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Typographisches Facelift für Hannoversche Allgemeine

HAZ Facelift – Schrift Gotham

Seit dem vergangenen Wochenende schaut die Hannoversche Allgemeine verändert aus. Das Schriftbild wird nun durch zwei neue Schriften geprägt. Wenn Chefredaktionen, wie hier der Fall, im Zuge einer Neugestaltung ihrer Zeitung von „Anstrich“ sprechen, erschrecke ich immer. Als ob die Gestaltung von Informationen etwas ist, das man nach ein, zwei Jahren, wenn einem die neue Farbe nicht mehr gefällt, einfach wieder drüberstreichen könne.

Einführend und erklärend sei gesagt, dass sich die Madsack Mediengruppe nach wie vor mit der Hannoverschen Allgemeinen (HAZ) und der Neuen Presse gleich zwei Zeitungen für die Region Hannover gönnt. Letztere bedient mehr, auch wenn man das intern nicht gerne hört, den Boulevard, was sich auch in der Gestaltung widerspiegelt (größere Fotos, fettere, serifenlose Headlines). Die HAZ ist in ihrer gesamten Ausrichtung, inhaltlich wie in ihrer Aufmachung, deutlich konservativer und zurückhaltender, zumindest bislang.

Mit dem vollzogenen Facelift – der Begriff „Redesign“ erscheint mir eher unpassend – halten mehrere neue Schriften Einzug in die Gestaltung der Zeitung, die in einer Auflage von derzeit rund 180.000 Exemplaren erscheint. Die bisherige, von Adrian Frutiger 1986 entworfene Headlineschrift Centennial wurde von der Rocky abgelöst. Als neue Fließtextschrift kommt anstelle der Excelsior – Danke dt-Leser Horst für die Korrektur – nun die Candida zum Einsatz.

Der Candida zur Seite gestellt wurde die – der Ein oder Andere hat es anhand der Abbildung oben bereits erkannt – Gotham. Schon wieder die Gotham. „Gotham ist die neue Dax“ konstatierte ich bereits 2012 via Twitter. Die Gotham ist die in Lettern versinnbildlichte Obamania. Und tatsächlich sieht man sie, dem Präsidentschafts-Wahlkampf 2009 sei dank, überall. Dass die HAZ jetzt noch auf diesen Typohype-Zug aufspringen muss! Fast fehlen einem die Worte ob der auf diese Weise zum Ausdruck gebrachten, im besten Fall sich am Zeitgeschmack ausgerichteten Gestaltung.

Abgesehen vom Hype: funktioniert denn die von Tobias Frere-Jones 2000 entworfene Gotham im Kontext dieser Zeitungsgestaltung? Macht sie, was sie soll? Hebt sie etwa auf der Titelseite Kurzmeldungen hervor? Das tut sie sehr wohl. Die Frage ist jedoch: müssen Kurzmeldungen, die in einer separaten Spalte in gebündelter Form und gekennzeichnet mit einer eigenen Überschrift ZUSÄTZLICH hervorgehoben werden? Ich sehe dafür keinen Grund. Spaltenaufteilung, Abstände und Größenunterschiede reichten hierfür meiner Meinung nach aus.

Mit der Verwendung der fetten Gotham rückt die HAZ ein Stück weit näher an die Neue Presse, zumindest gestalterisch. Die serifenlosen Überschriften der Neuen Presse, gesetzt in Antenna und Benton, unterstützten die boulevardeske(re) Ausrichtung und sind somit stilprägend für das Blatt. Eine Ausrichtung und Gestaltung, die nicht Jedem gefällt (siehe: Zu viel Boulevard?). Es scheint – denn das ist es, was die neue Gestaltung vermittelt –, als orientiere man sich bei der HAZ stärker an zeitgenössischen Strömungen.

Was den Wechsel der Fließtextschrift betrifft, so nimmt man die Candida deutlich stärker, so mein Eindruck, als Schrift wahr als die Excelsior, was, wie wir als Gestalter wissen, nun nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal ist, zumindest wenn es um Fließtext geht. Denn hier geht es nicht darum, mit einer besonderen Typo Eindruck zu schinden und Image zu transportieren, sondern darum, Inhalt, den reinen Text zugänglich zu machen. Und das konnte und kann die Excelsior besser, weil sie den Lesefluss ob ihrer fehlenden Extravaganz begünstigt. Die Excelsior verfügt über die Tropfen, die den Lesefluss unterstützen. Der Candida fehlen diese und auch sonst wirkt das durch sie erzeugte Schriftbild kantiger, klotziger.

„Dieser neue Anstrich war einmal nötig“, schrieb HAZ-Chefredakteur Hendrik Brandt zur Vorstellung der neuen Aufmachung. Warum dieser nötig war, schrieb er nicht. Dafür werden die Änderungen, die, wie gesagt, nicht weitreichend genug sind, als dass sie den Stil der Zeitung maßgeblich veränderten, auf einer entsprechenden Infoseite veranschaulicht.

Fazit

Spitz und schlank trifft auf fett und laut. Hier kommt zusammen, was nicht zusammen passt. Die optischen Veränderungen sind kein Redesign, kein in sich schlüssiges Konzept, sondern lediglich ein partieller Anstrich, dem vermutlich schon in wenigen Jahren ein weiterer Überstrich folgen dürfte.

Die Titelseite – vorher und nachher

HAZ Facelift – Titelseite

Und etwas ganz anderes muss ich bezüglich des Aufmacherfotos auf der oben abgebildeten Titelseite loswerden („Der Held aus Altwarmbüchen“): Es kotzt mich wirklich an, sehen zu müssen, wie von den Medien Alkohol derart glorifizierend dargestellt wird. Helden saufen! So der Tenor, der zu Zeiten von Meisterschaftsfeiern, Nichtabstiegsfeiern und Europacupmitdabeifeiern durch die Medien grassiert. Die Diskussionen über Gewalt in Stadien ist von vorne bis hinten verlogen, nicht nur die. Erst wenn Alkohol Stadionverbot bekommt und Nachrichtenorgane, wie in diesem Fall die HAZ, aufhören, ein solches Zerrbild von der Droge Alkohol zu produzieren, dann, nur dann kann vielleicht die Gewalt in Stadien eingedämmt werden. Nikotin und anderen Drogen wird zurecht der Garaus gemacht, während der Konsum von Alkohol nicht nur geduldet wird, sondern vom DFB, von Vereinen und den Medien geradezu gefördert wird. Ich finds erbämlich und ekelig.

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Dieser Beitrag hat 27 Kommentare

  1. Interessant…
    Nicht nur die HAZ hat ein Facelift spendiert bekommen – auch die LVZ (Leipziger Volkszeitung) – die ebenfalls zur Madsack’schen Gruppe gehört, zeigt sich seit vergangenem Wochenende mit den neuen Schrifttypen und ein paar Anpassungen im Layout – irgendwie sieht das der HAZ doch auch ganz ähnlich…sehr ähnlich sogar
    Als nächstes folgt dann die Umbenennung aller zur Madsack Gruppe gehörenden Zeitungen in “Weltweite Madsack Zeitung” (WMZ)…

  2. Was mir auf den ersten Blick auffällt: das Umbruchverhalten der neuen Brotschrift scheint deutlich schelchter zu sein, als das der Centennial. Im Aufmacher des neuen Layouts stechen viele unschöne Wortabstände ins Auge. Egal, ob dem Setzer oder der Schrift selbst geschuldet: ausgereift sieht das nicht aus. In diesem Aspekt wirkt die alte Fließtext-Gestaltung hochwertiger, finde ich.

  3. meine spontane Frage wäre, da Du ja – trotz oder wegen Deiner Kritik am Verlag – ein geschäftliches Verhältnis zur Madsack-Gruppe hast oder hattest, ebenfalls die nach der Angleichung von LVZ, DNN und HAZ (und ggf. weiterer Blätter) gewesen. Kannst Du da etwas dazu sagen? Sind das die gleichen Schriften, und wird das das neue EInheitsdesign auch der anderen Madsack-Zeitungen wie LN, OP, MAZ usw.?

  4. Hey Achim,

    ich teile grundsätzlich deine Meinung des letzten Absatzes – allerdings bin ich normalerweise stilvollere Kritik von dir gewohnt. Aber manchmal muss es eben raus, gell? ;)

  5. Ja der Achim würde wohl am Liebsten die Prohibition wieder aufleben lassen und nach Alabama ziehen. Sonst von mir hochgeschätzt, kotzt es mich wirklich an, dass jetzt auch in Deutschland Moralapostel auf dem Niveau von Glenn Beck rumlaufen, die meinen anderen Menschen ihre Lebensweise vorschreiben zu müssen. Ich rauche nicht und trinke vielleicht einmal im Monat und trotzdem nehme ich es mir nicht heraus anderen das Rauchen, Kiffen, Trinken oder selbst das Fixen zu verbieten.

  6. Dass Du, lieber freiwild, in Erinnerung hast, dass ich 2009 für ein Jahr für die Madsack Mediengruppe tätig gewesen bin, zeigt wie aufmerksam Du das dt verfolgst. Außer den offiziell veröffentlichten Meldungen, Berichten und Artikeln liegen mir keine anderen Informationen vor. In der Pressemeldung vom 02. Oktober 2013 heißt es: „Umbau der Konzernorganisation: an allen Standorten Fokussierung auf lokale und regionale Kompetenz in Vermarktung und Redaktion; überregionale Aufgaben werden zentralisiert und gebündelt “

    Offenbar sieht das von der Mediengruppe verfolgte Programm namens „Madsack 2018“ neben der personellen wie redaktionellen Verschlankung auch die Vereinheitlichung der Gestaltung der Zeitungen vor. Der NDR titelte Anfang April „Weniger Jobs, weniger Vielfalt“.

  7. @ Anon:

    Ja der Achim würde wohl am Liebsten die Prohibition wieder aufleben lassen und nach Alabama ziehen.

    Ich lehn mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster und sage: das würde er nicht.
    Wenn man sich mit der Alkoholproblematik ernsthaft auseinandersetzen würde, müsste man zu dem Schluss kommen, dass es durchaus sinnvoll ist Alkohol möglichst wenig zu glorifizieren. Ob das durch einen solchen Titel passiert, sei dahingestellt. Ich durfe einmal an einer mehrtägigen Veranstaltung zur Alkoholprävention teilnehmen und kann sagen, dass ich schnell den Eindruck gewonnen habe, dass sich die Akteure (aus dem Bereich der Prävention) sehr differenziert mit Alkohol auseinandersetzen (obwohl sie ihn zum Teil auch selbst konsumieren). Es ist nicht alles Schwarz-Weiß. Leute wie Du, Anon, versuchen es aber immer wieder mit armseligsten Ansprachen herbeizureden.

    Sorry, dass ich mal wieder design-fremd spreche.

Kommentare sind geschlossen.

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