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The Return of Glossy Look

Google I/O Design Visual, Quelle: io.google
Google I/O Design Visual, Quelle: io.google

Die Blütezeit des Flat Designs ist lange vorbei. Farbverläufe, Schattenwurf und Pseudo-Dreidimensionalität sind als Stilmittel zurückgekehrt, und mit ihnen kunterbunte Designs, verspielte Illustrationen und fluffige Logos. Wie sich derzeit auch bei Google beobachten lässt. In einem Punkt unterscheidet sich die neue, nun wieder verspieltere Bildsprache.

Die Änderung des Google-App-Symbols im App Store wurde dieser Tage in den Medien allenthalben thematisiert, etwa von TheVerge, Fast Company oder Designboom. Microsoft hatte dem Edge-Browser bereits 2019 ein fluffiges Logo mit Farbverlauf spendiert, und damit gewissermaßen die Abwendung vom minimalistischen Flat Design eingeleitet. Flat Design, dies sei erklärend eingeschoben, entstand wiederum in Abkehr vom Skeuomorphismus, wie er beispielsweise im „Aqua“ User Interface von Apple bestimmend gewesen ist.

Es ist weniger die Umstellung des Google-App-Symbols auf eine Darstellung mit Farbverlauf, die besondere Aufmerksamkeit verdient, zumal von diesem Rebrush bislang lediglich die Google-App im App Store von Apple betroffen ist, als vielmehr das veränderte üppige Artwork, das Google im Rahmen der bevorstehenden Entwicklerkonferenz „Google I/O“ einsetzt.

Google I/O ist eines der wichtigsten Events der Tech-Branche. Das in Mountain View (Kalifornien), dem Hauptsitz von Google, stattfindende Event dient als zentrale Plattform, um neue Technologien, Software und Hardware von Google vorzustellen. Der unter io.google verwendete Grafik- und Illustrationsstil unterscheidet sich in signifikanter Weise von früheren Event-Designs, wie die Gegenüberstellung der Website aus den Jahren 2023 und 2025 verdeutlicht.

Google I/O Website Design
„Google I/O“-Website Design

Jährlich wechselnde Event-Designs sind gang und gäbe, auch bei anderen Unternehmen/Veranstaltern. Meist bewegt sich die Gestaltung der Events, trotz Wechsel, innerhalb eines bestimmten Designkorridors, um so Konsistenz und Wiedererkennbarkeit zu gewährleisten. Doch der Grafikstil der aktuellen „Google I/O“-Website beschreibt einen Paradigmenwechsel. Dreidimensional wirkende Objekte sind mit üppigen, transluzenten Farbverläufen und Glanzeffekten ausgestattet. Ergänzt werden diese durch naturalistische Wolken-Darstellungen. Fluffig statt flat ist die Devise.

Pseudo-Dreidimensionalität, also die Stilistik, bei einem technisch gesehen flachen Bild eine Illusion von Dreidimensionalität zu vermitteln, nimmt innerhalb der Designsprache von Google (Material Design m3.material.io) zunehmend Raum ein (siehe „Material Design 3 for Compose 1.2“). Flache Grafiken erhalten Tiefe, Räumlichkeit – nun auch innerhalb des Event-Designs der Google I/O. Auf einer solch vielbeachteten Entwicklerkonferenz werden nicht nur technologische Trends gesetzt, auch Kommunikations- und UI-Design betreffende Trends können hier entstehen oder sich verstärken.

Google I/O Design Visual, Quelle: io.google
Google I/O Design Visual, Quelle: io.google

Neben der zunehmenden Betonung von Räumlichkeit, die auch mit Hilfe von Farbverläufen entsteht, lässt sich im Kommunikationsdesign ein weiterer Trend benennen: Materialität. Die Betonung und Darstellung von Materialität war/ist im angesprochenen Skeuomorphismus das zentrale Gestaltungsprinzip. Die über die Oberflächengestaltung erzeugte Illusion von Materialität sollte Vertrautheit stiften, auf diese Weise für einen niedrigschwelligen Zugang im User Interface sorgen und die Bedienung erleichtern, so das Konzept.

Im Gegensatz zu früher scheint es (bislang) so zu sein, dass sich im Zuge des Revivals diese Art der Bildsprache auf bestimmte Anwendungsbereiche beschränkt, nämlich auf den Bereich der Illustration, also auf Grafiken mit dekorativem Charakter. Funktionale Bedienelemente im User Interface wie Buttons bleiben weiterhin flach. Innerhalb werblicher Kommunikation und Präsentation setzen hingegen immer mehr Unternehmen, aus Gründen der besseren Differenzierung als Marke, auf eine verspieltere, aufwändigere Bildsprache und ein die Eigenständigkeit als Marke hervorhebendes Design.

Windows Fluent Design Illustration, Quelle: Microsoft
Windows Fluent Design Illustration, Quelle: Microsoft

Die Darstellung von Materialität ist dabei keinesfalls auf glänzende Oberflächen begrenzt, etwa Glas oder Metall. In dieser Hinsicht ist der Titel zu diesem Beitrag zugegebenermaßen nicht optimal. Was dieser hingegen gut beschreibt, ist die Wiederbelebung eines Gestaltungsprinzips. „Glossy“ ist hier also nicht ausschließlich als „glänzend“, sondern auch im Sinne von „prächtig“ zu verstehen.

Auch eine detailreiche Oberflächengestaltung, wie die von Microsoft im Herbst letzten Jahres präsentierte, mit einem üppigen, auffallend verspielten Illustrationsstil (Abb. oben), bei dem die Beschaffenheit der Oberfläche, ihre scheinbare Porosität, visuell dargestellt ist, würde ich diesem Trend zuschreiben. Schon vor fünf Jahren, als im Zuge des Redesigns der Windows-Icons veränderte Designprinzipien zur Anwendung kamen, wurden grafische Zeichen plastischer, „greifbarer“. Eine Entwicklung also, die sich über viele Jahre vollzieht. Falls es nach „Skeuomorphismus“ und „Neumorphismus“ eine Bezeichnung für diese Design-Stilrichtung bedarf, dann ist es vielleicht Decomorphismus.

Puristen und Freunde minimalistischer Gestaltung werden die Entwicklung womöglich mit Skepsis beäugen. Farben- und Formenvielfalt-liebende Menschen hingegen dürften die wieder entfachte Verspieltheit, Plastizität und Materialität als Bereicherung ansehen, als Abwechslung von allzu schmuckloser Gestaltung.

Wie gefällt dir die u.a. von Google und Microsoft propagierte wiederbelebte verspieltere Design- und Bildsprache?

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Mediengalerie

Edit 12. Juni 2025: Im Rahmen der WWDC25, Apples Entwicklerkonferenz, hat Apple seine neue Designsprache Liquid Glass vorgestellt. In vielerlei Hinsicht bestätigt sich der in diesem Beitrag beschriebene Trend in Richtung Materialität, wird die zunehmende Betonung von Räumlichkeit bekräftigt. Wieder ist bei Apple, wie schon vor 25 Jahren bei Aqua, Glas das Material der Wahl.

Dieser Beitrag hat 11 Kommentare

  1. Sehr interessant wie Trends manchmal “entstehen”. Man bekommt irgendwie den Eindruck, die Design-Teams sprechen sich ab oder wohnen in einer WG. Nun werden ja auch bei Apple einige Leaks zum neuen iOS (inkl. aller anderen Apple OS) bekannt. Und auch hier werden Gerüchte laut, dass die Designs sehr viel mehr glossy werden, und das mit Transparenzen und mehr Farben gespielt wird. Das kann doch kein Zufall sein, dass wirklich alle großen Player nahezu zeitgleich damit aufschlagen (man beachte die enorme Entwicklungszeit dahinter, womit man stupide Reacts des einen vom anderen ja ausschließen kann).
    Ich bin diesbezüglich eher unschlüssig. Zum Einen ist frischer Wind immer gut im Entwicklungsprozess. Birgt aber auch Gefahren, Anhänger des Alten zu vergraulen bzw. dass das Neue auf breites Nichtgefallen stößt (Windows kann da ein Lied von Singen).
    So geht es mir jedenfalls beim hier gezeigten Google Design Visual und auch bei Microsoft. Das wirkt auf mich infantil und viel zu bunt und schrill. Willkommen zurück im Windows XP würde ich meinen. Mein Nerv trifft es nicht und ich würde zum jetzigen Zeitpunkt definitiv die etablierte Designsprache weiterhin bevorzugen.

  2. Herzlichen Dank für diesen Artikel, auf den ich irgendwie unbewusst auch schon gewartet habe!

    Nur eine Sache ist mir am Ende nicht ganz klar geworden: nämlich inwiefern sich die neue Iteration des „verspielteren“ Gestaltens deiner Meinung nach von der letzten unterscheidet. Meinst du damit, dass sich, wie du schreibst, der Detailreichtum auf Illustrationen etc. beschränkt, im Gegensatz zu z.B. Bedienelementen? Oder habe ich etwas überlesen bzw. missverstanden?

    1. Richtig. So wie Du schreibst ist es gemeint. Bislang scheint sich die Gestaltung auf dekorative Grafiken zu begrenzen, wohingegen früher, beispielsweise im UI „Aqua“ von Apple, auch funktionale Bedienelemente aufwendig und plastisch gestaltet waren.

  3. Wenn man sich mal vor Augen führt, wie lange die minimalistische Phase angehalten hat, bin ich gespannt ob der jetzt einleitete Kindergarten-Spielplatz da konkurrieren kann, werden Faktoren wie Zielgruppen-Ansprache, Neutralität und Zeitlosigkeit damit ja deutlich verengt. Auch der rein funktionale Aspekt leidet sehr. Mir persönlich tuen beiden Ansätze ob von Microsoft oder Google jetzt schon etwas in den Augen weh.

  4. Wie viel Gradient soll es sein?

    Google: Ja.

    Leider wirkt diese wirklich übertriebene bunte Verspieltheit mit 3D-Elementen schon sehr kindlich.
    Ein positiveres Beispiel wäre für mich das Redesign der Icons in der AirBnb-App. Da wurden ehemals flache Piktogramme gegen liebevoll animierte und bewegliche Grafiken ersetzt.

    1. Danke für den Hinweis über AirBnbs neue Icons! Ich finde sie schrecklich. Sie passen weder zur Marke, noch zur App. Es wirkt richtig billig. Aber ich habe schon länger mit AirBnb Schluss gemacht, jede Neuigkeit bei denen ist gefühlt schlimmer als die vorige…

      Das Beispiel von Google empfinde ich auch als viel zu kindlich. Dabei bin ich keine Gegnerin dieser Trend und kein Fan von Ultra-Minimalismus. Deshalb kann ich bei der Umfrage gar nicht abstimmen… Die Trend ist ok, es hinkt wie immer eher an der Umsetzung.

  5. Es scheint, der letzte flat-Trend, der lange angehalten hat, sorgt jetzt für eine extreme Gegenreaktion. Ob das jetzt so lange durchhalten wird oder sich überhaupt im Mainstream durchsetzt?

    Ich persönlich mag bunte Farben und komplexe Formen, ich mochte auch den Skeumorphismus sehr. Flat ist in einer sehr modernistischen Welt ganz gut (und vermutlich auch letztendlich leichter umzusetzen), aber mit der Zeit wurde doch alles sehr einheitlich.

    Ist der noch im aktuellen Flat-Design vorhandene Trend nach kräftigen Farben vielleicht schon eine Umkehr wieder mehr ins Bunte, verspielte?

  6. Ist es vielleicht auch eine Folge des technischen Fortschritts?
    Verspricht man sich bei modernen 4K-Monitoren nun weniger Verpixelungen und abgestufte Farbübergänge als noch vor zehn Jahren?
    Wirkten die Flat-Designs in ihrer Entstehungszeit nicht eben auch “reiner” und “sauberer”, weil Glossy-Designs gerade bei Tablets und Smartphones in Kleindarstellung zu arg zum Pixelbrei wurden?
    Gerade auch die Materialanmutung funktioniert ja nur, wenn der Monitor das richtig mitmacht.

    Ich fühle mich da ein bisschen an Arial und Calibri erinnert, wo eben auch die fortschrittlichere Auflösung von Monitoren und Druckern mehr Rundungen zuließ.

    Und wo schon Windows XP erwähnt wurde: Ich weiß auch noch, wie ekelhaft stufig die abgerundeten Ecken bei Windows XP aussahen. Die genauso abgerundeten Ecken bei Windows 11 wirken schon nicht mehr so – was natürlich allein an den besseren Monitoren liegt.

    1. Das ist ein guter Punkt. In den niedrig aufgelösten Screens von früher musste man sehr stark auf Anti-Aliasing zurückgreifen, um harte Pixelkanten zu vermeiden – was dazu geführt hat, dass man dann einen recht unscharfen, verwaschenen Look hatte.

      Noch bei Windows XP war Anti-Aliasing beim Text selbst ja nur eine optionale Funktion, die man aktivierten konnte. Und das sah teilweise schlimm aus mit den farbigen Subpixeln.

      Jetzt mit Auflösungen von 4K bei 30″ Bildschirmen hat man natürlich derlei Probleme nicht mehr.

  7. Ist der noch im aktuellen Flat-Design vorhandene Trend nach kräftigen Farben vielleicht schon eine Umkehr wieder mehr ins Bunte, verspielte?

    Ist es vielleicht auch eine Folge des technischen Fortschritts?

    Kommunikationsdesign und digitale Medien sind heute, anders als vielleicht vor dreißig Jahren, untrennbar verbunden. Verändertes Medien- und Konsumverhalten wirken sich unmittelbar auf das Design aus. Das Plakat zur Kieler Woche 2015 dokumentiert diese Verbindung und den Einfluss des Digitalen sehr anschaulich, wie ich finde.

    Heute sind es Farben aus dem RGB-Farbraum, die dominieren. Aus Gründen: Farben aus dem CMYK-Farbraum wirken am Bildschirm im direkten Vergleich oftmals blass. Und als blass und blutleer möchten Marken nicht wahrgenommen werden, sondern als attraktiv und modern.

    Trotz des fortwährenden technologischen Fortschritts ist es wahrscheinlich, dass nicht alle den Trend zu 100 Prozent gesättigten Farben mitmachen werden. So wie auch nicht alle Marken/Unternehmen den Flat-Design-Trend mitgemacht haben. Denn abgesehen von technischen Schwierigkeiten – RGB-Farben lassen sich im Print nicht 1:1 darstellen – bestehen auch strategische Herausforderungen: ausschließlich 100 Prozent gesättigte RGB-Farbtöne verwenden heißt, dass die Chance, sich über Farben differenzieren zu können, geringer wird. Wie sich beispielsweise anhand der großen und zunehmenden (!) Anzahl an Marken ablesen lässt, die mittlerweile ein maximal leuchtendes Ultramarinblau verwenden.

    Microsoft hat im Zuge der Vorstellung des neuen Illustrationsstil im Fluent-Design genau dies angedeutet, und dezentere Farben beziehungsweise einen subtileren Umgang mit leuchtenden Farben gewählt.

    Eines der Spannungsfelder, in dem sich Markendesign bewegt: Differenzierung < > Modernität

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