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THE LÄND – Bescheidenheit war gestern

Willkommen in „THE LÄND“
Willkommen in „THE LÄND“, Quelle: Staatsministerium Baden-Württemberg

Baden-Württemberg ist nach 22 Jahren nicht mehr das Land, indem die Menschen alles können, außer Hochdeutsch. Seit vergangenen Freitag ist Baden-Württemberg „THE LÄND“. Mit der neuen Standortkampagne will das Land Fachkräfte aus dem Ausland anwerben. An den Bedürfnissen der Umworbenen geht die Kampagne, die von vielen Einheimischen als große Peinlichkeit betrachtet wird, gänzlich vorbei. Ein Kommentar.

Würde man den Erfolg einer Standortkampagne daran bemessen, wie viele Schlagzeilen ein Claim wenige Tage nach seiner Präsentation produziert, könnte man den Machern hinter „THE LÄND“ gratulieren. „THE LÄND“ ist in den deutschsprachigen Medien in aller Munde. Realisiert wurde die Standortkampagne in Kooperation mit den Agenturen Jung von Matt/Neckar (Kampagne/Design) und Milla und Partner (Event). Beide Agenturen setzten sich mit ihren Ideen im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung gegen die Konkurrenz durch.

Aufmerksamkeit in deutschen Medien ist gut und schön, allerdings vor dem Hintergrund des Kampagnenzieles im Grunde wertlos. Denn schließlich leben die so umworbenen Fachkräfte im Ausland und sprechen in aller Regel kein Deutsch. Weder werden die meisten von ihnen Baden-Württemberg kennen, noch haben sie vom Rummel um den im seltsamen Englisch verfassten Claim „THE LÄND“ etwas mitbekommen. Aufmerksamkeit alleine reicht nicht. Ich würde sogar einen Schritt weiter gehen: die Werbekampagne als solche reicht nicht. Meiner Meinung nach ist eine klassische Kampagne ein falsches, da veraltetes Handlungsinstrument. Als könne ein Claim einen Menschen zur Einwanderung bewegen. Skandinavische Länder oder auch die Schweiz zeigen, wie es geht. Dazu gleich mehr.

Wer allein in Kampagnen denkt und dabei den Erfolg von Kampagnen an möglichst vielen Klicks, vielen Schlagzeilen oder an Werbe- oder Designpreisen bemisst, wird vermutlich wenig dazu beitragen können das Problem des Fachkräftemangels zu lösen. (Wir) Designer können bei dieser gesamtgesellschaftlichen Herausforderung durchaus einen wertvollen Beitrag leisten, aber nicht so, nicht auf diese Weise, nicht indem wir für Bundesländer und Städte Dachmarken kreiieren. Mit Marketing-Kniffen wird sich Strukturwandel nicht herbeiführen lassen. Es bräuchte echte, substanzielle Veränderung und Verbesserung.

Die Corona-Pandemie hat die Defizite in aller Schonungslosigkeit offen gelegt, etwa im Bereich digitaler Infrastruktur und in Bezug auf digitale Angebote, Stichwort eGovernment. Deutschland rangiert mit seinen eGovernment-Angeboten im Vergleich zu den 28 EU-Mitgliedstaaten auf Platz 21 (Quelle: DESI). Verwaltungen und Behörden müssen in die Lage versetzt werden, dass sie schneller und vernetzter agieren können. Fordern tun dies alle. Es hapert, wie so oft, an der Umsetzung. Weil die Landesverwaltung von Baden-Württemberg es nicht hinbekommen hatte ein gescheites Impfportal zu entwickeln, so wie jedes andere Bundesland auch, entschloss sich der 17-jährige Julian Ambrozy kurzer Hand eine Impftermin-Suchmaschine ins Netz zu stellen, sodass freie Termine sofort angezeigt werden. In wenigen Tagen machte der Schüler möglich, was von Bedenkenträgern innerhalb der Verwaltung offenbar bewusst verhindert wurde. Keine Kampagne der Welt kann diese Verkrustung innerhalb Verwaltungsstrukturen lösen.

Deutschland und seine Länder können nur durch Bürokratieabbau im internationalen Wettbewerb um Fachkräfteanwerbung bestehen. Dann könnte die Ansiedlung junger und motivierter Unternehmen gelingen. Obendrein täte es der auf Perfektion ausgerichteten Leistungsgesellschaft in Deutschland gut, wenn Scheitern und Fehlermachen als Teil der Lösung begriffen würden. Dafür braucht es nicht weniger als einen Kulturwandel.

„Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ war 22 Jahre lang das Motto der Vorgängerkampagne. Wie lautet das Fazit? Es gab zahlreiche Awards. Auch sonst gab es „viel Respekt und Anerkennung“, wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Freitag erklärt. Laut einer Studie der Universität Hohenheim 2017 ist dies der in Deutschland bekannteste und beliebteste Slogan. Aufmerksamkeit, die gab es. Zu einem höheren Bekanntheitsgrad im Ausland scheint die Kampagne dem Land jedoch nicht verholfen zu haben. Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg, die ebenfalls bei der Vorstellung der „THE LÄND“-Kampagne zugegen war, schildert, sie müsse im Ausland regelmäßig erklären wo Baden-Württemberg liege. Erst wenn Firmennamen wie Mercedes, Porsche und Bosch fielen, wüssten Gesprächspartner mit dem Landesnamen etwas anzufangen. Ein Vorteil von „THE LÄND“ sei zudem, dass es Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, viel leichter über die Lippen komme als „Baden-Württemberg“. Im Rahmen einer Show mit Comedian Bülent Ceylan wäre dies vermutlich ein Lacher. An diesem Freitag Vormittag jedoch lacht keiner der geladenen Gäste und Pressevertreter. Denn das Land Baden-Württemberg meint es vollkommen ernst.

Gemessen am Ziel, Fachkräfte ins Land zu locken, fällt die Bilanz der Vorgängerkampagne jedenfalls nüchtern aus. Baden-Württemberg ist laut BMWi von allen Bundesländern am stärksten von Fachkräfteengpässen betroffen. In keinem anderen Bundesland gibt so viele offene Stellen in den sogenannten Engpassberufen wie in Baden-Württemberg, 86,5 % waren es 2019. Trotz hochdekoriertem Werbespruch. Gesagt werden muss freilich, dass die Vorgängerkampagne auch nicht mit dem Fokus auf eine internationale Zielgruppe hin ausgerichtet worden ist. Genau dies möchte man nun ändern.

In gewisser Weise sind Werbesprüche wie diese vielleicht sogar schuld am Fachkräftemangel. Ein Gedanke. Womöglich wurden all die Jahre in Baden-Württemberg wie auch in anderen Bundesländern die falschen Schwerpunkte gesetzt. Wer sich möglichst vorteilhaft präsentieren möchte und dafür viele Millionen Euro in die Hand nimmt, dem braucht man als beauftragte Agentur nicht mit Defiziten, Mängeln und Schwächen zu kommen. Das Budget für die „THE LÄND“-Kampagne beläuft sich in den nächsten beiden Jahren auf 21 Millionen Euro. Und wenn schon die Mittel freigegeben wurden, was schwer genug gewesen sein dürfte, will man kein „aber“ hören. So ist es leicht nachzuvollziehen, dass die Präsentationsveranstaltung am vergangenen Freitag eine 70-minütige Lobhudelei-Show war, bei der einzig die Stärken des Landes hervorgehoben und die Vorteile der neuen Kampagne angepriesen wurden. Aber … mal ehrlich. Glaubt denn ernsthaft jemand in Stuttgart, dass ein flotter Spruch für im Ausland lebende Menschen ein Grund dafür ist ins Ländle auszuwandern?

„THE LÄND“ klingt albern, ist kindisch und erzeugt Fremdscham. Obendrein ist der Claim rein typographisch betrachtet ziemlich verunglückt. Denn das Auge liest aufgrund der schlechten Zeichenabstände „THE L ÄND“. Optischen Randausgleich beherrschen auch Agenturen in Baden-Württemberg, soviel ist klar. „THE L ÄND“ jedoch lässt jeglichen Sinn für Ästhetik vermissen. Qualität, Präzision und Liebe zum Detail vermittelt der Schriftzug nicht im geringsten. Entscheidender jedoch ist, dass sich eine solche Werbemaßnahme insgesamt nicht verifizieren lässt. Es gibt für eine solche Kampagne, ähnlich wie bei Wahlplakatkampagnen, keine Messmethode, mit der sich empirisch ein Erfolg von „THE LÄND“ belegen ließe, bzw. ein Misserfolg. Ob die so investierten 21 Millionen tatsächlich Fachkräfte ins Land locken – denn genau DAS fragen sich die zur Kampagne befragten Menschen in Stuttgart –, dazu wird und kann es keine belastbaren Daten geben. Soviel Ehrlichkeit muss sein.

Eindeutig ermitteln lässt sich hingegen, wie viele Tennissocken-Paare in den sogenannten „FÄN-Shops“ verkauft werden, oder gelbe Hoodies. Ein User auf Facebook wundert sich: „Baden-Württemberg macht Werbung für Baden-Württemberg in Baden-Württemberg?“ Mit seiner Verwunderung ist er nicht alleine. Tragetaschen für in Stuttgart Lebende, statt Angebote explizit für potentiell einreisewillige Fachkräfte im Ausland. Auch deshalb wirft diese Kampagne Fragen auf.

Fragen wie: wo ist das vom Land geförderte digitale Angebot, mit dem Fachkräfte im Ausland dezitiert angesprochen werden? Die begleitende Kampagnen-Website thelaend.de kann es nicht sein, denn sie ist rein in deutscher Sprache angelegt und bietet keinerlei – wirklich keinerlei – relevante Informationen zum Themenkontext Einwanderung und Beschäftigung. „Aus Baden-Württemberg in die Welt hinein“, so Kretschmanns Erklärungsversuch, weshalb „THE LÄND“ zunächst im Land beworben wird. Das ist natürlich furchtbar umständlich.

Wenn es darum geht Talente auf sich aufmerksam zu machen und anzulocken, ist laut INSEAD kein Land so erfolgreich wie die Schweiz. Nicht eine Werbekampagne sichert diesen Erfolg, sondern die vor Ort geschaffenen günstigen Rahmenbedingungen. Gleiches gilt für Dänemark, das hinter der Schweiz zu den attraktivsten Standorten in Europa zählt. Wie sich ein Maßnahmenpaket schnüren lässt, das an den Bedürfnissen der Umworbenen ausgerichtet ist, Stichwort User-Centered-Design, zeigen Länder wie Schweden oder Finland, und zwar ganz ohne Claim.

„Move to …“ ist im Kontext Anwerbung von Fachkräften international etwa ebenso gebräuchlich wie „visit …“ im Tourismussektor. In Stockholm oder Helsinki ist man darauf eingestellt und bietet entsprechende Landing-Pages. Göteborg nutzt mit movetogothenburg.com hierfür eine eigene Domain, ebenso wie Estland mit workinestonia.com. Sucht man hingegen nach „move to Mannheim“ oder „move to Karlsruhe“, landet man bei regionalen Umzugsdienstleistern oder Sportgruppen. Auch die Suche nach „Move to Baden-Wuerttemberg“ bleibt ergebnislos. Lediglich Stuttgart bietet unter welcome.stuttgart.de ein entsprechendes Angebot. Allerdings wird es mit der Phrase „move to Stuttgart“ bei Google nicht unter den ersten zehn Einträgen gelistet.

Statt sich also beispielsweise mit der in diesem Zusammenhang international am meisten verwendeten Suchphrase zu beschäftigen, schuf man eine in aller Welt erklärungsbedürftige, denglische Bezeichnung. Eine Bezeichnung, die für kurze Zeit in Deutschland Aufmerksamkeit schafft und ein weiterer Beleg für German Größenwahn zu sein scheint. Bewusst wolle man nun die typische Bescheidenheit ablegen, wie Peter Waibel von Jung von Matt/Neckar im Rahmen der Präsentation erklärt. Baden-Württemberg sei nicht irgendein Land, sondern eben DAS Land. Das Land mit den allerbesten Bedingungen. Oder wie Hoffmeister-Kraut sagt: „Wir sind spitze, wir sind top, wir sind führend.“ Man fragt sich wozu es dann diese Kampagne benötigt, wo doch alles so perfekt ist.

Mit einer ganz ähnlichen Wir-sind-das-Maß-der-Dinge-Mentalität und der gleichen Sprachlogik ist Volkswagen vor sechs Jahren krachend gescheitert. Nachdem der Dieselskandal im September 2015 öffentlich wurde, flog dem Autobauer der Claim „Das Auto“ um die Ohren. Anspruch und Wirklichkeit lagen einfach zu weit auseinander, deshalb wurde der Claim untragbar und wenige Monate später abgelegt. Dabei steht der Wolfsburger Konzern stellvertretend, wie im NDR-Podcast „Winterkorn und seine Ingenieure“ gut herausgearbeitet wurde, für eine (typisch deutsche?) Kultur, in der Scheitern keine Option darstellt. Daran gilt es in Deutschland zu arbeiten, in Unternehmen, Verwaltungen und Behörden.

Auch wenn „THE LÄND“ aufgrund seiner humorigen Note weniger anmaßend ist als das VW-Pendant, tut sich das Bundesland mit der Kampagne keinen Gefallen. Im 21. Jahrhundert den Menschen weiß machen zu wollen, es gäbe gewissermaßen den einzig perfekten Ort zum Leben und Arbeiten, bedient eine Erwartungshaltung und Wahrnehmung, wie es sie vielleicht noch in den 1990er-Jahren gab. Heutzutage sind Konsumenten, was die Rezeption von Werbung anbelangt, viel weiter, aufgeklärter, kritischer. Inhaltsstoffe, Verpackungsmaterial und die Lieferkette eines Produktes werden hinterfragt. Menschen wissen, dass die Dinge nicht perfekt sind, zu keinem Zeitpunkt waren und auch niemals sein werden. Besser als jeder Werbespruch, wären Schlagzeilen wie: „Das schnellste Internet der Welt gibt es in Baden-Württemberg“. Stattdessen muss sich Deutschland im weltweiten Vergleich weit hinter Rumänien und Ungarn einordnen und sich mit Platz 31 begnügen (Schweden Platz 7, Schweiz Platz 9). Bei aller Bescheidenheit – aber das geht besser! Es braucht substanzielle Veränderung, keine in Werbung verpackte warmen Worte.

Dieser Beitrag hat 40 Kommentare

  1. Tja, Jonas,
    so sind die Dinge: Ich finde die Kampagne nicht gelungen.

    WTF
    Ich verfolge die Strategie von Jung v. Matt seit Jahren.
    Es ist die Trojaner-Strategie.

    Sie war mal toll, in den Nuller-Jahren – verfängt jedoch immer weniger.
    Nur die sich hinter dem Mond befindlichen old school Kunden wie Kretschmann et alii oder Kommunale finden die immer noch super.

  2. Ich bin Schwäbin, lebe im Exil in Berlin und leite ein sehr internationales Kommunikationsteam. In meinem Team gibt es außer mir keinen weiteren deutschen Staatsbürger, alle kennen zahlreiche baden-württembergische Exportschlager, aber Baden-Württemberg kennen sie nicht. Stuttgart?! Baden-Württemberg?! Where Mercedes and Porsche come from. And Bosch. Really?! Wasn’t aware. Also so ungefähr ;)
    Warum ich das sage? Ich finde den Ansatz nicht falsch, es kommt sehr auf die Umsetzung an, auch wo die Kampagne stattfinden soll und wie sie außerhalb von BW bzw. Deutschland umgesetzt wird; dass sie zum Launch vor Ort vorgestellt wurde, ist ja normal. Ich denke, dass ein Umlaut an sich wirklich Aufmerksamkeit generieren kann, das kennen viele nicht aus der eigenen Sprache. es ist dann die Frage, was mit dieser Aufmerksamkeit gemacht wird. Was ist die Message darunter.
    Das „move to“ Thema ist ja der nächste Schritt, wenn es darum gehen soll, gut ausgebildete Einwanderer anzuwerben. Erst einmal Aufmerksamkeit und diese hoffentlich verbunden mit einem aha-Moment, der hängen bleibt und den man dann später nutzen kann.
    Ich würde also erst einmal sagen: abwarten! Zumindest verstehen The Länd auch Menschen, die nicht auf C2 deutsch Level sind und ich mag die Selbstironie, die auch alles außer Hochdeutsch hatte.

    1. Danke für deine Sichtweise, die bereichert die Diskussion. Und du hast (auch) Recht, vielleicht sollte man Abwarten wie sich diese Kampagne entwickelt. Allerdings bleiben wird der technsiche Mangel der Umsetzung von der Marke The Länd – da lasse ich dann auch den Selbstironie-Joker nicht gelten.

      Zu den Umlauten: Es gab in Österreich ganz kurz eine Fernbusmarke der ÖBB names Hellö:

      Quelle: https://moodley.at/idsheet/helloe/

      Auch diese spielte mit der Idee der Kombination von englischem Wort und einem Umlaut. Ich fand es damals eine ganz ansprechende Idee, aber durchgesetzt hat sich das dann doch nicht. Die Hintergründe mögen wahrscheinlich an der Branche liegen und weniger am Ö oder der Kombination „Hell Ö“ aber es war ebenso generisch wie The Länd. Soll heißen, man müsste viel Energie investieren, damit man das Bundesland mit der Marke in Verbindung bringt. Ich fürchte nämlich, dass im Ausland als Absender die gesamte Bundesrepublik verstanden werden könnte und nicht explizit BaWü – einfach weil Ä mit Deutsch in Verbindung gebracht wird und Land als kurzer Stellvertreter DeutschLAND.

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