Skip to content

Werbung versus Realität

Produktfotografie und Realitaet

In der Lebensmittelbranche setzen fast alle Hersteller und Supermarktketten auf die Sogwirkung des Begriffs “bio”. Noch nie waren die Produkte von Öko-Bauern so begehrt wie aktuell. Fotografen, die Lebensmittel professionell ablichten, wissen aber ganz genau: Künstlichkeit ist besser und schöner, als die Natur. Um gute Produktfotos oder TV-Spots zu erstellen wird aus Schokolade schon einmal ein zäh fließender brauner Lack. Appetitlich ist das nicht. Sieht aber gut aus.

Der in Berlin lebende Journalist und Autor Samuel Mueller wollte wissen, ob die Produkte aus dem Supermarkt tatsächlich so aussehen, wie es uns die Werbung und die Abbildungen auf den Verpackungen suggerieren. Er fotografierte 100 Lebensmittel unter “normalen” unverfälschten Bedingungen und stellt sie den professionellen Produktfotografien bzw. den Abbildungen der Verpackungen gegenüber.

Produktfotografie und Realitaet

Mehrheitlich liegen zwischen professionellem Produktfoto und dem Schnappschuss Welten. Interessant wäre einmal die Frage, ob weniger Milchreisbecher verkauft würden, wenn das Foto auf dem Deckel näher an der Realität läge. Milchreis schaut in der Regel nicht flockig und luftig aus, sondern überzeugt eher durch eine matschige Konsistenz. Das wissen wir, wir sind ja nicht blöd. Sobald der Löffel eintaucht, scheinen bei uns jedoch die optischen Sinne auszusetzen. Wichtig ist dann nur noch, dass es schmeckt, nicht wie es aussieht und schon gar nicht wie es aussah. Die “visuelle Lüge”, die uns zum Kauf verleitet hatte, wird offenbar komplett ausgeblendet. Das muss auch so sein, denn sonst würden 99% aller Produkte aufgrund des nicht eingehaltenen Versprechens, denn als solches tritt das Produktfoto auf der Verpackung auf, in der Mülltonne und nicht im Magen landen.

Produktfotografie und Realitaet

Oder vielleicht ist gar so, dass unser Unterbewusstsein in dem Moment, in dem wir das Produkt verzehren, das Bild auf der Verpackung abruft, um die Illusion erst perfekt zu machen? Schließlich haben wir aktiv eine Kaufentscheidung getroffen, welche in erster Linie ja positiv bestätigt werden möchte. Andernfalls würden wir uns eingestehen müssen einen Fehlkauf getätigt zu haben. Und das geht nun wirklich nicht! Demnach ließe sich die folgende These aufstellen: Wir essen, was wir sahen, nicht was wir sehen. Sehr poetisch das Ganze.

Wie dem auch sei. Ich glaube wir lassen uns als Konsumenten einfach unglaublich gerne verführen und nehmen dabei auch gerne einmal eine Notlüge in Kauf. Wo wir wieder einmal beim Thema Liebe wären.

via atomtigerblog

Dieser Beitrag hat 53 Kommentare

  1. Der Kunde entscheidet sich zu fast 95% am POS über ein Produkt, das er kaufen möchte. Da spielen Emotionen eine große Rolle, was letztendlich daheim passiert ist was anders.

  2. Schaut euch den Film Idiocracy an, und genießt in welch angenehmer Welt wir leben, in der das Essen in der Verpackung wenigstens dem ähnelt was darauf beworben wird…
    Die meisten Produkte sind meist aus der Preisklasse in der derjenige, der sie kauft weder auf die Packung sieht noch sich Gedanken über den Unterschied zwischen äußeren Werten und inneren Un-Werten macht.
    Eigentlich ist der gesamte Teil dieser Branche als “Perlen vor die Säue” zu betiteln…
    Seid froh dass euer Essen besser aussieht und ihr die Kompetenz habt euch darüber Gedanken zu machen!

  3. Autos werden aufpoliert, Models kriegen Pickel entfernt, Gemüse im Supermarkt wird mit Wasserdampf benetzt und Verpackungen sind besser (und oft auch teurer, aber das nur nebenher) als der Inhalt. Das sind doch nun wirklich altbekannte Tatsachen, die doch keiner eigentlichen Diskussion wert sind, sondern eher unter Rubrik “Running Gag” fallen.
    Die letztendlich einzig interessante Frage wurde bis jetzt nur von andras (24) direkt angesprochen. Wie sieht es diesbezüglich mit unserer Verantwortung als Designer aus?

    Kann man eigentlich von einer Verantwortung überhaupt sprechen, oder ist es nicht eigentlich völlig anmaßend zu behaupten, dass wir uns als Designer tatsächlich in der Position befinden Verantwortung zu übernehmen? Eigentlich gibt man dem Konsumenten, auch Mensch genannt, doch nur das was er will, selbst dann wenn der es selbst noch gar nicht weiss. Ein erfolgreiches Produkt auf den Markt zu bringen, in welcher Form auch immer, heisst doch letztendlich nichts anderes, als ein Bedürfniss einer bestimmten Gruppe von Kosumenten zu befriedigen.

    Die Verantwortung für Bedürfnisse kann man ja eigentlich nicht wirklich übernehmen, die sind nunmal da. Also bleibt doch dann eigentlich nur noch die Verantwortung diese Bedürfnisse zu befriedigen. Da stellt sich hier die Frage, ob wr kann entscheiden, welche Bedürfnisse gestillt werden sollten und welche nicht?

    Ein Großteil der Konsumenten (und darauf kommt es in diesem Fall doch an) finden schöne Verpackungen super und erwarten nichts anderes, also sollte man ihnen diese vorenthalten?

  4. Naja, bei Bewerbungsfotos lässt man sich schließlich ebenfalls gerne von einem Fachmann fotografieren, der einen ins gute Licht setzt. Man fotografiert sich dafür nicht selber kurz nach dem Aufstehen. Warum sollte ein ähnliches Vorgehen also z.B. für Wurstwaren moralisch verwerflich sein.

  5. hab gerade erst dieses Vergleichsprojekt entdeckt und die spannende Diskussion verfolgt … wäre ein gutes Projektthema für Schüler. Das eigentliche Problem ist die Aussage: “Leute die Convience-Produkte kaufen, wollen dass die Verpackung so aussieht” Wurden die gefragt, kann man das irgendwo registrieren oder woher kommt dieser Unsinn der Marke “ich bin nicht verantwortlich”? Dieses Weckducken hinter den angeblichen Interessen der Konsumenten regt mich wirklich auf. Mehr Mut zur eigenen Entscheidung, Meinung oder Empfehlung!!!

  6. Bei BBDO in N.Y. gab es zumindest zu der Zeit, als ich dort ausgebildet wurde (Mitte der Siebziger), eigene Rechtsanwälte auf der Berater-Etage, die immer gefragt werden mussten, wenn Food auf Verpackungen oder in Anzeigen abgebildet war. Sie haben entschieden, ob die tatsächliche Zahl der Fleischsstücke in Campbells Chunk Soups oder der Salamischeiben auf einer Pizza vom Fotografen, bezw. Food-Designer realitätsnah dargestellt waren. Die US-Werbung stand damals sehr unter dem Schock, den Ralph Nader mit seinen Verbraucherschutz-Initiativen ausgelöst hatte.

  7. Ja, Unternehmen und ihre Dienstleister haben Verantwortung. Also auch Designer. Man sollte es nicht glauben, wenn man manche Einträge hier liest.

    Unser gnädiger Fertigsuppenhersteller ermöglicht uns das Überleben. Da müssen wir doch nicht erwarten, dass etwas Eingepacktes so aussieht wie auf der Verpackung dargestellt. Wie kommen wir denn dazu? Nein: Als Konsument habe ich das Recht, dass die Verpackung zeigt, was drin steckt.

    Ich sage das nicht aus blödem Gutmenschentum. Sondern weil es Unternehmen gibt, die diese Verantwortung ernst nehmen. Die machen es richtig.

Kommentare sind geschlossen.

An den Anfang scrollen