Skip to content

Von prägnant bis lasch: die Wahlplakate zur NRW-Landtagswahl 2017

In zehn Tagen wird im bevölkerungsreichsten Bundesland ein neuer Landtag gewählt. Rund 13,1 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, den NRW-Landtag zu wählen. Die Landtagswahl in NRW gilt von je her als richtungsweisend. Insbesondere im Superwahljahr 2017 mit der im September bevorstehenden Bundestagswahl steht die Wahl im Fokus der Medien. Im dt werden die Plakate von SPD, CDU, GRÜNEN, FDP, LINKE, PIRATEN sowie der AfD vorgestellt.

Die Wahlkampagnen der „kleinen Bundestagswahl“ prägen derzeit die Straßenzüge im ganzen Bundesland. In ihrer inhaltlich zum Teil extrem verkürzten Art können Wahlplakate nur bedingt als Entscheidungshilfe fungieren, auch da sich die Slogans der Parteien und die auf den Plakaten getroffenen Aussagen zum Teil stark ähneln. „Zuhören. Entscheiden. Handeln”, wie ihn die CDU im Rahmen der Wahlwerbung nutzt, taugt beispielsweise als Alleinstellungsmerkmal eben so wenig wie „Mach Dich frei“.

Wer unentschlossen ist oder das erste Mal zur Wahl geht, dem bietet der Wahl-O-Mat sicherlich eine bessere Entscheidungshilfe. Auch der vor zwei Tagen mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnete, umfassende Kandidatencheck des WDR ist unbedingt ein Besuch wert.

Wahlplakate sind, da sie in ihrer verdichteten Form gesellschaftliche Strömungen abbilden, zugleich zeitgeschichtliche Dokumente. Das macht sie nicht nur aus Kommunikationsdesign-Perspektive spannend. Welches sind die Themen, mit denen die Parteien bei den Bürgern punkten möchten? Was sind die Schwerpunkte innerhalb der Kampagnen? Und auf welche Weise werden diese Botschaften transportiert? Welche Stilmittel werden angewandt? Schauen wir uns die Plakate zur NRW-Wahl im Einzelnen an.

Inhalt:

SPD

Die SPD setzt in ihrer Wahlkampagne auf dreierlei: den Hashtag „#NRWIR“, die Schrift Gotham Condensed und natürlich auf NRW-Ministerpräsident Hannelore Kraft als Spitzenkandidatin. Lediglich letztere ist einzigartig. „NRWIR“ ist nämlich seit dem März 2010, ohne Hashtag-Zeichen, als Marke des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) geschützt (Registernummer 302009072588). Offenbar sieht sich der Verband durch die Verwendung der Wortmarke durch die SPD nicht genötigt, rechtliche Schritte einzuleiten, sodass die Kampagne wohl in dieser Form bis zum Wahltag fortgesetzt werden kann.

In ihrer Kurzform sind Slogans wie „#NRWIR ENTDECKER“ oder „#NRWIR MALOCHER“ absolut Social-Media-kompatibel. Noch vor 10 Jahren war dieser Aspekt für Kampagnenplaner unbedeutend, während er heute immanent ist. Spätestens seit Obama und zuletzt seit Trump wissen wir: Wahlen werden in den digitalen Medien entschieden.

Sollte der Trend weiter anhalten, könnte die Gotham irgendwann einmal die Helvetica als die am meisten verbreitete Schriftart der Welt ablösen. Ob Comic-Verlag, Sportverband oder TV-Sender – die Gotham ist seit vielen Jahren ungemein populär. Denn sie vermittelt Stärke, Souveränität und zugleich eine moderne, schlichte Eleganz. Attribute, die Attraktivität vermitteln und somit gleichermaßen für Unternehmen, Marken wie auch Politiker schmückend wirken.

In den meist wenigen Sekunden, die ein Betrachter auf einem Plakat verweilt, lassen sich, aufgrund der schmalen Lettern und der Großschreibweise, Textaussagen wie „EINZIGARTIG: ZUSAMMENHALT ÜBER GENERATIONEN“ allerdings nur mit Mühe erfassen, gerade von Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen. Ein Schwachpunkt, wie er auch die Plakate von FDP, DIE GRÜNEN und der Piratenpartei kennzeichnet.

In der Galerie-Gesamtansicht (Abb. oben) ist anhand der Farbauswahl schön zu erkennen, dass die Tonalität der Motive und somit die Konsistenz der Gestaltung berücksichtigt wurde. Hellblaue sowie sandfarbene/hautfarbene Töne bilden das Farbkonzept, auf dem die Fotografien aufbauen. Das ist deutlich weniger bunt und poppig als noch zur NRW-Landtagswahl 2012. Kinder und Senioren haben bei der SPD im Rahmen der Kampagne viel zu lachen, Männer mittleren Alters eher weniger, denn sie kommen so gut wie nicht vor. Hannelore Kraft wird in den Fotos als gesprächs- und kontaktfreudiger Mensch dargestellt. Posen, Gesten und Mimik wirken nicht gekünzelt, inszeniert sind die Fotos natürlich schon.

Fazit: Insgesamt eine recht stimmige Plakatkampagne, die dank einprägsamen NRWIR-Hashtag, zumindest im Kontext von Wahlwerbung, Einzigartigkeit aufweist.

CDU

CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet sah sich zum Auftakt der Wahlkampagne mit dem Vorwurf konfrontiert, den von der CDU im Rahmen der NRW-Wahl verwendeten Slogan „Zuhören. Entscheiden. Handeln.“ von der SPD geklaut zu haben, die diesen 1994 bei der Landtagswahl in Niedersachsen nutzte. Von den Medien übersehen wurde dabei, dass Laschet mit dem Motto „Zuhören können. Entscheiden & Handeln“ offenbar bereits im September 1993 Wahlkampf machte, wie Laschet selbst auf Twitter richtigstellte. Das Ringen um die politische Macht beginnt mit der Beanspruchung des Wortes. Das zeigen auch die Diskussionen im Zuge des NRW-Wahlkampfs.

„Stärker. Schneller. Schlauer. Sicherer“ – so die auf den Plakaten der CDU abgegebenen Wahlkampfversprechen. Nordrhein-Westfalens Konservative drücken mit dem Motto „NRW geht vor“ auf den Fast-Forward-Knopf, der schon in der zweidimensionalen Form eher uninspiriert daher kommt, als dreidimensionale, orange Ecke, die aus dem Plakat herauszubrechen scheint, gänzlich unförmig und unpassend wirkt. Verzerrte Schriftzüge und schräg gestellte Störer-Balken machen die Gestaltung nicht besser, sondern schlechter.

Ein tragendes Konzept, das Großflächenmotive und hochformatige Themenplakate vereinte, ist nicht zu erkennen. Zu unterschiedlich ist in beiden der Umgang mit Schriften, Formen und Aufteilung. Was fehlt, ist neben einer gestalterischen Leitlinie auch der Bogen hinüber zu den digitalen Medien. Weder Hashtag oder QR-Code finden sich auf den Motiven, noch verweist eine zur Kampagne zugehörigen Domain auf weitere Infos. Diesbezüglich müssen Printkampagnen heutzutage einfach mehr aufbieten. Ein Slogan, der bereits seit dreißig Jahren auf dem Kerbholz hat, ist deutlich zu wenig.

Fazit: Konzeptionell wie auch gestalterisch einfallslos und lasch.

Bündnis 90/Die Grünen

Angesichts sinkender Umfragewerte, mit denen DIE GRÜNEN seit einigen Wochen zu kämpfen haben, scheint sich innerhalb der Bundespartei Ernüchterung breit zu machen. Man könne nicht für den „heißen Scheiß der Republik“ sorgen, wie es Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt kürzlich formulierte. Aktuelle Sonntagsumfragen sehen für die GRÜNEN 6 Prozent. Der Juniorpartner der SPD rund um Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann setzt darauf, dass Prognosen und Ergebnisse zwei Paar Stiefel sind. Das Brexit-Votum und der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl mögen ihnen Recht geben.

Abstände und Raumaufteilung innerhalb der Plakatgestaltung sind gut gewählt. Ob es an der Arvo Green liegt, der Hausschrift der GRÜNEN, dass Botschaften nicht verfangen beziehungsweise nicht verstanden werden? In Sachen Lesekomfort sind die Slab-Serife-Großbuchstaben „UMWELT SCHÜTZEN. NATUR ATMEN“ jedenfalls alles andere als ideal. Davon abgesehen ist die Gestaltung der Plakate rein formal gut und passend. Auf schlichtem grünem Hintergrund werden Schriftzüge mit kolorierten und freigestellten Fotos kombiniert. Auch ohne Parteilogo lassen sich die Motive eindeutig den GRÜNEN zuordnen. Grundlage hierfür bildet das Corporate Design der Partei, das zuletzt vor zwei Jahren angepasst wurde.

Als einzige der im NRW-Landtag vertretenen Parteien thematisieren die GRÜNEN im Rahmen ihrer Plakatkampagne das Thema Integration (von Flüchtlingen, von Migranten): „Zusammen. Wachsen.“, wie es auf einem der Motive heißt, bei dem neben Integration auch das Thema schulische Ausbildung angesprochen wird. Hellgrüne Ziffern, die den Begriffen vorgestellt sind, sollen verdeutlichen, dass mit Aussagen wie „FREIHEIT. SICHERN.“ tatsächlich zwei Themen angesprochen werden. Eben die Freiheit als solche wie auch die Sicherheit, dem in diesem Wahlkampf vielleicht wichtigsten Meta-Thema, schwingt es doch nahezu bei jeder politischen Debatte im Hintergrund mit.

Für eine Regierungspartei eher ungewöhnlich ist der häufige Gebrauch von Ausrufezeichen, mit denen eigenen Forderungen Nachdruck verliehen werden soll. Häufiger werden Ausrufezeichen als Stilmittel von Oppositionsparteien genutzt, deren Aufbegehren gegen die Politik der Regierung auf diese Weise unterstrichen wird.

Fazit: Die Wiedererkennbarkeit der Gestaltung ist ein großes Plus. Der Umgang mit Text/Typographie bietet Verbesserungspotenzial.

Dieser Beitrag hat 42 Kommentare

  1. Für Alle, die sich neben der – wie immer – aufschlussreichen dt-Analyse der Wahlplakate auch für die digitalen Aspekte des NRW-Wahlkampfes interessieren, haben wir sämtliche Werbespots der Parteien zusammengestellt.

    In Zeiten des “iLike” sind bewegte Bilder vielleicht die wichtigeren zeitgeschichtlichen Dokumente?

    Bei den Werbespots jedenfalls gibt es gewaltige konzeptionelle, ästhetische und auch inhaltliche Differenzen…

    –> https://eifelon.de/region/alle-werbespots-aller-parteien-zur-nrw-wahl-2017-im-ueberblick.html

  2. Sehr sehr schade, dass die FDP dauerhaft bei dieser Augenkrebs-Farbkombi bleibt.

    Ist das bei der AfD noch blau oder schon grau? Wirkt ganz seltsam.

  3. https://www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=qLJGiz37EAA

    Oh weia, meine Gedanken zum Werbespot der Republikaner würden ein ganzes Bankenrettungspaket an Phrasenschweinen füllen.
    Windows Movie Maker, Texte mit’m Taschenrechner-Mikrofon eingesprochen… Da hatten wohl die fünf Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo ihre Finger im Spiel… ;)

    *knack* “Kevin, wir müssten mal wirklich noch ‘nen Spot zurechtschneiden, haben aber nur noch 10 Minuten Zeit!” *knack* “Wir schaffen das!” *knack*

    1. Oder hier, das passende Gegenstück von 2016:
      https://www.youtube.com/watch?v=6Q977A8qpWA
      Man beachte die elegante Lösung, wie man der GEMA mit der Hintergrundmusik ein Schnippchen geschlagen hat. :’-)
      Ich wollte den fünf Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo übrigens echt nicht auf den Schlips treten… Jungs, wenn ihr das lest: Sorry, der Vergleich war höchst taktlos von mir.

  4. An den Wahlkampf der CSU (hier 2013) kommt einfach keine andere Partei ran.

    https://tobesocial.de/sites/default/files/blogimages/facebook-page-analyse-parteien-wahlkampf-2013-fananzahl-studie-wahl-bester-post-csu.jpg

    Das Foto nicht “overdone” gestellt und eine sehr clevere Aussage, denn sie ist unbestreitbar korrekt (er war Amtsinhaber, somit ist es eine Tatsachenfeststellung), hat aber natürlich im Kontext einer Landtagswahl, auf die fast nur nebenbei oben in der Ecke hingewiesen wird, eine starke Konnotation. Die Suggestivkraft dieses Plakats ist enorm.

    Die meisten Kampagnen kranken daran, dass die Macher unbedingt das raushauen wollen, was gerade unter Designern und Textern in Mode ist. Das übliche halt, “storytelling” macht inzwischen jede Provinzagentur und das Hashtag darf natürlich auch nicht fehlen…ebenso wie die rhetorischen Floskeln, denen schon kein Bürger irgend eine Bedeutung beimisst, wenn sie aus dem Mund der Kandidaten kommen.

    Einzig das hier sticht positiv hervor:

    https://www.designtagebuch.de/wp-content/uploads/mediathek//2018/04/a0_hannelore_kraft-700×986.jpg

    Die “verbrannte Marke” der Partei möglichst klein, es geht v. a. um die in NRW gemochte Landesmutter. Keine Floskeln, die die Wähler ohnehin nur nerven.

    Plakate sind ohnehin nicht dazu da, echte Inhalte zu transportieren – wer kritisiert, dass der Verzicht auf Floskeln die Plakate auf Gesichter reduziere (“Wo ist denn da der Inhalt?”) macht sich IMHO eher unglaubwürdig mit seiner Kritik, denn er implitziert damit ja, dass sich Inhalte seriös auf solche Floskeln oder Schlagwörter reduzieren lassen würden (solch eine Kritik backfired also, “Ach, und Inhalte lassen sich deiner Ansicht nach auf Floskeln reduzieren?”). Die Inhalte kommen am besten aus dem Mund der Kandidaten selbst, auf Veranstaltungen und in den Medien im O-Ton. Nicht von Plakatwänden. Die sind dazu da, die Bürger mit den Kandidaten bekannt zu machen bzw. möglichst präsent zu halten (“to put a face on it”), während man an der Ampel steht und das Plakat betrachtet oder am Plakat in der Fußgängerzone vorbeiläuft.

    Die hier gezeigten Plakatbeispiele sind fast allesamt komplett “overdone” voller Grafiklayer und Floskeln und fast so komplex aufgebaut wie die Startseite von eBay, dabei soll man alles in einem Augenblick beim Vorbeilaufen erfassen und im Hinterkopf behalten? Für mich ein klarer Fall von “overdone”.

    1. In vielen der von dir genannten Punkt bin ich deiner Meinung, lediglich die Bewertung des CSU Plakats trifft mich ins Mark: Positiv ist die Reduktion, die Aussage und die Natürlichkeit – das wirkt authentisch. Was ich aber völlig indiskutabel finde ist die Qualität des Fotos (Licht, Haltung, etc).
      Als Wähler ist es meine Aufgabe die politischen Ziele und die Kompetenz der zur Wahl stehenden zu bewerten. Wenn hier jemand eine relativ einfache Aufgabe (schiesse ein qualitativ hochwertiges Foto) so derart versemmelt und trotz Etat und Know How lieber eine schlechte als eine gute Lösung präsentiert, dann ist das für mich ein sehr deutliche Aussage. Jemandem mit einem derart eklatanten Mangel an Bewusstsein für solche Dinge schenke ich kein vertrauen. Und jemandem, der bewusst schlechtere (in dem Fall Foto-)Qualität einer besseren vorzieht, weil dies politisch opportun erscheinen mag, dem will ich ebenfalls kein Vertrauen schenken.
      Erschütternd!

  5. Wie man jetzt in NRW gesehen hat, hat das Plakatdesign scheinbar keine großen Auswirkungen auf das Ergebnis. ;)

Kommentare sind geschlossen.

An den Anfang scrollen