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Was die hiesige Nachrichtenbranche vom jüngsten Relaunch von Time.com lernen kann

time.com Relaunch

Wenn sich derzeit der Eindruck einstellt, die USA und Europa driften weiter auseinander, dann mag das nicht nur an der konträren Auffassung in Bezug auf den Schutz von Daten oder den, geopolitisch bedingt, unterschiedlichen Interessen im Zusammenhang mit der Ukraine liegen, auch webtechnologisch war man sich schon einmal näher. Der jüngste Relaunch von Time.com, einem der traffic-stärksten Nachrichtenangebote in den Vereinigten Staaten, belegt diese Entwicklung, die kein gutes Licht auf „old Europe“ und dessen publizistische Angebote wirft.

Als Spiegel Online im September 2006 einen Relaunch vollzog, war dies gewissermaßen die Initialzündung, der Impuls, den hierzulande hunderte von Redaktionen zum Anlass nahmen, ihr eigenes Nachrichtenportal zu erneuern. In den beiden Jahren darauf habe ich hier im dt über zahllose Relaunchs von Nachrichtenportalen berichtet, die nicht selten, insbesondere was den Aufbau betrifft, vieles von SpOn übernahmen, etwa auch die fortan im Header befindliche Navigation. Acht Jahre später schaut Spiegel.de, schauen die meisten Portale, denen SpOn gewissermaßen als Blaupause diente, im Wesentlichen immer noch so aus wie 2006.

Wenn ich in den vergangenen Jahren verhältnismäßig wenig über Relaunchs von Nachrichtenportalen geschrieben habe, dann deshalb, weil kaum nennenswerte Relaunchs vollzogen wurden. Hier mal etwas über die Rheinische Post, dort mal eine kleine Bewegung beim Hamburger Abendblatt, aber insgesamt fällt doch auf, dass sich derzeit im deutschsprachigen Nachrichtenmarkt sehr wenig bewegt. Und das obwohl etwa der Axel Springer Konzern angekündigt hat, sich zukünftig noch mehr auf den „Zukunftsmarkt“ Internet auszurichten. Wobei vor dem Hintergrund der unüberschaubar großen Anzahl von Service-Apps und -Diensten, die Axel Springer mittlerweile anbietet, sich die Frage stellt, ob Axel Springer dann überhaupt noch als Nachrichtenmarke angesehen werden kann oder ob der Konzern sich nicht doch eher in Richtung Internetdienstleister ausrichtet.

Ich möchte einmal den Relaunch des Webauftritts der Time zum Anlass nehmen, um die webtechnologischen Entwicklungen zu benennen, die derzeit sichtbar sind.

1. Innovation im Web findet jenseits des Atlantiks statt

Nach den bemerkenswerten Relaunchs von USA Today und der New York Times folgt mit Time.com ein weiteres Beispiel, bei dem innovative Ansätze im Web aufgegriffen werden, um diese für die Aufbereitung publizistischer Inhalte zu nutzen. Erstmals etwa lassen sich in einem Nachrichtenportal allein mittels Scrollen weitere Artikel ansteuern – Endlos-Scrollen für Nachrichten. Etwas ähnlich Innovatives sucht man hierzulande vergeblich.

Während Time.com bereits zum zweiten Mal(!) einen auf Basis von Responsive Design konzipierten Relaunch vollzieht, verschlafen hierzulande nahezu alle großen und größeren Nachrichtenmarken den Anschluss an zeitgemäße Webentwicklungen. Starre 840 Pixel in der Breite wie bei Stern.de, 910 Pixel wie bei Spiegel.de sind ebenso veraltet wie 960 Pixel, ein Maß, das lange Zeit als Ideal angesehen wurde, heute jedoch nur noch bedingt als solches gelten kann. Dass sich die Konventionen verschieben und laufend verändern – wie könnte es im Web denn anders sein –, wollen (oder können) offenbar viele Verantwortliche in Verlagen und Medienhäusern nicht wahrnehmen. Und doch geschieht es.

2. Werbung und Responsive Design sind miteinander vereinbar

Der Grund für den oben beschriebenen starren Aufbau: ein Großteil der Verlage lässt sich zentral vermarkten, etwa von OMS in Düsseldorf. Solange hierbei starre Werbeformate wie das Wallpaper in der Vermarktung stehen, das im übrigen ein deutsches Sonderformat darstellt, werden Verlage es auch ausliefern, denn natürlich mag man auf Einnahmen des in der Regel klickstärksten Formates nicht verzichten. Ein Teufelskreis. Manchmal wird halt erst mit dem Blick über den Atlantik deutlich, dass ein Leben im Web ohne das Wallpaper möglich ist. Dort finden sich in Portalen in erster Linie Billboard-Formate sowie das gute alte Medium Rectangle, das, in Nähe des Contents platziert, reichlich geklickt wird und so üppige Einnahmen garantiert.

3. Webauftritte und Apps verschmelzen

Sowohl der Relaunch von NBCNews.com (siehe mein Tweet vom 18.02.) wie auch schon das oben genannte Angebot von USA Today verdeutlichen: Webauftritte und Apps verschmelzen immer stärker miteinander. Eine Entwicklung, die nicht nur Positives mit sich bringt. Zwar sorgt die Harmonisierung von App und Webauftritt nutzerseitig zwar für ein schnelleres Zurechtfinden, allerdings sollte es, wie nun auch auf Time.com der Fall, nicht so sein, dass Desktop-User auf die eingeschränkte Interaktionsfähigkeit von Tablet-Nutzer zurückgestuft werden. Genau das allerdings passiert, wenn geräteübergreifend, lediglich ein kleines Menü-Symbol links oben vorgehalten wird, obwohl die größeren Monitore von Desktop-Usern eigentlich die sofortige Sichtbarkeit aller Hauptnavigationspunkte gestattet. Ein Prozess der Sensibilisierung, der derzeit noch in Gange ist.

4. Fixierte Bereiche erleben eine Renaissance

Jeder der Twitter, Facebook oder Google+ nutzt oder auch besagten Webauftritt der New York Times ansteuert, der kennt das: der Header bleibt auch beim Scrollen am oberen Rand des Browerfensters stehen. Bei Myspace.com etwa ist es der untere Bereich, der über eine fixe Position verfügt. Die Vorteile eines solchen Konstrukts, das sich auch im neuen Time.com findet und zwar verstärkt: bestimmte Inhalte bleiben auf diese Weise, trotz Scrollvorgangs, sichtbar. Eine Funktion, die wir bereits seit 1996 kennen, seitdem Frames von Netscape Navigator 2.0 unterstützt werden.

Das HTML-Element <frameset> ist gewissermaßen Synonym für „veraltet“. In HTML5 wird es nicht mehr unterstützt. Inline Frames hingegen, die beim Einbetten von YouTube-Videos Verwendung finden, sowie quasi-ähnliche, mittels Div-Anweisung fixierte Bereiche erfreuen sich großer Beliebtheit. Der Gedanke, wichtige Funktionen innerhalb eines Interfaces permanent anzuzeigen, erlebt derzeit eine Renaissance. Wie ich finde, zu recht.

Im neuen Webauftritt der Time ist die linke Spalte vor allem deshalb fixiert, da auf diese Weise das Medium Rectangle permanent sichtbar bleibt. Da wir 66% unserer Besuchszeit „below the fold“ verweilen, also in dem Bereich, den wir per Scrollen ansteuern, sind Wallpaper oder ein im Header platzierter Banner nur wenige Sekunden sichtbar. Statt auf das größtmögliche Werbemittel zu setzen, dass also kaum sichtbar ist, sollten Werbetreibende lieber Werbeplätze ins Auge fassen, die möglichst während der gesamten Besuchszeit im Blickfeld des Lesers bleiben.

5. Der Umgang mit sozialen Netzwerken ist selbstverständlich

Als Facebook und Twitter vor ein paar Jahren aufkamen, setzte die Social-Media-Buttonitis ein. In nahezu jedem Portal popten die kleinen und, weil sie nachträglich implementiert werden mussten und nirgends so richtig hinpassen wollten, gemeinen Buttons auf, mit denen sich Artikel teilen lassen. Während wir Menschen mittlerweile derlei Angebote ganz selbstverständlich zu nutzen wissen, erinnert die Implementierung etwa wie bei Abendblatt.de an frühere Zeiten, als man fast erschrocken feststellte, man müsse bei diesen SM-Dinges unbedingt dabei sein und jedes erdenkliche Plugin von Facebook & Co. einbauen.

Die Erwartungshaltung ist heute eine andere. Nutzer wissen und erwarten, dass eine entsprechende Teilen-Funktionalität auf Artikelebene angeboten wird. Man muss sie nicht mehr mit der Social-Media-Keule zum Klicken der Buttons bewegen. Es ist gut und richtig, dass die Funktionalität vorgehalten wird, sie ist allerdings bei weitem nicht so wichtig wie der Artikel selbst. Eine Platzierung am Ende des Artikels etwa wie bei Tagesschau.de reicht vollkommen aus. Auf Time.com werden die jeweiligen Icons auf einer nur 170 x 30 Pixel großen Fläche unterhalb der Artikelüberschrift angezeigt. Zumal in grau gehalten stören diese hier kaum. Das sah vorher ganz anders, ganz fürchterlich aus. „Fremd-Branding“ par excellence.

In diesem Zusammenhang darf und sollte man auch das Thema Datenschutz ansprechen. Viele Menschen sind nicht mehr damit einverstanden, dass bereits beim Aufruf einer Website respektive einer Webseite Daten an die Server von Facebook oder Twitter geschickt werden. So erklärt sich auch die große Popularität des socialshareprivacy-Tools, das etwa auch auf heute.de und auf focus.de in abgewandelter Form zum Einsatz kommt.

Bleibt zu hoffen, dass die Schere zwischen den USA und Europa/Deutschland nicht noch weiter auseinander geht, nicht nur webtechnologisch nicht. Wer den Zukunftsmarkt Internet bejaht, von dem wird auch erwartet, dass er entsprechende Angebote bereithält, die auf der Höhe der Zeit sind.

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Dieser Beitrag hat 24 Kommentare

  1. Also ich kann mich nicht so für die Seite begeistern. Wirkt teils spartanisch, teils bieder. Hier die Amis so über den grünen Klee zu loben erschließt sich mir nicht. Wer soll damit angegriffen werden? Wir Deutschen weil wir anders arbeiten? Mein Gott, das ist überall anders und tut keinem weh. Unsere deutschen Seiten sind deshalb noch lange nicht schlechter.

  2. Ich finde die neue Time.com schrecklich, auf meinem Netbook schaut es aus als hätte man eine Handyapp schlecht vergrößert und das Endlossscrollen verhält sich unberechenbar wenn man mit eine Wheelmouse benutzt. Solche Hüpforgien kenne ich von den ZDF-Seiten, statt eines flüssigen Bildlaufes hüpft die Seite willkürlich zum übernächsten Absatz.

  3. Sind die Amerikaner und Europäern wirklich so weit voraus? Ich bin mir nicht sicher, ob time.com das richtige Beispiel für diese These ist. Die Site mag zeitgemäße Techniken einsetzen, bestimmt. Doch insgesamt bleibt mir persönlich kein besonders progressiver Eindruck zurück.

    Da sind neue europäische Portale wie watson.ch bedeutend weiter. Natürlich kann man sich auch dort über das Optische streiten, aber wenigstens ist diese Site konsequent neu gedacht.

  4. was ich vorhin vergaß zu erwähnen: Eine Nachrichtenseite, technisch spitze, ohne störende Werbebanner, und inhaltlich durchaus gehaltvoll, ist tagesschau.de . Da können nbcnews.com oder time.com mitnichten gegen anstinken.

  5. Schon komisch hier. Einerseits wird sich beschwert, dass sich die Seite nicht so liest wie eine gedruckte Zeitung, dann wieder, dass unter einem Artikel ein anderer Artikel steht. Obwohl gedruckte Zeitungen das ja auch machen, da steht ja auch alles unter/nebeneinander.

    Ist auch die Frage, ob sich eine Website überhaupt wie eine gedruckte Zeitung lesen soll. Denn es ist nunmal keine. Eine gedruckte Zeitung blättert ihr übrigens horizontal, eine Website wird vertikal gescrollt. Warum stört sich daran denn niemand? Ist doch schliesslich was völlig anderes.

  6. Ganz vergessen darf man dazu den Relaunch von Tagesschau.de auch nicht.

    Habe ich auch nicht, weder im Artikel, noch hier im dt (siehe Beitrag zum Relaunch). Gebührenfinanzierte Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender haben es freilich einfacher, müssen sie sich doch nicht der Herausforderung der Integration von Werbebannern stellen. Insofern stimme ich gerne Hendrik und Freiwild zu – ja, Tagesschau.de ist ein sehr feines Webangebot. Ich weiß aber nicht, ob man aufgrund der erschwerten Anforderung Tagesschau.de mit Spiegel.de oder Time.com vergleichen sollte. Wenn man es tut, dann ist es gut, wenn man dabei die Rahmenbedingungen berücksichtigt.

    Und ja, natürlich gibt es auch in „old Europe“ tolle Webanwendungen. Im Kontext Nachrichten fällt allerdings auf, dass es hier seit Jahren kaum Bewegung gibt, insbesondere in Deutschland.

    watson.ch kannte ich noch nicht. Danke für den Hinweis koc. Spannendes Konzept, wie ich finde. Da allerdings erst vor wenigen Wochen gestartet, lässt sich derzeit noch nicht absehen, ob dieses Abenteuer, das watson.ch zweifellos ist, ein auf Dauer tragfähiges Modell darstellt. Beispielhaft in Bezug auf die Innovationsfähigkeit von Nachrichtenformaten ist watson.ch sehr wohl, ebenso wie die im Artikel genannten Beispiele, weswegen ich diese gar nicht gegeneinander ausspielen würde – ob das Team rund um den ehemaligen 20Min-Chefredakteur Peter Wanner dauerhaft für watson.ch wird arbeiten können, wird sich zeigen. Ich wünsche den Machern jedenfalls viel Erfolg.

  7. Na ja, so schlecht finde ich es eigentlich gar nicht. Der Artikeltext gefällt mir ganz gut, vielleicht für meine Begriffe etwas groß.

    Auch die fixierten Elemente sind in Ordnung, ich bin zwar generell nicht Fan von derlei Elementen, aber hier sind sie zurückhaltend und praktikabel angeordnet. Wenn oben von der Renaissance der absolut positionierten Elemente geschrieben wird, muss ich allerdings sagen, dass mir viele dieser festgepinnten Navielemente überhaupt nicht gefallen, weil sie entweder mitten im Scrollen ihr Aussehen verändern oder sich plötzlich unter einen Header hängen (wie hier im dt). Letzteres ist zwar nicht ganz so wild, aber sobald solche Elemente zu viel Aufsehen erregen, finde ich sie fehlplatziert. Die Rahmengestaltung der fixierten Leiste bei der Time finde ich auch nicht so gelungen, da keine Abgrenzung zum darunter liegenden Inhalt besteht und so der Text beim Scrollen einfach hinter einem grauen Kasten. Bei Facebook beispielsweise ist da ein leicht abgehobener Rand zu erkennen, der diesen mE unschönen Effekt verhindert.

    Mir gefällt aber das Endlos-Scrolling überhaupt nicht. Ich weiß nicht, ob ich da einfach zu oldschool eingestellt bin, aber ich assoziiere das Ende einer Webseite auch mit dem Ende des Themas, das dort behandelt wird. Gerade auf Nachrichtenseiten finde ich ganz unter dem Beitrag häufig Metainformationen oder Kommentare zum Artikel. Wenn ich bei der Time-Website den Scrollbalken ganz ans untere Ende schiebe, wird sofort neuer Content darunter geladen und ich bekomme das Gefühl, doch nicht ganz am Ende der Seite zu sein, zumal ja auch für kurze Zeit viel Bewegung auf dem Screen ist. Außerdem kann ich, wie schon angemerkt, nicht mehr ohne Weiteres zurück nach oben springen bzw. die Überschrift kopieren, da ich garantiert zu weit scrolle.

    PS: Die Links zur Rheinischen Post und zum Hamburger Abendblatt funktionieren nicht so, wie sie wohl sollten.

  8. Ich finde den Relaunch von Time wirklich sehr gelungen:
    * Man hat eine Experience auf Tablet, Smartphone und Laptop/PC. Das ist viel Wert: Man findet sich dadurch intuitiv überall schnell zurecht.
    * Für ein Nachrichtenangebot ist die Anordnung perfekt. Man kann links durch die Nachrichten scrollen – das macht aber die vielgelobte Tagesschau App auf dem Tablet bereits seit mehr als einem Jahr so.
    * Mir gefällt das Design einer Webapp: Die haben das konsequent weiterentwickelt und haben nicht eine solch (wie schon oben angesprochen) Trennung wie bei SpON/Spiegel: Die Magazin-Beiträge sind als normale Artikel eingepflegt (mit einem Schlüssel gekennzeichnet).
    * Das Design ist flott.
    * Ich werde nicht durch Informationen überfrachtet: Srsly – wer schaut denn die Sidebars von Spiegel/Zeit… noch an? Das sind Platzfresser mehr nicht.

    Daumen hoch!
    Das infinite Scrolling ist aber tatsächlich gewöhnungsbedürftig. Vor allem da ja automatisch reloaded wird. Das würde ich entfernen.

    Grüße

  9. hm, eine renaissance des klassischen, three-frame-header-menu-content-designs. wer hätte das nochmal für möglich gehalten. ich kann die euphorie nur bedingt nachvollziehen, gerade als desktop-nutzer ist die handhabung eher anstrengend. insgesamt ist die anmutung für mich auch eher angestaubt und den wirklichen nutzwert kann man zwar erahnen, aber irgendwie verpufft er durch die starre ausrichtung des layouts. gerade, und das soll jetzt keine lobhudelei werden, das dt zeigt ja, wie man einen starren, mehrwert stiftenden fixierten header mit einem ansonsten frei scrollenden contentblock elegant miteinander verknüpft. die anmutung ist modern, der nutzwert hoch. eben keine innovation mit der brechstange, wie sie time.com allerortens versprüht.

  10. Interessanter Artikel, aber was bitte ist eine “Div-Anweisung”?
    Für fixierte Inhaltsbereiche braucht es “position: fixed”, mit DIV-Tags hat das erstmal überhaupt nix zutun.

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