Form Follows Function im Webdesign
Spannen wir nun den Bogen vom ausklingenden 19. Jahrhundert hin zu den Anfängen des World Wide Webs, so kann man feststellen, dass weniger die ursprüngliche Deutung von FFF, für die Louis Sullivan einstand, bei der Entwicklung von Internetseiten eine Rolle spielt(e), als vielmehr die von den Bauhäuslern und anderen Funktionalisten verkörperte Auffassung, nach der simple Formen die Funktion eines Gebäudes oder eines Gegenstandes unterstützten, weshalb diese zu bevorzugen seien. Eine Einstellung, die auch der führende Experte in Sachen Web-Usability Jakob Nielsen vertrat. „Simplicity“, die Einfachheit der Dinge, spielt in seiner Arbeit eine entscheidende Rolle.
Allzu gerne verweisen andere Autoren und auch Webgestalter auf die Expertise Nielsens, allerdings verschwimmen hierbei nicht selten unterschiedliche Gestaltungsprinzipien. Während FFF ursprünglich die Verzierung und die Ornamentik ausdrücklich vorsah, widersprach sie der von Nielsen propagierten „Less is more“-Sichtweise. Dazu muss man wissen, dass Nielsen ein ausgewiesener Fachmann in Sachen Software-Gebrauchstauglichkeit und in Bezug auf die Mensch-Computer-Interaktion ist, allerdings weniger ein Designexperte, der sich mit der Ästhetik beschäftigt und die Sinnlichkeit von Gegenständen bzw. Anwendungen thematisiert.
Nielsen ist Funktionalist – ein Software-Engineer, der sich dem Prinzip verschrieben hat, dass Informationen möglichst leicht und schnell vom Nutzer anzusteuern seien müssen, was tatsächlich eines der wichtigsten Anforderungen an modernes Webdesign darstellt. Diese Anforderung ist allerdings bei weitem nicht die einzige. Menschen wollen etwas Praktisches, das zugleich ästhetischen Ansprüchen gerecht wird. Nielsen sieht im Internet eine riesige Datenbank, die es gilt, zugänglich zu machen. Das Internet ist jedoch heute, anders als in der Zeit, in der Nielsens Prinzipien entstanden, ein Ort der Information, der Kommunikation und Interaktion, eine rund um die Uhr geöffnete und grenzenlose Einkaufswelt und natürlich ist das Netz auch Ort der Unterhaltung. Ein Erlebnisraum, in dem nicht nur Wissensdurst, sondern auch Unterhaltungslust gestillt werden möchten. Nielsen sieht in Grafiken und Bildern vorrangig Barrieren, die man als Informationssuchender überspringen muss. Tatsächlich können sie jedoch, richtig angewandt, erheblich zur Verbesserung der Orientierung beitragen, denken wir an Informationsleitsysteme. Ein Bild sagt sprichwörtlich mehr als 1.000 Worte und genau deshalb merken wir uns Bilder viel leichter als Texte. Nielsens Ansatz springt hier, meiner Ansicht nach, zu kurz.
„Ohne die Form,
wäre die Funktion nur halb so beliebt.“
Nach wie vor scheint es zahlreiche „Hardcore-Usability-Anhänger“ zu geben, die am liebsten jede Website einspaltig, mit blauen Links und grauem Fond ausgestattet sehen, so wie es bis Mitte der Neunziger weit verbreitet war und wie es Jakob Nielsen auch heute noch praktiziert – Nielsens Website ist seit gut 15 Jahren visuell unverändert. Mit FFF hat dies jedoch nur bedingt etwas zu tun. Das Web entwickelt sich weiter und mit ihm seine Nutzer. Was nicht heißt, dass Konventionen keine Rolle spielen – dass tun sie sehr wohl –, allerdings definiert sich gutes Webdesign nicht nur über die Werte Usability und Utility (Nutzen), sondern gleichermaßen über den „Look & Feel“. Einfachheit und ansprechendes Design sind kein Widerspruch. Wolken als Schmuckgrafik und ein Vögelchen als Logo wären prinzipiell beim Versand von Kurznachrichten via Twitter abkömmlich. Und dennoch sind sie als funktionsbereichernde Komponenten eminent wichtig, weil sie ganz einfach dazu beitragen, dass Twitter gerne genutzt wird.
Ohne die Form, wäre die Funktion nur halb so beliebt. Das Design stimuliert die Sinne und sorgt dafür, dass die Funktion, etwa wie bei Twitter, von vielen Millionen Menschen überaus geschätzt wird, wenn nicht gar geliebt. Ausnahmen, wie etwa die Anzeigenseiten Craiglist, bestätigen dabei die Regel. Anders als die Funtionalisten Loos und Gropius hatte Max Bill die Notwendigkeit einer zugleich praktischen wie auch schönen Form erkannt. Markenkult beruht neben einigen anderen Faktoren(Irrationalität, Status, u.a) auf dieser Korrelation. Erst die konsequente Verbindung von Ästhetik und Funktion begründet den Erfolg von Marken wie Apple, Levi–â„¢s, Vitra oder auch Rolex.
FFF ist heutzutage vor allem eines, ein Wortschwamm, mit dem man Jeden vortrefflich einseifen kann. Dabei kommt dieser Phrase zu nutze, dass es das Englische hierzulande, gerade in der Kreativbranche, sehr einfach hat, was freilich der Kommunikation nicht immer förderlich ist. Ich denke, es ist an der Zeit „Form Follows Function“ neu zu interpretieren, zumindest, wenn man entschieden hat, sich an diesem Gestaltungsleitsatz zu orientieren. Wofür steht FFF heute? Meiner Meinung nach ist FFF ungleich unverbindlicher und offener zu interpretieren, als es etwa seinerzeit führende Bauhäusler taten. Weniger ist tatsächlich in ganz vielen Fällen mehr, allerdings geht es hierbei nicht um eine Art genereller Formaskese, die man sich als Gestalter auferlegt, sondern darum, aus den gegebenen Umständen die richtigen Schlüsse zu ziehen und eine adäquate Designlösung zu liefern. Eben das unterscheidet Design von der Kunst, die zunächst einmal frei von Konventionen und Vorgaben ist.
Form und Funktion orientieren sich am Menschen und seinen Bedürfnissen. Natürlich spielen hier heutzutage ökonomische wie auch ökologische Aspekte mit hinein, die ihren Ausdruck in „Grünem Design“ finden, in dem der verantwortungsvolle Umgang mit den Ressourcen unser Erde praktiziert wird. Form und Funktion sollten idealerweise Hand in Hand greifen. Die Form ordnet sich nicht der Funktion unter, sondern sie unterstützt diese in symbiotischer Weise bei dem Vorhaben, eine bestmögliche Lösung zu schaffen. Gerade im Interfacedesign ist es sinnvoll, wenn sich sowohl die Funktion wie auch die Form an den Bedürfnissen des Menschen ausrichten. Die Form leitet sich dabei aus gewissen Konventionen ab, die das Corporate Design einer Marke oder eines Unternehmens vorgibt. Nicht nur „content is king“, viel mehr ist entscheidend, wie der Inhalt aufbereitet und für den Nutzer zugänglich gemacht wurde und welchen Gesamteindruck letztendlich das Dargebotene hinterlässt. Gutes Webdesign, bei dem Inhalt, Form und Funktion auf einander abgestimmt sind, führt den Nutzer und verführt ihn zum Verweilen. Soweit mein Versuch, FFF einzuordnen, zu interpretieren und in unsere Zeit zu überführen.