Die Redewendung „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler” dürften selbst viele Menschen schon einmal gehört haben, die mit Marketing und Werbung nichts zu tun haben. Der ehemalige RTL-Chef Helmut Thoma hatte maßgeblich zur Verbreitung dieser Redewendung beigetragen. Ob die damit verbundene Aussage heute noch gültig ist, und die Metapher noch zeitgemäß, soll im folgenden Beitrag thematisiert werden.
Auf der jährlich stattfindenden Fachmesse für digitales Marketing und Werbung, der Dmexco, ist die Wahrscheinlichkeit groß, auf diese Redewendung zu stoßen, gilt „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler” vielen Werbern und Marketing-Strategen als Leitspruch. Der ehemalige RTL-Chef Prof. Dr. Helmut Thoma hatte diesen Satz im Jahr 1990 in einem Spiegel-Interview verwendet und damit maßgeblich zur Verbreitung im deutschsprachigen Raum beigetragen.
Um die kommerzielle Sichtweise des privaten Fernsehsenders zum Ausdruck zu bringen, sagte Thoma:
„Der Zuschauer darf sich seine Regierung wählen, also auch sein Fernsehprogramm. Ich wundere mich auch hin und wieder über die Wahl, aber der Wurm muß dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Und wir diskutieren aus der Angler-Perspektive. Sehen Sie, es war das Missverständnis in vielen öffentlich-rechtlichen Anstalten, dass sie glaubten, ihr eigener Geschmack müsse auch der der Masse sein. Die haben jetzt 40 Jahre Zeit gehabt, die Leute zu diesem höheren Geschmack zu erziehen, geholfen hat’s nix.“
Schon damals wurde die damit implizierte Fokussierung auf Einschaltquoten von öffentlich-rechtlichen Sendern wie auch von vielen Medienschaffenden und Journalisten kritisiert. Gutes Fernsehen sei mehr, und TV-Quoten nicht alles. Inhalte, die von reinem Quotendenken getrieben sind, unterlägen einem Zwang zur Massentauglichkeit und lasse zu oft Qualität vermissen, so die Kritik. Da ist was dran.
Die Redewendung vom Angler, dem Wurm und dem Fisch steht also in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Medium Fernsehen. Frei von Kritik war diese Redewendung schon in den 1990er-Jahren nicht.
Fernseh-Einschaltquoten haben in den letzten drei Jahrzehnten infolge der Digitalisierung an Bedeutung verloren. Leitmedium ist seit langem das Internet, nicht das Fernsehen. Die Medienlandschaft ist heutzutage wesentlich breiter, neue Technologien und Messmethoden sind hinzugekommen, Marktforschung wurde intensiviert. Die entscheidende Erkenntnis, was dem Fisch schmeckt, gibt dieser heutzutage selbst kund, in dem er neue Kommunikationstechniken nutzend im Umfeld von Social Media über seinen Geschmack aus eigenem Antrieb heraus Auskunft gibt. Die Medienlandschaft hat sich fundamental verändert. Weshalb auch tradierte Redewendungen, die sich auf frühere Gesellschaften beziehen, hinterfragt gehören.
Was an der Redewendung „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler” heute noch richtig und wichtig ist, auch ob diese im Bereich Design überhaupt relevant ist, darauf soll nachfolgend eingegangen werden.
Was ist an der Redewendung richtig und heute noch gültig?
- Die Ausrichtung auf Kunden und Zielgruppen und eine nutzerzentrische Herangehensweise sind sinnvoll.
- Infolge dieser Ausrichtung entsteht ein Verständnis hinsichtlich des Bedarfs / der Bedürfnisse seitens der Kunden und Zielgruppen.
- Aus diesem Verständnis heraus leiten sich sowohl unternehmens-strategische, vertriebstechnische, produktspezifische wie auch kommunikative Maßnahmen ab.
Eigentlich alles selbstverständlich, sollte man heutzutage meinen. Im Design (Produkt, Verpackung, Markenkommunikation, User-Interface, Corporate, u.a.) ist eine nutzerzentrische Denkweise immanent, sie ist elementarer Bestandteil von Konzeption, Produktentwicklung und Entwurf, was sich auch an einem Terminus wie User-Centered-Design (UCD) ablesen lässt. Für Designer ist von Berufswegen entscheidend, dass sie in der Lage sind, in die Rolle unterschiedlicher Anwender zu schlüpfen.
Im Management hingegen ist eine nutzerzentrische Denkweise durchaus keine Selbstverständlichkeit, gerade in den 1990er-Jahren, in denen Thoma wirkte und die Redewendung prägte, war sie es nicht. In vielen Unternehmen herrscht auch heute noch eine Kultur, bei der ausgehend (einzig) von der Innensicht die strategische Herangehensweise formuliert wird. Die eigene Sichtweise wird als Norm angesehen, was eine kognitive Verzerrung mit sich bringt, dem sogenannten False-Consensus-Effect. Menschen, die diesem Verzerrungseffekt unterliegen, neigen dazu, zu überschätzen, inwieweit andere ihre eigenen Überzeugungen, Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen teilen. Sie glauben, dass mehr Menschen so denken, fühlen oder handeln wie sie selbst, als es tatsächlich der Fall ist.
Es kann hilfreich sein, sich der Redewendung vom Angler, Wurm und Fisch zu vergegenwärtigen, um diesem Verzerrungseffekt und dem damit verbundenen Trugschluss nicht anheimzufallen. Nicht am persönlichen Geschmack einzelner Mitarbeiter / Mitglieder der Führungsetage sollte sich die Produktentwicklung ausrichten, so ist auch Thomas Aussage im Zusammenhang mit Fernsehprogramm-Inhalten zu verstehen, sondern am Bedarf und den Bedürfnissen der Kunden und Zielgruppen. Soweit, so nachvollziehbar und richtig.
Und was ist an der Redewendung nicht mehr zeitgemäß oder sogar falsch?
- Das Bild ist schief. Die Metapher ist schlichtweg nicht mehr zeitgemäß.
- Die Digitalisierung hat die Sichtweise auf Kunden und das Verständnis hinsichtlich ihrer Bedürfnisse fundamental verändert. Der Perspektivwechsel ist, anders als vor 30 Jahren, heutzutage selbstverständlich. Customer Journey, Touchpoint Management und Customer Experience sind Ausdruck des veränderten Selbstverständnisses. Es bedarf keiner Redewendung, um den Perspektivwechsel herbeizuführen oder diesen sichtbar zu machen.
- Die Redewendung blendet aus / negiert, dass es heutzutage Technologien und Kommunikationstechniken gibt, die ziemlich genau darüber Auskunft geben, wie sich Kunden verhalten, welche Erwartungen Zielgruppen haben, welche Vorlieben Menschen haben, Stichwort Sozial- und Marktforschung. Kunden bewegen sich nicht im Verborgenen (tief unten), sie hinterlassen mit jedem Klick Spuren, ihre Bewegungen sind transparent, lassen sich tracken.
- Die Redewendung wird oftmals aus dem Kontext gerissen (Dekontextualisierung), und als Argument dafür verwendet, die Innensicht im Unternehmen als irrelevant abzutun, was sie selbstverständlich nicht ist und auch niemals war.
- Die Rahmenbedingungen in einem Markt (Fernsehen) lassen sich nicht eins zu eins auf jene Märkte/Bereiche übertragen, mit denen die Redewendung oftmals in Verbindung gestellt wird (z.B. Kunst und Kultur, Bildung, Pädagogik, Kommunikation, Design). Zugleich können sich Rahmenbedingungen in einem Markt im Laufe der Zeit ändern.
- Im Wasser hängt nicht einzig ein Wurm am Haken, es sind viele Angeln ausgeworfen, Stichwort Medienpluralismus. Nur weil der Wurm dort hängt, heißt dies nicht, dass ein Fisch auch anbeißt, Stichwort Konkurrenz.
- Ebenso wenig gibt es den einen Fisch, den einen Kunden, die eine Zielgruppe. Es gibt vielmehr viele unterschiedliche, zudem segmentierte Zielgruppen.
- Die Redewendung ist insgesamt eine zu starke Vereinfachung eines komplexen Sachverhalts.
Metaphern dienen dazu, komplexe Sachverhalte in greifbare Bilder zu übersetzen, wodurch sie leichter verständlich werden. Deshalb sind Metaphern innerhalb der Kommunikation hilfreich und sinnvoll. Doch diese spezielle Metapher ist in vielerlei Hinsicht falsch.
Wie oben bereits erwähnt, gibt es nicht den einen Fisch. Es gibt viele unterschiedliche Zielgruppen, die im Rahmen von Marken- und Unternehmenskommunikation jeweils unterschiedlich, im Idealfall passgenau angesprochen werden müssen. Die Metapher Fisch war schon vor dreißig Jahren unscharf und ungenau, heute ist sie, aufgrund der Diversifikation von Kommunikations- und Vertriebskanälen, noch verschwommener und schwammiger. Doch in Zeiten heutiger Mediendurchmischung, Formatvielfalt und Multimodalität bedarf es einer klaren, leicht verständlichen Kommunikation.
Überhaupt – Fisch als Metapher für Kunde und im Kontext Marktwirtschaft lässt ein Weltbild und eine Sichtweise auf Menschen durchblicken, die heutzutage, mit fortschreitender Sensibilisierung in Bezug auf Sprache und Bezeichnungen, doch eher befremdlich anmuten. Denn die Wurm-Fisch-Angler-Analogie zeichnet ein Bild von Fressen und Gefressen werden. Ein Wurm, der von Fisch gefressen, ein Fisch, der letztlich vom Angler verspeist wird. Besten Dank, werden sich die so bezeichneten Kunden denken. Ebenso könnte ein Unternehmen als Maxime die Metapher von der Zitrone als Marketing-Leitspruch ausgeben, die es auszuquetschen gilt.
Die Fisch-Metapher ist tausende Jahre alt und findet sich bereits in der Bibel (Jesus: „Folgt mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen“, Matthäus 4,19). Hier wird Fischen als Metapher für das Gewinnen von Seelen verwendet, heute würde man von Akquise sprechen. Darüber hinaus ist der Fisch im Christentum neben dem Kreuz ein bedeutendes, häufig verwendetes Symbol. Die Fisch-Metapher hat also eine starke Verwurzelung im christlichen Glauben. Auch dies ist hilfreich zu wissen.
Der Wurm kommt im Volksmund nicht wirklich gut weg. „Da ist der Wurm drin“ heißt es, als Redensart dafür, dass etwas faul und schlecht ist. Auch im Sprichwort „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ ist der kleine wirbellose Artgenosse Opfer menschlichen Tatendrangs und wird gefressen. Dem Angler wiederum wird redensartlich die Glaubwürdigkeit abgesprochen, wie sich an Begriffen wie Anglerlatein und Seemannsgarn festmachen lässt. Wer aus der Anglerperspektive spricht, übertreibt demnach oder redet mitunter wirres Zeug.
Warum also sollte man im 21. Jahrhundert, im digitalen Zeitalter, in einem professionellen Umfeld auf all diese antiquierten, fragwürdigen Metaphern zurückgreifen, um die strategische Ausrichtung als Unternehmen oder die Herangehensweise bei der Produktentwicklung zu beschreiben!? Verantwortungsvoll agierende Unternehmen, die ihre Kunden ernst nehmen, bezeichnen diese als Mensch, nicht als Fisch.
Menschen möchten keinen Köder vor die Nase gehalten bekommen, an dem sie anbeißen, schon gar keinen künstlichen, wie es sie im Angelsport gibt, mit Bezeichnungen wie Wobbler, Spinner, Blinker oder Gummifische, die vortäuschen etwas Lebendiges zu sein. Menschen möchten keine faulen Sachen angepriesen bekommen, sie möchten Produkte, die einen hohen Nutzwert haben, die nachhaltig produziert, die echt/authentisch und langlebig sind. Sie erwarten im Kontext UI/UX einen unkomplizierten, möglichst barrierefreien, intuitiven Zugang zu Informationen und Dienstleistungen (eGovernment), und im Kontext Medien ein reichhaltiges, breit gefächertes Informations- und Unterhaltungsangebot. Kunden möchten sich nicht im Servicefall mit einem KI-Chatbot herumschlagen, sie bevorzugen den persönlichen Kontakt zu einem Mitarbeiter. All dies wissen wir auch dank unzähliger Meinungsumfragen, Erhebungen und Studien.
Viele Fischarten ändern im Laufe ihres Lebens ihr (Sozial)Verhalten. Auch die Prioritäten der Menschen ändern sich, zudem sind diese von Mensch zu Mensch verschieden. Diesem Umstand gilt es mit einem entsprechend diversifizierten Angebot gerecht zu werden. Während beispielsweise viele Konsumenten preisbewusst handeln, achten andere besonders auf regionale Herkunft. Ein Wurm alleine reicht nicht, um die unterschiedlichen Bedürfnisse zu decken. Es ist zudem wichtig den in der Redewendung genannten Fisch als eine unbestimmte Größe zu begreifen, als eine schwer greifbare, heterogene Gruppe.
Fisch und Ozean, bewegen sich
Ein Unternehmen, das auch in zehn, zwanzig Jahren bestehen möchte, benötigt fortwährend neue Kunden. Ein Verein, der in zwanzig Jahren das eigene Stadion / die Halle vollbesetzt sehen möchte, muss kontinuierlich neue Fans für sich gewinnen. Eine Marke, die fortbestehen soll, braucht mehr als ein Stammklientel, sie benötigt neue Käufer, sie muss zwingend auch über Bestandskunden hinausgehende Käuferschichten ansprechen. Das Stammklientel erleidet das gleiche Schicksal wie der Wurm: sie stirbt, über kurz oder lang. Zeitungs- und Printmarken sterben auch deshalb und werden eingestellt, da ihnen die Leser, die Abonnenten gehobenen Alters, wegsterben.
Wer diese Redewendung ins Spiel bringt, nach dem Motto, Hauptsache der eigenen Community gefalle (schmecke) das neue Produkt (auch Designs wie Logos), unterliegt dem Irrtum, er/sie alleine sei der Fisch, die Zielgruppe. Doch ähnlich wie der False-Consensus-Effect ist diese Sichtweise eine Form eingeschränkter selektiver Wahrnehmung. Denn Zielgruppe sind alle, die potenziell Kunde, Käufer, Zuschauer, Mitglied, Mitarbeiter, Abonnent oder Fan werden können.
Vollständig ist die Bildmetapher also nur, sofern man Ozeane als einen artenreichen Lebensraum einbezieht. Ein Raum, der Milliarden anderer Organismen und Fische (Angebote) in sich birgt, und der vor allem Strömungen und Veränderungen unterliegt. Die Wurm-Fisch-Angler-Analogie ist statisch, doch Märkte und das Umfeld unterliegen Schwankungen, sie sind dynamisch. Unternehmen und Marken müssen darauf reagieren, wollen sie überleben, indem sie ihre Kommunikation regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls anpassen, mit Hilfe von Redesigns, Rebrandings und Relaunchs, und indem sie ihr Angebot und Produktportfolio weiterentwickeln.
Die Redewendung „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler” ist in so vielen Punkten widersprüchlich, unzeitgemäß und unpassend, dass diese Metapher als allgemeingültiger Leitspruch in der heutigen Welt als unbrauchbar anzusehen ist, egal in welchem Zusammenhang. Der Wahrheitsgehalt ist begrenzt, wie bei vielen anderen Redensarten und Sprichwörtern auch. Eine Binsenweisheit ist der Wurm-Fisch-Angler-Spruch gewiss nicht. In den Kontexten Design, Kommunikation und Marketing greift diese Redewendung aufgrund der beschriebenen vielschichtigen Zusammenhänge durchweg zu kurz.
Sich mit der Bedeutung von derlei Redewendungen auseinanderzusetzen, kann allerdings dazu beitragen, die Kommunikation als Unternehmen, und die der Marke, zu verfeinern. So übernimmt der kleinste Darsteller in dieser metaphorischen Geschichte doch noch eine positiv besetzte Rolle: der Wurm regt zur Reflexion und zum Nachdenken an.
Die ursprüngliche Redewendung wurde meines Wissens hauptsächlich, und dann auch vorsichtig (nicht jedes Gegenüber vertrug derbe Wurm-Metaphern) gegenüber Auftraggebern verwendet, die – Neudeutsch – Marketing-Newbies sind. Oder waren.
Nie gegenüber Profis. Letztere wussten damals schon, als der Spruch noch frischer war, dass er sehr simplifiziert.
Marketing-Unerfahrene oder gar Marketing-Abholde hingegen wurden schon mal bewusst mit dem derben Spruch zum Aufhorchen konfrontiert. Neigten sie doch dazu, ausschließlich ihre persönliche oder betriebliche Innensicht zum Maß ihrer Werbungsmaßnahmen und Deko-Bemühungen zu machen. Und ihre Kunden gar nicht zu kennen. Nicht einmal ein Fitzelchen.
Was auch fürs Design kein guter Ausgangspunkt war, sondern ein brutal schlechter. Denn dann regierte ausschließlich persönliches Geschmäcklerisches ohne jede belastbare Grundlage. Auch der persönliche Geschmack des Designers, falls er recht „kompetent“-dominant auftritt.
Nur bei Auftraggebern, die so gar nicht wussten, wer ihre Kunden eigentlich sind haben wir, haben Kollegen zu diesem leicht rumpeligen Satz gegriffen. Leider gefühlt nötig bei „kleinen“ Auftraggebern ohne Marketingwissen. Bei sensiblen Auftraggebern auch mal ohne den expliziten Wurm.
Niemals nötig gewesen gegenüber Auftraggebern, die ihre Marketing-Profis hatten. Damit hätte man sich bis auf die Knochen blamiert, weil zu platt und ja auch: unnötig belehrend.
So wie sehr dumme Eulen nach Athen tragen, wo es bereits ausreichend superschlaue Eulen gibt. Oder so. Natürlich auch wieder ein schwaches Bild ;-)
Wenn der Profi von Einfachheit und Klarheit begeistert ist, wie es die Mode der letzten Jahr in der Branche vorgibt, dann führt dies eher dazu, dass Marken weniger wahrgenommen werden. Was aus Sicht des Verbrauchers eher angenehm ist, wenn Marken weniger stark wahrgenommen werden und in diesem Sinne im Alltag stören.
Man sieht es auch in den Verkaufszahlen, die Markenbindung der Verbraucher sinkt seit Jahren. Das hat natürlich viel mit dem blassen Markenauftritt und seichter Ästhetik zu tun, während zugleich die Handelsmarken und Billiganbieter aufgeholt haben.
In den 90ern hat man ja selbst simple Süßigkeiten noch durch Markeninszenierung mit einem Premium-Zuschlag verkaufen und begehrenswert machen können.
Man denke an die Hochglanzwerbung zu Ferrero Rocher, dazu die für Achim wahrscheinlich viel zu detailreiche Ästhetik der Markendarstellung und die aufwändige Verpackung, mit hoher Wiedererkennung.
Davon zehrt das Produkt bis heute.
Wer hingegen mit “Einfachheit” die Aldi Eigenmarken optisch unterbietet darf sich halt nicht wundern eher stehen gelassen zu werden. Dieser Aspekt wird zunehmend unterschätzt, zB auch bei Automarken (man schaue sich nur an wie VW die letzten Jahre bezüglich Design von Fahrzeugen und Markenauftritt von teuer bezahlten Profis in meinen Augen ruiniert, pardon “vereinfacht”, wurde). Alle Autos können von A nach B fahren, der Rest ist Emotion und Markenauftritt, häufig und häufiger an den Zielgruppen vorbei. Die Beispiele sind zahlreich.
In den letzten Jahren ist Design so einer quasi Kunstform verquast worden, über jedes Pixel wird lange sinniert, es werden für viel Geld angeblich Hausschriften entworfen wie sich nicht markant von Massentypen unterscheiden auch wenn der Designer ganz verliebt in diese zusätzliche leichte Krümmung seines SZ ist, das kommt so beim Rezipienten aber einfach nicht an, sondern gefällt und beschäftigt vor allem die Insider. Und insofern ist der Spruch sogar zeitgemäßer als seinerzeit.
Ich bin wirklich gespannt wie hier KI einschlägt. Wir sind nicht weit davon entfernt, dass man mit A/B Tests oder sogar für jeden Kunden individuell generiertem Design sehr aussagekräftige Massenstudien darüber durchführen kann welches Design denn wirklich ankommt und erfolgreich ist.
Dank Dir Eric, für Deinen Beitrag.
Dass Handelsmarken gegenüber Herstellermarken in den letzten Jahren bevorzugt gekauft werden und aufgeholt haben, stimmt. Allerdings hat diese Entwicklung kaum bis gar nichts mit dem Markenauftritt und „seichter Ästhetik“ zu tun, wie Du es nennst. Konsumenten greifen, wie Zahlen des Handelsmarkenmonitor 2024 belegen, verstärkt zu Handelsmarken, weil die Inflationsrate gestiegen ist und sie auf günstigere Alternativen ausweichen.
Worauf beziehst Du die Aussage, Design habe sich zu einer Kunstform verquast? Magst Du das an konkreten Beispielen festmachen? Auch sonst finden sich zahlreiche pauschale Aussagen, etwa das Design von VW-Fahrzeugen sei ruiniert worden, Marken mit klarem, einfachen Auftritt würden weniger wahrgenommen, Produkte mit optisch schlichtem Design würden stehen gelassen werden … . Ich verstehe nicht so recht, worauf Du hinaus willst.
–
Die Vorstellung, man müsse nur das Design (Aussehen wie auch die Beschaffenheit insgesamt) von Produkt XY ändern, und schon würde sich der Absatz erhöhen, ist ein in der (Kreativ)Wirtschaft weit verbreiteter Glaube, besser gesagt Irrglaube. Viele andere Einflüsse und Faktoren bestimmen maßgeblicher, ob ein Produkt gekauft wird oder nicht. Am Beispiel Autokauf soll dies einmal veranschaulicht werden. Die Kriterien Design und Marke sind laut der von Bitkom erhobenen Umfrage die mit am wenigsten entscheidenden Kriterien.
Kriterien beim Autokauf (Marke, Design, u.a.), Quelle: Bitkom
Womit sich ein Stück weit auch erklärt, weshalb etwa Volkswagen, obschon die Marke bei Leserbefragungen wie Autonis in Sachen Design selten gut abschneidet, dennoch derzeit insgesamt als die attraktivste E-Auto-Marke angesehen wird (Attraktivitätsindex Elektromobilität von BearingPoint). Viele andere Kriterien sind aus Konsumentensicht eben wichtiger als das Aussehen.
P.S. Hierzu muss man natürlich sagen, dass der Begriff Design alles andere als trennscharf ist. Funktionsmerkmale wie Sicherheit und Komfort sind de facto vom Design eines Fahrzeugs nicht zu trennen. Viele Menschen beziehen Design lediglich auf Farbe und Form. Tatsächlich beschreibt Design nicht das Aussehen, sondern vielmehr wie etwas beschaffen ist. Bei derlei Umfragen ist es nicht die Beschaffenheit, sondern einzig das Aussehen, das bewertet wird.