls ignoriert.
Bleibt die Frage, ob die deutschen Hersteller dies erkannt haben, Ob sie die Kuh nur noch melken (mit billigen “Innovationen” á la Klappenauspuff, Led-Lichtspiele, 600PS etc.), jedoch im Hinterzimmer an ernsthaften Alternativen feilen. Auf jeden Fall werden viele Arbeitsplätze verloren gehen, dadurch wird auch die Macht und (politische) Bedeutung der Autokonzerne schrumpfen.
Interessant, dass Sie ansprechen, dass besonders Männer nicht in der Lage sind, beim Autokauf ein Mindestmaß an Objektivität zu bewahren. Ich glaube das betrifft jeden, vielleicht nicht gleich, aber freisprechen können sich davon sicher nur die wenigsten.
Wie viele Frauen finden den Mini oder den Fiat500 “süß” oder haben diese wegen der schöneren Farben, in denen diese Fahrzeuge erhältlich sind, präferiert? Nicht umsonst haben die meisten Automobilhersteller die Möglichkeiten zur Individualisierung in den letzten Jahren extrem ausgeweitet.
Autos, die allgemein als eher hässlich wahrgenommen wurden, fanden hingegen geringeren Absatz.
Man kauft nicht nur rational ein technisches Etwas, sondern gleichzeitig auch ein Lebensgefühl, ein Statussymbol (auch wenn Dacia das ändern möchte) oder ein Modeaccessoire (evtl. sogar ein It-piece). Also schämen Sie sich nicht für die Männerwelt, es geht uns allen so :-)
Und das ist auch gut so, denn die Kreation dieser emotionalen Komponenten beschäftigt zahlreiche hervorragende Produktdesigner und Marketeers.
Daimlers Leitthema “sinnliche Klarheit” aus 2015 zeigt das m.E. sehr schön.
Und seien wir ehrlich: Schönes Design macht auch einfach Spaß und den Alltag etwas schöner!
Es ist ja nicht nur bei Fahrzeugen so. Die MAC-Produkte im Bereich Lifestyle wurden auf einmal wieder interessant, als sie bunt wurden und immer wieder andere Farben rausbrachten, (Stichwort “Roségold”) und auch jeder, der einen SMEG-Kühlschrank in seiner Wohnung beheimatet, fand diesen wohl primär einfach schöner als die weißen Alternativen.
Und wenn Else aus Castrop-Rauxel sich ein bisschen besser fühlt, wenn sie sich den Chanel-Lippenstift kauft, der sie angeblich alles schaffen lässt, sei ihr das ebenso gegönnt wie Bernd aus Bielefeld, der sich mit seinem “City-SUV” wie ein junger sportlich-eleganter Gott fühlt.
[…] was ich bin. Oder was ich sein möchte. Design spielt dabei eine entscheidende Rolle, sei es im Automobildesign, im Kommunikationsdesign, im Verpackungs- und Produktdesign, im Industriedesign oder im Modedesign. […]
[…] GESCHMUNZELT: über Autos und ihre Gesichter […]