Skip to content

Politische Farbenlehre: die SPD ist rot, die Grünen sind grün und die CDU ist orange, cyan, petrol, stahlblau, umbra und khaki

Politische Farbe
Politische Farbe

Früher war nicht alles besser, aber vieles einfacher, schlichter, weniger definiert. Zeitungen wurden in schwarz-weiß gedruckt, das Farbfernsehen war noch nicht erfunden, es gab weder RGB- noch CMYK-Modus, und auch Corporate Design gab es als Disziplin noch nicht, und somit deutlich weniger Vorgaben wie etwas auszusehen hat.

Zu den Anfängen politischer Kommunikation setzten Bewegungen und Parteien, unabhängig von ihrer inhaltlichen Ausrichtung, durchweg auf die Farbe Rot, ihrer einzigartigen Signalkraft wegen. Ein auch im Farblichen differenzierendes visuelles Erscheinungsbild begann sich erst nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland (1949) zu entwickeln. Abgeschlossen ist die Genese der politischen Farbenlehre auch heute nicht.

Am Wahlabend ist ihr großer Auftritt: farbige Balken- und Kreisdiagramme verkünden den Stimmenanteil der Parteien und damit den Ausgang der Wahl. Die hierbei angewandte Farbzuordnung besteht seit Jahrzehnten: Rot steht für die SPD, Schwarz für die CDU, Gelb für die FDP, Grün für Bündnis90/Die Grünen und Rosa (bisweilen Magenta und auch Lila) für Die Linke. 2013 kam mit der AfD die Farbe Blau hinzu. Alle anderen Parteien werden unter der Nichtfarbe Grau subsumiert. Während in anderen europäischen Staaten Orange als Auszeichnungsfarbe oft zur Anwendung kommt und sowohl christdemokratische Parteien wie die CD&V (Belgien), liberale Parteien wie die PO (Polen), bis hin zu nationalliberalen Parteien wie die VVD (Niederlande) repräsentiert, sieht man orangefarbenen Balken in Deutschland, stellvertretend für die Freien Wähler oder auch für die Piratenpartei, eher selten.

Die Farben für derlei Diagramme geben die Parteien keineswegs vor, sondern sie werden ihnen zugewiesen. Zugewiesen früher zunächst von Kartografen, später dann von Grafikern, Redakteuren, heutzutage auch durch Editoren (Wikipedia, u.a.), Informationsdesignern und anderen Medienschaffenden. Bei der Gestaltung orientieren sich diese weniger bis kaum an geltenden Designvorgaben der Parteien, sondern sie folgen Traditionen und Konventionen, die im politischen Kontext schon sehr lange bestehen – teilweise reichen diese bis in die Antike zurück, worauf noch eingegangen wird.

Gelegentlich kommt es vor, dass staatliche Stellen, wie das österreichische Bundesministerium für Inneres, Farbzuteilungen vornehmen (siehe PDF), um so im Rahmen eigener Veröffentlichungen für eine gewisse Einheitlichkeit zu sorgen. Grundsätzlich wird die Verwendung von Farben im Zusammenhang von Wahlen jedoch weder zentral koordiniert, noch in irgendeiner Weise überwacht, sodass in Diagrammen, Karten und Schaubildern nicht nur je nach Verwender/Berichterstatter unterschiedliche Farbwerte zu Anwendung kommen (Vergleich ARD und ZDF), vielfach variiert auch die Farbzuordnung.

Auf Wikipedia etwa wird die CDU in der Deutschlandkarte zur Bundestagswahl 1998 in schwarz, in der Karte zur Bundestagswahl 2005 in blau, und in der Karte zu Bundestagswahl 2009 wieder in schwarz kenntlich gemacht. Da Konservative oft mit der Farbe Blau assoziiert werden (Conservative Party/Großbritannien, PP/Spanien), ist diese Varianz innerhalb der Farbzuordnung zwar alles andere als konsistent, wirklich „falsch“ ist sie jedoch nicht. Anders verhält es sich hingegen, würde man die SPD in der Farbe Gelb darstellen. Falsch ist diese Zuordnung nicht etwa deshalb, weil Gelb im Corporate Design der SPD nicht vorgesehen ist (zumindest derzeit nicht), sondern weil die Zuordnung Rot = Sozialdemokratische Partei Deutschlands historisch derart verankert ist, auch in den Köpfen der Menschen, dass jede andere Farbzuteilung widersinnig erschiene. Sollte die SPD einmal ihr Erscheinungsbild einschließlich des Parteilogos auf Grün als Primärfarbe umstellen, was im Hinblick auf Entwicklungen im Kommunikationsdesign weniger utopisch erscheint als es zunächst klingt, würde sich dennoch an der historisch geprägten Farbzuordnung nichts ändern.

Assoziierte politische Farbe ≠ Farbe im Corporate Design

Bundestagswahl 2021 Ergebnis, Quelle: ARD/Tagesschau
Abb. 1, Bundestagswahl 2021 Ergebnis, Quelle: ARD/Tagesschau

Farben spielen seit je her eine wichtige Rolle bei der Identitätsbildung von politischen Bewegungen und können oft als Wegweiser für die politische Orientierung dienen. Die assoziierte politische Farbe, dies ist wichtig zu betonen, hat mitunter sehr wenig bis nichts mit dem visuellen Erscheinungsbild der jeweiligen Partei zu tun.

Die Linke beispielsweise, obschon einer sozialistischen Programmatik folgend untrennbar mit der Farbe Rot verbunden, was sich auch im Logo und im Corporate Design farblich niederschlägt, wird in grafischen Schaubildern wahlweise in rosa, magenta oder lila dargestellt, der besseren Differenzierung zur SPD wegen. Als größere Partei, gemessen an der Stimmenanzahl, genießt die SPD gewissermaßen ein unausgesprochenes „Vorrecht“, in der intensivsten aller Farben dargestellt zu werden, der „Farbe des höchsten Genusses und der höchsten Qual“, wie Goethe die Ambivalenz von Rot beschrieb.

Dort wo sozialistisch-demokratische Parteien große Stimmenanteile erzielen, etwa in Chile oder Peru, wird den betreffenden Parteien bzw. Koalitionen (Apruebo Dignidad, Perú Libre) Rot als politische Farbe zugeordnet. Wäre es denkbar, dass die Zuordnung von Rot in Schaubildern, dank der Sogwirkung von Rot, größere Parteien begünstigt, und kleinere Parteien (im linken Spektrum) benachteiligt, da letztere lediglich „Ausweichfarben“ zugewiesen bekommen? Inwieweit die politische Farbe im Sinne des Matthäus-Effekts (the rich get richer) eine lenkende Wirkung hat und bestehende Machtverhältnisse in einem Staat untermauert, wäre wissenschaftlich zu ergründen.

Karten, wie jene zu den Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung 1919 (Mittelbachs Karte, Volksverlag für Politik und Verkehr), zählen mit zu den ersten Medienanwendungen, die Farben im Kontext Politik als differenzierendes Gestaltungselement enthalten. Bevor Willy Brandt 1967, eine rote Schalter-Attrappe symbolisch drückend, die Ära des Farbfernsehens einleitete, wurden Darstellungen von Wahlergebnissen vorwiegend in tabellarischer Form aufbereitet, sei es im Druck mit Bleisatz, mit der Schreibmaschine oder unter Verwendung von Magnettafeln und ähnlichen analogen Hilfsmitteln. Ergänzend dazu kamen Diagramme zum Einsatz, in denen Stimmenanteile mittels Grauabstufungen sowie mit Hilfe unterschiedlicher Schraffuren kenntlich gemacht sind.

Rot – „Symbol für politische Macht und den Willen zur Veränderung”

Mit Rot gehen seit der Antike Herrschaftsansprüche einher. Römischen Kaisern diente Rot der Demonstration von Macht – ihnen allein war das Tragen roter/purpurfarbener Gewände vorbehalten. Auch in heutigen Gesellschaften artikuliert sich Machtfülle über die Farbe Rot – als Beispiele seien die Roben von Verfassungsrichtern und die Kappen von Kardinälen (Pileolus) genannt.

Sansculottes mit roter Mütze (Phrygische Mütze), Quelle: Wikipedia
Abb.2, Sansculottes mit roter Mütze (Phrygische Mütze), Quelle: Wikipedia

Zur Zeit der französischen Revolution, die als Wegbereiterin der Demokratie entscheidenden Einfluss auf die Entstehung politischer Parteien hatte, und gleichsam als Inkunabel der politischen Farbe angesehen werden kann, haben revoltierende Gruppen wie die Jakobiner und Sansculottes (Abb.2), in dem sie rote Mützen trugen (Phrygische Mütze), die Farbe Rot inhaltlich neu besetzt. In einem langjährigen Prozess der Machtumkehrung, weg von einer absoluten Monarchie hin zum Volkssouverän, „verlor Rot den Status eines Distinktionsmittels gehobener Stände – und wurde umso mehr zu einer Leitfarbe der unteren Schichten, ihres sozialen Protestes und schließlich der Arbeiterbewegung“, wie der Politikwissenschaftler und Soziologe Bernd Schüler im Aufsatz „Farben als Wegweiser in der Politik“ konstatiert.

Im Rahmen der verfassungsgebenden Versammlung spaltete sich im Herbst 1789 der Dritte Stand (Bauern und Bürger) in zwei Lager, in Revolutionäre und in gemäßigte Reformisten. Letztgenannte waren dazu bereit dem Adel weiterhin Privilegien zuzugestehen, einschließlich eines Vetorechts für den König. Die Befürworter der Revolution saßen/standen links vom Präsidenten der Versammlung, und diejenigen, die der Revolution kritisch/feindlich gesinnt waren, formierten sich rechts vom Präsidenten. Aus dieser Aufteilung heraus sind Werte und Prinzipien entstanden, die bis heute die politische Landschaft prägen und strukturieren: die „Linke“ (teils revolutionär) und die „Rechte“ (eher konservativ). In dieser Zeit erfolgte zudem die Manifestation von Rot als repräsentierende Farbe der Arbeiterklasse. „Rot ist die Farbe der Revolution, der politischen Bewegungen und des Wandels. Es ist die Farbe der Menschen, die für ihre Rechte kämpfen und bereit sind, für ihre Überzeugungen zu sterben. Rot ist daher auch ein Symbol für politische Macht und den Willen zur Veränderung”, so der Schweizer Kunstpädagoge und Bauhaus-Meister Johannes Itten.

Einfluss von Marketing

Zwischenzeitlich, um die Brücke von der Antike und der Zeit der Aufklärung hinüber ins 21. Jahrhundert zu schlagen, ist die „Phase der Klassenbildung in eine Phase der Klassenauflösung übergegangen“, wie der Sozialhistoriker Jürgen Kocka im Fachmagazin Politik & Kultur (5/2021) resümiert. So sieht sich nicht nur die Sozialdemokratie im Schwinden der klassischen Arbeiterbewegung vor der Herausforderung neue Wählergruppen zu erschließen, auch andere Parteien stellen sich im Zuge des sich zunehmend in Auflösung befindlichen Links-Rechts-Musters mit ihren inhaltlichen Angeboten breiter auf. Was zwangsläufig zur Angleichung der Parteien führt. Umso wichtiger ist es geworden, sich im Visuellen / innerhalb der Kommunikation mit einem eigenständigen, wiedererkennbaren Profil zu positionieren.

Wie zuvor beschrieben, wurden politische Bewegungen mit bestimmten Farben assoziiert, lange bevor sich Werbung und Marketing auch im politischen Betrieb als strategisches Instrument etablierten. Insbesondere zur Zeit der Weimarer Republik begannen Parteien, Beispielen aus der Wirtschaft folgend, die Vorzüge von Plakatwerbung als Kommunikationsmittel zu nutzen. Bis heute ist Plakatwerbung, trotz Digitalisierung, ein von den Parteien gerne und viel genutztes Kommunikationsinstrument. In der Zeit der Weimarer Republik erfuhr Rot ein weiteres Mal eine Umdeutung. Die Nationalsozialisten okkupierten, da sie um die herausragende, suggestive Bedeutung der Farbe Rot als Gestaltungsmerkmal wussten, die bis dahin von den Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten verwendete Farbe. Auch was die Symbolik von Hakenkreuz und Runen anbelangt, bedienten sich die Nazis ausgiebig und ungeniert an historischen Vorlagen, wie Andreas Koop im Buch NSCI aufzeigt.

CDU Textplakat zur Bundestagswahl am 14 August 1949, Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Abb.3, CDU Textplakat zur Bundestagswahl am 14 August 1949

So richtig bunt wurde die politische Farbenlehre hierzulande erst mit Gründung der Bundesrepublik. In ihren Anfängen trat die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) in der Werbung farblich teilweise in gelb, grün und blau auf (Abb. 3). Auch heute präsentieren sich die Christdemokraten multicolor, und wenig einheitlich. Die mit ihnen assoziierte Farbe Schwarz spiegelt sich im Erscheinungsbild der CDU kaum wider. Die Zuschreibung schwarz = CDU erfolgte in Anlehnung an die oft schwarzen Gewänder und Trachten von Geistlichen (Priester/Talar, Nonnen/Habit, Mönche/Skapulier).

Anfreunden konnte sich die CDU mit der ihr zugeschrieben Farbe jedoch nie so recht, trotz legendärer „Black is beautiful“-Bekundung (1972). 1947 trat die CDU teilweise in braun auf. Zu Zeiten Konrad Adenauers warb die CDU in blau und in gelb. Seit 1964 wird im Rahmen der Kommunikation eine rote CDU-Wortmarke verwendet. Rot war bei der CDU in 1970er-Jahren derart angesagt, dass sogar Köpfe bekannter CDU-Politiker vor rotem Hintergrund abgebildet wurden. Drei Dekaden nach der von Peter Hintze initiierten Rote-Socken-Kampagne wäre eine solche Gestaltung schwer vorstellbar. 2004 wurde das Farbspektrum der CDU um Orange erweitert und in Kampagnen eingesetzt, zunächst im Rahmen der Bürgerschaftswahl Hamburg, anschließend bei der Europawahl. Unter der Kanzlerschaft von Merkel kam Orange auch im Wahlkampf zur Bundestagswahl zur Anwendung. Eine Farbe, an die sich auch die SPD in der Vergangenheit heranwagte und die später das Erkennungszeichen der Piratenpartei werden sollte. Im Jahr 2023 präsentiert sich die CDU, bezogen auf die Farbe, ohne erkennbares Profil.

Wahlplakat FDP (1949), Quelle: Wikipedia/Haus der Geschichte
Abb.4, Wahlplakat FDP (1949), Quelle: Wikipedia/Haus der Geschichte

Wie so viele anderen Parteien setzte auch die FDP auf Plakaten bis in die sechziger Jahre hinein auf die Signalwirkung der Farbe Rot. Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 1969 präsentierte sich die FDP, um Abgrenzung zu den anderen Parteien bemüht, programmatisch minimalistisch in schwarz und weiß. Die über viele Jahre andauernde gelb-blaue Phase legte die FDP erst 2015 ab. Gelbe Pullunder sieht man beim Personal der Partei seitdem weniger, schwarze Rollkragenpullover hingegen öfter. Aktuell verwendet die FDP neben einem grellen Gelb zusätzlich als Akzentfarben Magenta, Cyan, Türkis, Violett und Schwarz. Ein ähnlich breites Farbspektrum decken, im Bemühen um eine visuelle Ansprache möglichst vieler unterschiedlicher Wählergruppen, auch einige die anderen Parteien ab.

Die Grünen haben es leicht, könnte man meinen. Bei keiner anderen Partei ist die Verbindung von politischem Anliegen und Farbgebung so naheliegend. Die politische Farbe Grün ist zugleich DAS Markenzeichen der 1980 gegründeten Partei. Dabei ist die Farbe als identitätsstiftendes Alleinstellungsmerkmal von unschätzbarem Wert, auch da Grün überwiegend positiv konnotiert ist. Ein Umstand, den viele Unternehmen, darunter etwa Heidelberg Materials, der zweitgrößte Kohlendioxid-Emittent unter den börsennotierten Konzernen oder McDonald’s, für sich zu nutzen wissen. Rot kann als die am stärksten vorbelastete Farbe angesehen werden; Grün, dank Marketing sowie im Hinblick auf Greenwashing, als die strapazierteste.

Politische Farbe in der digitalen Zeit

Auch in digitalen Zeiten werben die Parteien in TV-Spots, in Anzeigen und auf Plakaten um die Gunst der Wähler. Schon längst hat sich jedoch der politische Diskurs hin zum Leitmedium Internet und ins Umfeld von Social Media verlagert. Echter, konstruktiver Dialog wird dadurch vielfach erschwert. Es genügt nicht mehr, wie in früheren Wahlkämpfen, dass Parteien ihre Leitsprüche auf großen Plakatwänden reproduzieren und über Flimmerkisten in Wohnzimmer senden, wo sie mehr oder weniger stillschweigend konsumiert wurden. In Zeiten, in denen ein jeder (potentieller) Meinungsmacher und Berichterstatter ist, und wahlweise zum politischen Berater, politischen Akteur bis hin zum Agitator geriert, gilt es für Parteien Filterblasen zu durchbrechen, sich gegen Hate Speech zu positionieren, an die Stelle von Fake News wahrheitsgemäße Informationen zu setzen und Verschwörungsideologien und demokratiefeindlichen Gruppierungen mit Entschiedenheit zu begegnen.

Mit klassischer Wahlkampfwerbung /-Rhetorik, wie sie in Büros von Parteizentralen unter Mitwirkung von Werbeagenturen verabschiedet werden, lässt sich die Wahrnehmung in Bezug auf eine Partei wohl kaum noch beeinflussen, so sie denn überhaupt einen nennenswerten Effekt hatte. Um so viel stärker verfängt hingegen ein zum falschen Zeitpunkt angesetzter Lacher in den Medien, wo er wieder und wieder geteilt, kommentiert, seziert und persifliert wird. Das so erzeugte Negativ-Image von Person und der sie repräsentierenden Partei können selbst der ausgebuffteste Spindoctor und das ausgeklügeltste Farb- und Gestaltungskonzept nicht auffangen und korrigieren.

So wie Armin Laschet der Lacher im Flutgebiet bei Erftstadt anhängt, bleiben politische Farben trotz allem gesellschaftlichen Wandel und technologischen Fortschritt an Parteien haften. Keine Probleme hingegen haben Parteien damit, die in ihrem Corporate Design selbst festgelegten Farben abzuschütteln. Das anlässlich der Bundestagswahl 2021 von der CDU ausgearbeitete visuelle Erscheinungsbild, mit schwarz, rot, gelben „Unionkreis“ als zentrales Gestaltungsprinzip ist knapp zwei Jahre später kaum noch sichtbar.

Farbexperiment

Womit abschließend auf die im Titel überspitzt formulierte Aussage eingegangen werden soll. Welche Farbe hat die CDU nun also, abseits der Konvention politischer Farbzuordnung? Und wie ist es diesbezüglich um die anderen aktuell im Bundestag vertretenen Parteien bestellt? Anstatt kurzlebige Kampagnendesigns heranzuziehen, dienen die digitalen Präsenzen der Landesverbände der Parteien, genauer gesagt deren Websites, als Bewertungsgrundlage. Neun Landesverbände wurden jeweils stellvertretend in einem Screen zusammengefasst (Abb. jeweils links). Per Bildbearbeitung erfolgte die Skalierung auf ein sehr kleines Maß. Anhand der in diesem Zuge durch Mitteln der Farbwerte entstandenen Pixelflächen (Abb. jeweils rechts) lässt sich der Farbeinsatz ablesen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: das visuelle Profil der Parteien verändert sich fortwährend, damals wie heute. Durchdringende, überzeugende Kommunikation bedarf jedoch einer gewissen Konstanz und Verlässlichkeit. Die Zuordnung der politischen Farbe bleibt, ungeachtet der Änderungen im Corporate Design einer Partei, bestehen.

SPD

Die SPD präsentiert sich, nach Jahren des „Auslotens und Ausprobierens“ teils im purpurfarbenen, mal rot-beigen und blau-roten Bereich, nun wieder durchweg in roten Tönen. Das aktuelle Design, das ohne das traditionelle quadratische Logo auskommt, gilt unter Sozialdemokraten als Erfolgsformel. Die österreichische Schwesterpartei SPÖ hat im Zuge ihrer visuellen Neuausrichtung das Corporate Design, im Einverständnis mit der SPD, adaptiert bzw. sich daran angelehnt.

Bündnis 90 / Die Grünen

Wenig überraschend verdichten sich bei den Grünen die Farben zu grünen, graugrünen bis graugelben Kacheln. Die in den 1980er-Jahren mitschwingende progressive bis radikale Attitüde hat Grün im politischen Umfeld im Zuge der „Ökologisierung“ der Gesellschaft abgelegt.

FDP

Unter dem Einfluss der seit 2015 lancierten intensiv leuchtenden, oft grafisch expressiven Kampagnenmotiven sind die Farben bei der FDP überwiegend hell und satt. Bei der letzten Bundestagswahl erhielt die FDP fast jede vierte Erstwählerstimme. Inwieweit das poppig-jugendliche Outfit hierbei als unterstützender Faktor wirkt, lässt sich empirisch kaum nachweisen. Es liegt allerdings auf der Hand: will man junge Wählergruppen ansprechen, braucht es andere Kampagnenideen und -motive als einen ins rechte Licht gerückten Rainer Brüderle (2013). Leichter und besser verifizieren lässt sich der Einfluss von Aktivitäten im Umfeld von Social Media.

CDU

Das Farbspektrum der CDU reicht von Orange, Cyan, Petrol, Stahlblau bis hin zu Umbra und Khaki. Für jeden Geschmack und jede Wählergruppe ist ein buntes Ei dabei. Rot, im Parteilogo immerhin seit mehreren Jahrzehnten in Gebrauch, kommt in diesem Zusammenhang ebenso in keiner Weise zur Geltung wie die der Partei zugeschriebene politische Farbe Schwarz. Von einheitlichen Gestaltungsvorgaben scheint sich die CDU auf Landesebene momentan gänzlich befreit zu haben.

CSU

Bei der CSU dienen die Websites der Bezirksverbände als Ausgangsmaterial, was in sofern „unfair“ ist, da es sich hierbei um Unterseiten des CSU-Webauftritts handelt (während hingegen die Landesverbände der anderen Parteien jeweils über eigene CMS und Domains angesteuert werden). Das traditionell mit Bayern verbundene weiß-blaue Farbschema drängt sich nicht unmittelbar auf. Stärker zeichnet sich ein grün-blaues Spektrum ab. Im Gegensatz zu den politischen Mitbewerbern scheut sich die CSU nicht, die Farbe Schwarz großflächig einzusetzen.

AfD

Der vergleichsweise große Braun-Grauanteil, wie er sich in der grafischen Abbildung bei der AfD ablesen lässt, ist weniger auf eine bewusste Farbwahl zurückzuführen als vielmehr dem Umstand geschuldet, dass in vielen Fällen großflächige Abbildungen von Häuserfassenden und Landschaften zum Einsatz kommen. Ein Stilmittel, das Heimatverbundenheit signalisieren soll. Blau ist sowohl als politische Farbe wie auch als selbstgewählte Farbe im Corporate Design der Partei ablesbar. Ein zum Cyan tendieres Hellblau sieht bzw. sah man bereits, obgleich vielfach mit konträren politischen Inhalten verknüpft, bei der CDU, CSU, FDP, teilweise auch bei der SPD und im europäischen Umfeld aktuell bei der slowakischen Partei Progresívne Slovensko sowie bei der Fraktion Renew Europe, der auch der FDP angehört.

Die Linke

Bei keiner anderen Partei ist der Sättigungsgrad der Farben so hoch wie bei der Linken. Wie schon die SPD vor gut zehn Jahren erhofft sich die Linke, indem sie Purpur im Erscheinungsbild verwendet, die Wahrnehmung der Partei in positiver Weise zu beeinflussen.

Dieser Beitrag hat 16 Kommentare

    1. Noch ein paar Monate früher als das, glaube ich, nämlich bei der Hamburger Bürgerschaftswahl im Februar 2004 (die “Ole-Wahl”).

      1. So sieht’s aus. Orange war die prägende Farbe im Ole-Wahlkampf und lässt sich quasi als auf den Spitzenkandidaten zugeschnittenen Stilbruch mit der vormals biederen Nord-CDU lesen. Siehe auch hier: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/wahlkampf-in-hamburg-oles-kleine-one-man-show-a-286592.html. Danach scheint das Orange auf die Bundes-CDU übergeschwappt zu sein. Interessanterweise pünktlich zum Beginn der Ära Angela Merkel. Nun sucht die CDU nach neuen Farben. Auch das lässt sich als Bruch verstehen. Wer will, kann das Orange quasi als Identifikationsmerkmal der Mitte-Ausrichtung der CDU verstehen. Und mit dieser Ausrichtung fremdelt man dort zunehmend. Davon unbenommen haben die Landesverbände sich immer schon gesträubt, CI-Vorgaben aus dem Konrad-Adenauer-Haus zu folgen.

  1. Ein großartiger Überblick!

    International stechen hier noch die USA heraus, bei denen die klassische Farbenlehre (rot = links) ja so überhaupt nicht funktioniert. Tatsächlich sind dort die beiden Parteien farblich lange beliebig gewesen, und erst die langwierige Berichterstattung zur Präsidentschaftswahl 2000 (Gore gegen Bush Jr.) hat die beiden Farben kulturell fest in den Köpfen verankert, so dass inzwischen völlig selbstverständlich von “Blue States” und “Red States” gesprochen wird um eher eindeutige politischen Mehrheiten zu referenzieren, bzw. “Purple States” für solche mit besonders knappen Mehrheitsverhältnissen.

    Sucht man nach Berichterstattung länger zurückliegender Wahlen, findet man je nach Sender ziemlich beliebige Farbzuschreibungen, teils auch anderer Farben (gelb oder grün), wobei es wohl schon eine Vorliebe dafür gab, die jeweils “amtierende” Mehrheitspartei in blau darzustellen (das passt kulturell, da z.B. auch bei Militärmanövern die eigene Seite immer blau und der Feind immer rot ist; vergleiche auch die Wendung “blue-on-blue” als Umschreibung für den Beschuss durch eigene Truppen).

    1. Ich fand die Farbwahl bei den Wahlen der USA ziemlich genial. Mit einer Karte, auf der die weißen Staaten im Laufe des Wahlabends blau oder rot wurden, wurde schön mit den Nationalfarben gespielt. Teilweise wirkte es so, als wolle die Flagge im Groben nachgemalt werden.
      Auf Deutschland gemünzt würde ich jetzt aber nicht sagen, dass das der Grund für eine “schwarze” CDU ist.

  2. Danke für diese super Zusammenfassung!
    und irgendwie passt es dann doch, denn die fehlende Konstanz und Verlässlichkeit in der Farbgebung, ist ja auch leider in der inhaltlichen Arbeit der Parteien gegeben.

  3. Oh, das ist ja ein breites Feld geworden. Vielen Dank für die Mühe der Recherche und Zusammenstellung. Nach der Beleuchtung der Vergangenheit und der Gegenwart, bleibt es spannend für uns zu beobachten, wie sich (politische) Inhalte an der Kommunikation (und damit den Farben) oder eher andersrum entwickeln.

    Auch vielen Dank an die Kommentatoren für die Ergänzungen.

  4. zur Geschichte der politischen Farbenlehre würde ich gerne noch ergänzen, dass Purpur auch deshalb die Farbe der Könige war, weil sie nur sehr schwer und sehr teuer zu synthetisieren war.
    Generell denke ich, man muss auch den Aspekt der Machbarkeit mit bedenken – für rote Mützen, die zum Symbol einer großen Bewegung von eher ärmeren Menschen werden soll, muss die Verfügbarkeit des roten Stoffes auch gegeben sein. Das muss von Beginn an klar sein.

    Rot gilt in Russland allgemein als schöne Farbe. Das erkennt man auch in der Sprache, in der die Worte “schön” und “rot” sehr ähnlich klingen (“kraciwii” und “kracnii” – sofern man Kyrillisch so schreiben kann). Auch dies mag ein Grund dafür sein, politischen Richtungen, die im weiteren Sinne den Ergebnissen der “roten Revolution” nahestehen, die Farbe Rot zu geben.

Schreibe einen Kommentar zu Ruben Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

An den Anfang scrollen