The all-new Affinity – kostenfrei, für alle, für immer
Seit Anfang Oktober wurde innerhalb der Kreativbranche spekuliert, wie die „neue Ära echter kreativer Freiheit“ aussehen mag, die Serif in einem Mailing angeteasert hatte. Nun ist klar: der Launch von „Affinity Studio“ ist sehr viel mehr als die Ausspielung der Software unter der nächst höheren Versionsnummer.
Serif ist ein 1987 in Nottingham, Großbritannien, gegründetes Softwareunternehmen, das kreative Anwendungen für Bildbearbeitung, Grafikdesign und Desktop-Publishing entwickelt. Unter der Marke Affinity veröffentlichte Serif ab 2014 die Programme Affinity Designer, Affinity Photo und Affinity Publisher, die als günstige Alternativen zu Adobe-Lösungen bekannt wurden. Die Software ist für Windows, macOS und iPadOS verfügbar. Im März 2024 wurde Serif von Canva übernommen.
Als Ashley Hewson, CEO von Serif, im März 2024 die Übernahme von Serif (Affinity) durch Canva bekannt gegeben hatte, ahnten viele der weltweit 3 Millionen Anwender der Affinity-Programme nichts Gutes. Viele befürchteten, dass das bisherige Geschäftsmodell von Affinity mit Einmalkauf in ein Abonnement-Modell (Abo) umgewandelt und die Produktentwicklung zukünftig weniger auf Pro-Anwender zugeschnitten werden könnte.
Mit dem vor wenigen Tagen von Canva vorgestellten „All-New-Affinity“ dürften vieler diese Befürchtungen ausgeräumt werden. Hewson betont, die Software werde für jeden permanent kostenfrei sein. Über die Anbindung an Canva wurden in Affinity erstmals KI-Funktionen integriert. Diese kostenpflichtige Ergänzung ist jedoch optional. Allerdings benötigen Anwender einen eigenen Canva-Account, um Affinity nutzen zu können.
Elf Jahre nach der initialen Markteinführung wird die Affinity-Software im Prinzip ein zweites Mal gelauncht. In der neuen Affinity-Software sind nun Vektor-, Foto- und Layout-Tools in einem Programm vereint. Die Markenkommunikation und das Brand Design wurden zudem umfassend erneuert.
Das bisherige Markenlogo, eine Dreiecksgrafik mit stilisiertem Großbuchstaben „A“, ist nun Geschichte. Ab sofort fungiert ein geschwungenes „a“ als Markenabsender (Logo, App-Symbol, Favicon, etc.) von Affinity. Während das alte Logo vom Ausdruck her vor allem technische Präzision und Funktionalität reflektiert, lässt sich die neue Form als spielerisch, fließend beschreiben. Anstelle der FSKoopman kommt als Hausschrift nun die eigens entwickelte Serifenschrift Affinity Serif zum Einsatz.
Im Zuge der Verschmelzung zu einer zusammengehörigen Arbeitsumgebung führt Affinity das neue Dateiformat „.af“ ein. Die in Affinity Photo (.afphoto), Affinity Designer (.afdesign) und Affinity Publisher (.afpub) erstellten Dateien lassen sich auch in Affinity öffnen – umgekehrt funktioniert dies jedoch nicht.
Entstanden ist das neue Markendesign unter der Leitung von Tom Carey, dem Kreativdirektor von Canva Europa, in Kollaboration mit Design by Twist (Barcelona), MBJ Studio/James Martin, Rob Clarke. Für das Typedesign zeichnet Ohno (ohnotype.co) verantwortlich.
Auch die Domain wurde verändert. Besucher, die serif.com aufrufen, werden nun auf die Hauptdomain affinity.studio umgeleitet. Da Serif seit März 2024 zu Canva gehört, werden alle Informationen, die das Tochterunternehmen Serif betreffen, zudem unter der Domain canva.com veröffentlicht.
Kommentar
Ein für jeden dauerhaft kostenfreies leistungsmächtiges Software-Paket im Kontext Design. Man reibt sich Augen und Ohren und denkt sich: irgendeinen Haken wird die Sache haben. Serif selbst ist dafür verantwortlich, dass Ankündigungen aus dem britischen Software-Haus seit einiger Zeit mit einer gewissen Skepsis aufgenommen werden. Denn im September 2022 postete Serif auf damals noch Twitter, in Reaktion auf den gescheiterten Versuch der Übernahme von Figma durch Adobe: „Ain’t nobody acquiring us 😎“. Eineinhalb Jahre später wurde Serif von Canva übernommen.
Seitdem haben sich die Affinity-Produkte, so jedenfalls mein Eindruck als Anwender der ersten Stunde, nicht zum schlechteren entwickelt, im Gegenteil. Sicher – Blend, eine fortgeschrittene Automatisierung und weitere wichtige Funktionen und Formatunterstützungen (avif) fehlen bis heute. Schon in ein, zwei Monaten soll es die Blend-Funktion auch in Affinity geben, heißt es. Image Trace (Bild-Vektorisierung), ebenfalls ein von Anwendern oft nachgefragtes Feature, wurde mit dem nun erfolgten Launch in Affinity integriert.
Es gilt freilich im Blick zu halten, dass die Affinity-Programme in der Vergangenheit zu einem Bruchteil der Kosten angeboten wurden, welche für eine jährliche Adobe-CC-Lizenz fällig werden. Nun hat Canva/Serif verkündet, gewiss nicht zufällig am letzten Tag der diesjährigen Kreativitätskonferenz Adobe MAX, dass Affinity sogar komplett gratis bereitgestellt wird.
Die Anbindung an Canva war erwartbar. Die damit verbundene (unaufdringliche) Integration der optionalen kostenpflichtigen KI-Funktionalität ist nachvollziehbar. Ich frage mich, wie viele der 3 Millionen Affinity-Anwender ein Canva-Premium (de facto ein In-App-Kauf) werden buchen müssen, damit das Geschäftsmodell als Freemium–Software aufrecht erhalten werden kann. Von Liebe für Design und Kreativität allein kann auch das Entwickler-Team von Affinity nicht dauerhaft leben. Meine Wertschätzung für die Arbeit des Teams, dies will ich gerne einstreuen, könnte nicht größer sein.
Angesichts des kostenfreien Zugangs und der großen Leistungsfähigkeit der Software kann man am neuen Markendesign von Affinity eigentlich keinerlei negative Kritik üben. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, heißt es redensartlich. Solange die Performance stimmt und das UX-Design nutzerzentrisch ist. Oder etwa doch?
Zeitlos scheint mir die stylische Gestaltung nicht eben zu sein – vielmehr dem aktuellen Zeitgeist folgend. Hier ist sie sichtbar, die Nähe zu Canva und zur Social-Media-Sphäre 🎉 🥳 🚀 🤩. An dieser Art expressiver Typo und visuellem Popcorn hat sich das Auge auch schnell satt gesehen.
Mediengalerie
Weiterführende Links


























Als Donald Trump in seiner ersten Amtszeit Adobe vorschrieb, das CC-Abo für Venezuela zu unterbinden, habe ich das erste Mal darüber nachgedacht, was politische Kriegsführung im Web bedeuten kann. Und wie das mit meiner Existenz wäre, wenn das Abo für Europa verboten würde. Insofern hatte ich mir gleich die damalige britische Affinity-Software eingekauft, aber schlussendlich nie wirklich ernsthaft mit gearbeitet – Gewohnheitstier eben.
Jetzt freuen sich meine Studierenden und ich ebenfalls, dass eine solide Layoutsoftware zum ausprobieren so unkompliziert zur Verfügung steht.
Aber ich denke bei der kostenfreien Programm-Versionen eher an die Office-Suite von Microsoft. Unzureichend funktionierende, aufgeblähte Software, die sich überall mit dem Windows-Systemen verbreitete. Da entstanden neue Gewohnheitstiere, die dann professionell Gestaltetes am liebsten im Word oder Powerpoint weiterbearbeiten wollten. Designer:innen wurden gezwungen, Briefbögen im Word aufzubauen und andere Blüten trieben hervor. Das ist das was ich für uns Gestaltende nun befürchte. „Bitte gestalten Sie mir das auch im Affinity!“ Damit schön ahnungslos weiter herum gepfuscht werden kann. Wir gestalten dann nicht nicht mehr Druckprodukte o.ä. sondern Programm-Templates für Affinity, die schlimme Blüten treiben wird Insbesondere Internetdruckereien werden überschwemmt. Alles billig und selbstgemacht und endlich unabhängig von den teuren Designleistungen. Unsere Leistung wird wieder ein Stück weiter banalisiert. Ich sehe mich schon Affinity erklären für Kund:innen.
zu modisch…
Das neue Affinity-Logo erinnert mich an das neue Logo der Kölner Philharmonie, über das im Artikel zuvor berichtet wurde.
Und warum gibt es eigentlich keine Linux-Variante von Affinity?