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Von prägnant bis lasch: die Wahlplakate zur NRW-Landtagswahl 2017

FDP

FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner zeigt klare (Hand)Kante. Dieses Bild vom FDP-Bundesvorsitzenden vermitteln jedenfalls die Motive der Wahlplakatkampagne. Schwarz-weiß-Fotografien stehen in starkem Kontrast zu den expressiven Farben, wie sie die FDP seit ihrem Rebranding Anfang 2015 nutzt. Keine Frage. Die Andersartigkeit der Gestaltung fällt auf.

Die Fotografien zeichnen ein Bild von Lindner als Nacht-aktiven Menschen, der viel alleine ist und offenbar viel nachdenkt. Ein Spitzenkandidat, der nicht, wie im Rahmen von Wahlwerbung üblich, von Menschen umgeben ist und den zuhörenden Kommunikator gibt, sondern stattdessen in das Schreiben und Lesen vertieft zu sein scheint. Eine ziemlich mutige um nicht zu sagen gewagte konzeptionelle Ausrichtung, da eine solche „One-Man-Show“ schnell auch als Eigenbrödlertum interpretiert werden kann. Ebenso wie die LINKE und die PIRATEN unterstreicht auch die FDP mit Lindner, der auf einem der Motive mit geballter Faust dargestellt ist, Angriffslust.

Sprachlich geht die FDP-Kampagne mit Aussagen wie „Das Digitalste in der Schule dürfen nicht die Pausen sein.“ über den in der Wahlwerbung üblichen Formulierungskonformismus hinaus. Das Wording, sieht man einmal von „Es geht um unser Land“ ab, ist vergleichsweise eigenständig. Bedenkt man, wo die FDP noch vor drei Jahren stand, ist dies, bezogen auf das Erscheinungsbild der Partei, ein beachtlicher Wandel, der die Marke FDP seitdem vollzogen hat.

Fazit: Optisch auffällig und andersartig, sprachlich vergleichsweise eigenständig. Ein gewagter Schritt, Lindner zuvorderst im Dunkeln und als Einzelgänger/Einzelkämpfer darzustellen.

DIE LINKE

Wenn Gesagtes/Geschriebenes nicht zum Dargestellten passt, spricht man von einer Text-Bild-Schere. Fröhlich schauende Menschen, wie sie auf den Plakaten von DIE LINKE zu sehen sind, nehmen der geballten Faust, mit der die Partei ihre Angriffslust verdeutlichen möchte und die als zentrales Element innerhalb der NRW-Kampagne fungiert, ihre Symbolkraft. Mit erhobener Faust in den Wahlkampf ziehen, kann, wie ein Motiv der Piratenpartei zeigt, auch schnell ins Peinliche driften. Insofern war man bei den LINKEN gut beraten, auf jegliche gespielte Aggressivität zu verzichten. Wirklich überzeugend ist die Umsetzung der Idee allerdings nicht.

Davon abgesehen zeichnet die Kampagne aus, dass über alle Motive hinweg ein roter Faden zu erkennen ist, eine konzeptionelle Leitidee. „ZEIG STÄRKE“ lautet das Kampagnenmotto, das auf den Plakaten den jeweiligen Forderungen wie „für eine Politik, die Wort hält“ vorgestellt ist. Positiv: lediglich das Motto ist in Großbuchstaben gesetzt. Somit lassen sich die maximal auf zwei Zeilen aufgeteilten Forderungen leichter erfassen.

Der Aufbau der Plakate ist schlicht, wenn auch nicht minimalistisch, in jedem Fall sind die Motive nicht so überladen wie die zur Landtagswahl 2013 in Niedersachsen. Ein durchgehend roter Hintergrund scheint mir für die LINKEN die deutlich bessere Wahl, denn Rot ist nun einmal Teil der „DNA“ der Partei. In Bezug auf die Verwendung des Parteilogos, das auf den Plakaten leicht schräg gesetzt ist und damit eine Aufwärtsbewegung beschreibt, fehlt es an Stringenz und Konsistenz innerhalb des Markenauftritts. Denn an vielen zentralen Stellen, etwa den Webauftritten dielinke-nrw.de oder die-linke.de, wird auf die Schrägstellung verzichtet.

Fazit: Von kleinen Schwächen abgesehen eine gestalterisch überzeugende Kampagne.

PIRATEN

„Wieso hört man eigentlich gar nichts mehr von den Piraten?“ Eine Frage, die im aktuellen Kampagnen-Spot der PIRATEN zur NRW-Wahl als Aufhänger dient. Ja warum nur? Die Partei ist ein Phänomen. Ein rasanter Aufstieg, ein enormes, über Deutschland weit hinaus reichendes Medieninteresse – und schon nach wenigen Jahren kämpft die Partei gegen die Bedeutungslosigkeit an. In aktuellen Umfragen liegen die PIRATEN bei 1–2 Prozent. Dass die Plakate der Piratenpartei an dieser Stelle vorgestellt werden, liegt allein daran, dass sie im derzeitigen NRW-Landtag über 20 Sitze verfügen.

Die PIRATEN, so lässt sich anhand der Kampagnen-Website ablesen, wollen eine „smartgerechte“ Gesellschaft schaffen. Geschickt besetzt die Partei mit Hilfe dieses Kompositums ein Kernthema ihrer Politik: das Digitale. Themen besetzen ist das eine, Themen so zu kommunizieren, dass sie Unterstützer findet, das andere. Mit Aussagen wie „BILDUNG BRAUCHT FREIRAUM!“ und „PROTEST WÄHLEN! KEINE NAZIS!“ bleibt die Partei – noch mehr als andere – im Ungefähren. „NICHT LABERN, MACHEN!“ lautet eine weitere Botschaft. In Bezug auf die konkrete Umsetzung bleiben viele Plakatmotive allerdings wage. Welcher „Freiraum“ ist hier beispielsweise gemeint? Der räumliche Freiraum der Kinder, der finanzielle Freiraum der Eltern oder der zeitliche Freiraum in Bezug auf die schulische Ausbildung (#G8 versus #G9)?

Gestalterisch waren die Plakate der PIRATEN schon einmal deutlich ansprechender, etwa im Rahmen der Europawahl 2014. Der indifferenten „Illustrations-Cloud“ im Hintergrund mangelt es an Prägnanz. Fotos von Personen wurden mehr schlecht als recht ausgeleuchtet und freigestellt. Mimik, Posen und Gesten der abgebildeten Parteimitglieder lassen fotografische Professionalität vermissen. Auch der nebulöse weiße Hintergrund im Bereich des Logos ist handwerklich nicht überzeugend.

Fazit: Blass wie die Gesichter der abgebildeten Personen ist auch die gesamte Plakatkampagne, deren Motto „smartgerecht“ nicht gestalterisch überzeugend verpackt werden konnte.

AfD

Die AfD möchte erstmals in den Landtag von Nordrhein-Westfalen einziehen. In den Umfragen liegt sie aktuell bei 7–11 Prozent. Marcus Pretzell, seit Ende letzten Jahres Ehemann von Frauke Petry, ist der Spitzenkandidat der AfD. Er sei, so ist es auf einem der Plakate zu lesen, „die Antwort auf kraftlose Politik“. Wobei die Formulierung als Frage den Pferdefuß birgt, dass die Partei Pretzell als Lösung selbst in Frage zu stellen scheint.

Ebenso umständlich und um die Ecken gedacht sind Textaussagen wie „Wärte und Morahl“, bei denen (offenbar) Kritik an Schul- und Bildungspolitik mit der Besinnung auf ethische Grundfeste einer Gesellschaft vermengt werden. Worin diese Werte nach Ansicht der AfD bestehen, darüber treffen die Plakate keinerlei Aussage. Und auch sonst werden im Rahmen der Kampagne keine Lösungsansätze angeboten. Was beispielsweise die Partei gegen den Stau im bevölkerungsreichsten Bundesland zu tun gedenkt oder wie Bildung verbessert werden könnte, bleibt offen.

Die Futura, dem vom deutschen Typografen Paul Renner 1927 entworfenen Schriftenklassiker, ist die Hausschrift der AfD. Dass Schriften nicht nur nach ihrem Aussehen, sondern auch ihres Namens und der damit verbundenen Symbolik wegen ausgewählt werden, kommt gelegentlich vor. Nur an wenigen Stellen tritt die politische Dimension von Design so offenkundig hervor wie hier, wo bereits mit der Schriftauswahl eine bestimmte Intention verfolgt wird. Über die Zukunftsfähigkeit des AfD-Wahlprogramms, das neben dem uneingeschränkten Erhalt des Bargelds die Abschaffung der Rundfunkgebühren und damit die „Rückführung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf seinen Grundversorgungsauftrag“ beinhaltet, trifft die Futura jedenfalls keinerlei Aussage. Da im Wahlprogramm neben der Futura auch die Schrift namens Brand light zum Einsatz kommt, zeigt überdies, dass das Spiel mit der Symbolik nur unzureichend beherrscht wird.

Rot und Blau haben sich als Hausfarben der AfD bewährt. Sie sorgen, in Kombination mit dem im Fußbereich von AfD-Plakaten stets dargestelltem Bogenelement dafür, dass die Plakate mittlerweile auch ohne Logo der AfD zugeordnet werden können. Der Umgang mit Typographie ist allerdings auch nach zahlreichen Wahlkämpfen, die die AfD seit ihrer Gründung vor vier Jahren bestritten hat, nicht erkennbar besser geworden. Ebenso wenig erkennbar ist eine Leitlinie, nach der die Kampagne konzipiert und gestaltet wurde.

Fazit: Gestalterisch konventionell und altbacken, sprachlich umständlich.

Für die Kampagnen der jeweiligen Parteien zeichnen folgende Agenturen verantwortlich:
SPD: Butter
CDU: Brand Lounge
Bündnis 90/Die Grünen: Wigwam
FDP: Heimat
DIE LINKE: DieWerberpack
PIRATEN: inhouse/Parteimitglieder
AfD: – wird nachgereicht, sobald die Pressestelle die Info bereitstellt –

Dieser Beitrag hat 42 Kommentare

  1. Für Alle, die sich neben der – wie immer – aufschlussreichen dt-Analyse der Wahlplakate auch für die digitalen Aspekte des NRW-Wahlkampfes interessieren, haben wir sämtliche Werbespots der Parteien zusammengestellt.

    In Zeiten des “iLike” sind bewegte Bilder vielleicht die wichtigeren zeitgeschichtlichen Dokumente?

    Bei den Werbespots jedenfalls gibt es gewaltige konzeptionelle, ästhetische und auch inhaltliche Differenzen…

    –> https://eifelon.de/region/alle-werbespots-aller-parteien-zur-nrw-wahl-2017-im-ueberblick.html

  2. Sehr sehr schade, dass die FDP dauerhaft bei dieser Augenkrebs-Farbkombi bleibt.

    Ist das bei der AfD noch blau oder schon grau? Wirkt ganz seltsam.

  3. https://www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=qLJGiz37EAA

    Oh weia, meine Gedanken zum Werbespot der Republikaner würden ein ganzes Bankenrettungspaket an Phrasenschweinen füllen.
    Windows Movie Maker, Texte mit’m Taschenrechner-Mikrofon eingesprochen… Da hatten wohl die fünf Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo ihre Finger im Spiel… ;)

    *knack* “Kevin, wir müssten mal wirklich noch ‘nen Spot zurechtschneiden, haben aber nur noch 10 Minuten Zeit!” *knack* “Wir schaffen das!” *knack*

    1. Oder hier, das passende Gegenstück von 2016:
      https://www.youtube.com/watch?v=6Q977A8qpWA
      Man beachte die elegante Lösung, wie man der GEMA mit der Hintergrundmusik ein Schnippchen geschlagen hat. :’-)
      Ich wollte den fünf Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo übrigens echt nicht auf den Schlips treten… Jungs, wenn ihr das lest: Sorry, der Vergleich war höchst taktlos von mir.

  4. An den Wahlkampf der CSU (hier 2013) kommt einfach keine andere Partei ran.

    https://tobesocial.de/sites/default/files/blogimages/facebook-page-analyse-parteien-wahlkampf-2013-fananzahl-studie-wahl-bester-post-csu.jpg

    Das Foto nicht “overdone” gestellt und eine sehr clevere Aussage, denn sie ist unbestreitbar korrekt (er war Amtsinhaber, somit ist es eine Tatsachenfeststellung), hat aber natürlich im Kontext einer Landtagswahl, auf die fast nur nebenbei oben in der Ecke hingewiesen wird, eine starke Konnotation. Die Suggestivkraft dieses Plakats ist enorm.

    Die meisten Kampagnen kranken daran, dass die Macher unbedingt das raushauen wollen, was gerade unter Designern und Textern in Mode ist. Das übliche halt, “storytelling” macht inzwischen jede Provinzagentur und das Hashtag darf natürlich auch nicht fehlen…ebenso wie die rhetorischen Floskeln, denen schon kein Bürger irgend eine Bedeutung beimisst, wenn sie aus dem Mund der Kandidaten kommen.

    Einzig das hier sticht positiv hervor:

    https://www.designtagebuch.de/wp-content/uploads/mediathek//2018/04/a0_hannelore_kraft-700×986.jpg

    Die “verbrannte Marke” der Partei möglichst klein, es geht v. a. um die in NRW gemochte Landesmutter. Keine Floskeln, die die Wähler ohnehin nur nerven.

    Plakate sind ohnehin nicht dazu da, echte Inhalte zu transportieren – wer kritisiert, dass der Verzicht auf Floskeln die Plakate auf Gesichter reduziere (“Wo ist denn da der Inhalt?”) macht sich IMHO eher unglaubwürdig mit seiner Kritik, denn er implitziert damit ja, dass sich Inhalte seriös auf solche Floskeln oder Schlagwörter reduzieren lassen würden (solch eine Kritik backfired also, “Ach, und Inhalte lassen sich deiner Ansicht nach auf Floskeln reduzieren?”). Die Inhalte kommen am besten aus dem Mund der Kandidaten selbst, auf Veranstaltungen und in den Medien im O-Ton. Nicht von Plakatwänden. Die sind dazu da, die Bürger mit den Kandidaten bekannt zu machen bzw. möglichst präsent zu halten (“to put a face on it”), während man an der Ampel steht und das Plakat betrachtet oder am Plakat in der Fußgängerzone vorbeiläuft.

    Die hier gezeigten Plakatbeispiele sind fast allesamt komplett “overdone” voller Grafiklayer und Floskeln und fast so komplex aufgebaut wie die Startseite von eBay, dabei soll man alles in einem Augenblick beim Vorbeilaufen erfassen und im Hinterkopf behalten? Für mich ein klarer Fall von “overdone”.

    1. In vielen der von dir genannten Punkt bin ich deiner Meinung, lediglich die Bewertung des CSU Plakats trifft mich ins Mark: Positiv ist die Reduktion, die Aussage und die Natürlichkeit – das wirkt authentisch. Was ich aber völlig indiskutabel finde ist die Qualität des Fotos (Licht, Haltung, etc).
      Als Wähler ist es meine Aufgabe die politischen Ziele und die Kompetenz der zur Wahl stehenden zu bewerten. Wenn hier jemand eine relativ einfache Aufgabe (schiesse ein qualitativ hochwertiges Foto) so derart versemmelt und trotz Etat und Know How lieber eine schlechte als eine gute Lösung präsentiert, dann ist das für mich ein sehr deutliche Aussage. Jemandem mit einem derart eklatanten Mangel an Bewusstsein für solche Dinge schenke ich kein vertrauen. Und jemandem, der bewusst schlechtere (in dem Fall Foto-)Qualität einer besseren vorzieht, weil dies politisch opportun erscheinen mag, dem will ich ebenfalls kein Vertrauen schenken.
      Erschütternd!

  5. Wie man jetzt in NRW gesehen hat, hat das Plakatdesign scheinbar keine großen Auswirkungen auf das Ergebnis. ;)

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