Die Nachrichtensendungen des Österreichischen Rundfunks (ORF), Zeit im Bild (ZIB), werden seit wenigen Tagen aus einem neuen Fernsehstudio gesendet. Die Inbetriebnahme des multimedialen Newsrooms wurde zum Anlass genommen, auch das Design zu modifizieren.
Nach 21 Jahren erhalten die ORF-Nachrichtensendungen ein technisch modernisiertes Studio. Das 207 Quadratmeter große Studio verfügt über drei Videowände mit insgesamt mehr als 60 Quadratmeter Fläche und einer Länge von 27 Metern. Alle Videowände können mit bis zu fünf Kameras – vier bodengebundene und eine Schienenkamera – in Szene gesetzt werden, so der ORF anlässlich der Inbetriebnahme. Mit dem neuen Studio werde alles noch effizienter. Komplexe Inhalte könnten zudem noch anschaulicher vermitteln werden.
Parallel zum großen TV-Studio gibt es für Nachrichtenkurzformate wie ZIB Flash und Breaking News einen Produktionsarbeitsplatz in der Bürofläche des multimedialen Newsroom. Eine einzige Redakteurin bzw. ein einzelner Redakteur kann laut ORF dort mit Hilfe eines Technikers Nachrichtenformate herstellen. Das alte Studio, aus dem seit 2002 die ZIB-Sendungen ausgestrahlt wurden, wird fortan als multimediales Sportstudio weitergenutzt.
Das Design des Studios wurde evolutionär weiterentwickelt. Der Moderationstisch, bislang winkel-förmig und in den Farben Silber/Weiß gehalten, ist nun oval und anthrazitfarbenen/hellgrau. Die Tischkante ist mit einer umlaufenden roten Leiste ausgestattet, der Hausfarbe des ORF. Der Studioboden ist weiterhin matt dunkelgrau, allerdings nun mit dezenter Holzoptik versehen.
Nicht nur die Technik und das Studiodesign wurde erneuert, auch alle Einblendungen und Grafiken erhalten ein Redesign. Die Gestaltung ist fortan schlichter. Farbverläufe sowie Schattenwurf als Stilmittel werden dezenter eingesetzt.
Kommentar
Mit gefällt die iluminierte rote Leiste. Die im Moderationstisch eingefasste „Signature Line“ wirkt sehr edel, und sie macht auf subtile Weise die Zugehörigkeit zur Dachmarke ORF kenntlich. Schön zu sehen: Farbe kann ungemein wirksam sein, sofern reduziert und akzentuiert eingesetzt! Im Studio eines US-amerkanischen Nachrichtensenders ginge die schmale Leiste wohl unter. Hier jedoch, eingebunden in das blau-monochrome Farbschema des Studios, kann sie ihre Wirkung entfalten.
Interessante Parallele: Die Begeisterung der Menschen für Technik hat schon immer im Design, in der Architektur und in der Kunst Spuren hinterlassen. Rippenheizkörper, die mit Beginn des 20. Jahrhunderts Einzug hielten, wurden von den Baushaus-Künstlern, in dem sie diese weit oben an der Wand platzieren ließen, gleich einer Installalation zur Schau gestellt. Kettenzüge an Fenstern zur mechanischen Öffnung wurden im Bauhaus nicht versteckt, sondern diese wurden so montiert, dass die damit verbundene Mechanik für alle sichtbar ist, nackt und freigelegt. Mit dem Einzug von Kamerarobotik in Fernsehstudios findet einmal mehr die Technikbegeisterung einen Ausdruck im Design. Futuristisch anmutende Moderationstische lassen Moderatoren wie dieser Welt entrückt erscheinen.
Damals wie heute gerät etwas Entscheidendes zuweilen in den Hintergrund: der Mensch. Denn wer mag schon, um das Thermostat eines Heizkörpers bedienen zu können, erst eine Leiter aufstellen, womöglich diese zuvor noch aus dem Keller holen. Das Bauhaus-Design war revolutionär, visonär, zukunftsweisend und in vielfacher Hinsicht ein wichtiger und ungemein inspirierender Bruch mit Konventionen – nur „User-centered“, an den tatsächlichen Bedürfnissen des Menschen ausgerichtet, war das konstruktivistische Design seinerzeit nicht bzw. nur bedingt (Wiege von Peter Keler, Sessel von Marcel Breuer, Teekanne von Marianne Brandt, u.v.a.).
Auch monströse Tische mit eingebauter „Dialogrutsche“, wie seinerzeit beim ZDF, mehr Raumschiff denn Arbeitsplatz, sind meiner Ansicht nach weitestgehend am Menschen (Zuschauer wie Moderatoren) vorbei gestaltete Fetisch-Objekte. Ihr futuristisches Äußeres dient weniger der Übermittlung von Informationen über Sachverhalte im Rahmen der Berichterstattung als vielmehr in erster Linie der Markeninszenierung; ihre Form folgt vor allem dieser einen Funktion. Kurzfristig lässt sich auf diese Weise Image fördern: die Marke unterstreicht so ihre Affinität und mutmaßliche Kompetenz hinsichtlich neuer Technologien. Auf lange Sicht zahlt sich eine solche Inszenierung nur bedingt aus, zumal die Welt der Nachrichten schnelllebig ist. 2021 wurde besagter ZDF-Tisch wieder aussortiert. Seitdem zoomen Kameras in Mainz wieder näher an die ZDF-Moderatoren heran, werden diese wieder nahbarer in Szene gesetzt. Denn Nähe ist in diesem Kontext wesentlich, will man als Sender/Nachrichtensendung als verlässlich und vertrauensvoll angesehen werden.
Bleibt dem ORF-Team zu wünschen, dass es im neuen, feschen Studio trotz Technikbegeisterung nicht die Zuschauer aus dem Blick verliert. #Bodenhaftung
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Hey Achim,
Da hat sich ein kleiner Schreibfehler eingeschlichen: ;)
»(…)dass die damit verbundene Mechanik für alle sichtbar ist, nack und freigelegt.«
An dieser Stelle mal vielen Dank für die hervorragende Arbeit.
Danke für den Hinweis. Ist korrigiert!
Monströse Tische haben spätestens seit Putin ihre Unschuld verloren.
Ist für mich sehr befremdlich, das ich jetzt immer zu den Nachrichten die deutsche Kriegsflagge sehe.
Das müssten Sie bitte präzisieren. In welcher Form wird wo die Reichskriegsflagge gezeigt, zitiert oder angedeutet?