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„M la France“ – wie sich der Rassemblement National im Wahlkampf visuell aufstellt und dabei auch nicht vor Ideenraub zurückschreckt

Marine Le Pen Logo
Marine Le Pen Logo, Quelle: mlafrance.fr

Während der Wahlkampf in Deutschland so langsam in den Endspurt geht, bringen sich in Frankreich knapp 200 Tage vor der Präsidentschaftswahl 2022 die Nationalkonservativen/Rechtsextremen rund um Marine le Pen in Position. Eine vor wenigen Tagen ins Netz gestellt Website samt neuem Kampagnenlogo sind Ausdruck einer veränderten Kommunikation. Dass das Kampagnenlogo des Rassemblement National Serienfans seltsam vertraut erscheint, dürfte weniger Zufall als vielmehr Teil der Strategie sein.

Seit Januar 2011 ist Marine le Pen Parteichefin der nationalkonservativen/rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN). Bis Juni 2018 unter dem Namen „Front National“ aktiv, bestätigte die Partei Le Pen Anfang Juli 2021 als ihre Präsidentschaftskandidatin. Bereits 2012 und 2017 kandidierte sie bei den Wahlen für das Präsidentenamt. 2017 erreichte Le Pen die Stichwahl, in der sie Emmanuel Macron deutlich unterlag und 33,9 % der Stimmen erzielte.

2022 will die französische Rechtsaußenpartei die Wahl für sich entscheiden. Um mit aller Kraft den Wahlkampf bestreiten zu können, übergab Le Pen im Juli den Parteivorsitz vorübergehend an Jordan Bardella. Mit dem erst 25-jährigen Bardella, der in der Öffentlichkeit weniger provokant auftritt und von Le Pen bewundernd als ihren “jungen General” bezeichnet wird, will sich RN für bürgerliche Wähler attraktiv und wählbar machen.

Dass der Rassemblement National auch darüber hinaus daran arbeitet, seine Attraktivität zu steigern, zeigt sich an der kürzlich gelaunchten Kampagnen-Website mlafrance.fr. Die Website, die als zentrale Anlaufstelle des Wahlkampfs in den digitalen Medien fungieren wird, vermittelt einen ersten Eindruck, wie die visuelle Inszenierung der Partei im bevorstehenden Wahlkampf angelegt ist.

Als Kampagnenlogo dient ein großes „M“ mit französischer Trikolore. Dank Schattenwurf, der dem Zeichen Plastizität verleiht, ähnelt das Logo dem des Streaming-Anbieters Netflix. Die ganz im Stile des Netflix-Logo-Idents gestaltete Animation offenbart, dass die Ähnlichkeit des M-Signets mit dem Streaming-Anbieter kein Zufall ist. Auf der visuellen Ebene wird so ganz gezielt Nähe zu einer der momentan wohl erfolgreichsten und populärsten Marken erzeugt.

Marine Le Pen Logo
Marine Le Pen Logo, Quelle: mlafrance.fr

Im Verpackungsdesign ist das Aufsetzen auf bestehenden und am Markt erfolgreichen visuellen Codes und Markendesigns gang und gäbe. Auch im Produktdesign wird bisweilen gnadenlos abgekupfert, kopiert und plagiiert. Dass Nachahmung auch als höchste Form der Anerkennung angesehen werden kann (Oscar Wilde), sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass jede Form des Ideenraubs mehr als bloß ein Ärgernis darstellt. Die Europäische Kommission beziffert den volkswirtschaftlichen Schaden, der durch Plagiate jährlich entsteht, auf 200 bis 300 Mrd. Euro. 200.000 Arbeitsplätze würden laut EU jedes Jahr vernichtet, weil Nachahmungen, Fälschungen und Plagiate in den Welthandel gelangen.

Wer heutzutage in der westlichen Welt Regierungschef werden will, und das haben offenbar auch die Rechtsextremen in Frankreich erkannt, braucht ein adäquates Logo. Denn wer im Politikbetrieb des 21. Jahrhunderts Machtanspruch kommunizieren möchte, kommt nicht ohne entsprechende Werkzeuge aus, um diesen Machtanspruch auch auf der visuellen Ebene formulieren zu können. Mit einem in der Times gesetzten Namenszug kommt man in Zeiten von Twitter, Instagram und Tiktok nicht weiter.

Was sich im US-Wahlkampf der letzten Jahre zeigte, beeinflusst auch den Wahlkampf in europäischen Ländern. Politische Kampagnenkommunikation wird aufwendiger, professioneller, raffinierter, gestalterisch anspruchsvoller und auch optisch gefälliger. Das zeigen beispielsweise die Logos der US-Präsidentschaftskandidaten, die allesamt versuchen Stärke und Souveränität zum Ausdruck zu bringen. Einen enormen Einfluss auf die Art und Weise, wie visuelle Kommunikation von Parteien im Wahlkampf mittlerweile ausgerichtet wird, hat zweifellos die Obama-Kampagne der 2009er-Kandidatur mit ihrem stilprägenden Design. Das O-Signet dient sowohl den Strategen der Clinton-Kampagne 2015 als Vorlage (H, wie Hillary), wie auch nun dem Rassemblement National.

Ebenso wie andere Marken, Unternehmen und Vereine wollen auch Parteien als attraktiv angesehen werden. Und zwar nicht nur bezogen auf das inhaltliche und personelle Angebote, sondern zunehmend auch hinsichtlich ihres visuellen Erscheinungsbildes. Ein prägnantes Logo und eine wiedererkennbare visuelle Sprache tragen im Rahmen der von Parteien verfolgten Kommunikationsstrategie entscheidend dazu bei, dass sowohl die eigenen Anhänger der Partei wie auch Nutzer im Umfeld von Social Media aktiviert und mobilisiert werden. Gerade rechtspopulistische Parteien, so belegen es Studien und Untersuchungen, wissen die digitalen Medien vorteilhaft für sich zu nutzen.

Das Aufgreifen und Neubesetzen bestehender visueller Codes hat im Kontext politischer Kommunikation eine lange Tradition. Die Nationalsozialisten okkupierten, da sie um deren herausragende Bedeutung als aufmerksamkeitsstarkes Gestaltungsmerkmal wussten, die bis dahin von den Sozialisten und Kommunisten verwendete Farbe Rot. Auch was die Symbolik von Hakenkreuz und Runen betrifft, bedienten sich die Nazis ausgiebig und ungeniert an historischen Vorlagen, wie Andreas Koop im Buch NSCI aufzeigt. Das Hakenkreuz, in Teilen Asiens gilt das Swastika-Kreuz bis heute als religiöses Glückssymbol –, ist keineswegs eine Kreation der Nazis. Sie haben es lediglich kopiert und adaptiert. Und auch sonst setzten die Nationalsozialisten im Rahmen ihrer Propaganda oftmals auf visuelle und sprachliche Mittel, die sich an anderer Stelle bewährt haben. Am Beginn des Aufstiegs der Nazis stand die „feindliche Übernahme“ – heutzutage könnte man dies als markenstrategisch gelungenen Schachzug bezeichnen – der visuellen Stilmittel des politischen Gegners.

Das Netflix-Logo dürfte den meisten Anwendern/Abonnenten ein Gefühl von Freiheit und Entspannung vermitteln. Freiheit, da man als Kunde nicht weiter auf das Angebot des linearen Fernsehens angewiesen ist. Entspannung, da wir derlei Streaming-Angebote in aller Regel dann nutzen, wenn wir Zeit haben und uns unterhalten lassen möchten. Den Stress der Arbeit hinter sich lassen, die Füße hochlegen und in die Geschichte einer spannenden Serie eintauchen. Die kurze Animationssequenz beim Start der App, technisch gesehen ein Logo-Ident, ist vor allem eines: ein Vorfreude-Trigger. Unsere positive und entspannte Einstellung übertragen wir dabei, meist unterbewusst, auf die Marke Netflix. Die dadurch erfolgte positive Aufladung der Marke Netflix funktioniert freilich nur so lange die Erwartung an guter Unterhaltung auch erfüllt wird.

Wenn der Rassemblement National im Rahmen seiner Kampagnenkommunikation sich ähnlicher audio-visueller Mittel bedient wie Netflix und wie auch die US-Demokraten in ihren Wahlkämpfen, zeigt dies, dass der RN dazu in der Lage ist, eine bis dato von Antisemitismus, stumpfen Parolen und Hetze gekennzeichnete Rhetorik und Kommunikation in eine gefällige (visuelle) Sprache und eine ansprechende Außendarstellung umzukehren. Ebenso wie der Interimschef des RN moderatere Töne anschlägt, um so die Attraktivität der Partei zu steigern, verfolgt auch die aktuelle Kampagnenkommunikation das Ziel, die Rechtsaußenpartei für Wähler aus dem sogenannten bürgerlichen Lager zu öffnen. Dabei verharmlost das vorgestellte Kampagnendesign die rechtsextreme Gesinnung des Rassemblement National.

Rechtsextremismus im Jahr 2021 gibt sich nicht allein durch Merkmale wie Bomberjacke und Glatze zu erkennen. Ausdruck und Sprache sind heutzutage subtiler. Das zeigt sich etwa auch an Gruppierungen wie der Identitären Bewegung, die mit Freiheit, Heimat und Tradition wirbt und die in ihrer Außendarstellung ganz bewusst die Farbe Rot meidet, da diese im Kontext einer nationalkonservativen Ausrichtung Assoziationen zum Dritten Reich befördern. Vor einigen Jahren noch waren Neonazis anhand ihrer Springerstiefel zu erkennen. Heute tritt Rechtsextremismus in angesagten Sneakern auf. Eine schleichende und gerade deshalb gefährliche Entwicklung.

Bemerkenswert ist auch der im Wahlkampfmotto des RN artikulierte Machtanspruch: „M la France“. Marine Le Pen wird so zur Repräsentantin ganz Frankreichs erhoben. In den Wahlkämpfen 2012 und 2017 setzte man mit marinelepen.fr bzw. marine2017.fr noch auf Domains, in denen der Name der Spitzenkandidatin enthalten ist. Nun greift die Partei nach Höherem und Größerem. Das Ziel verfolgend, nicht weiter als „Rechtsaußen“ angesehen zu werden, schreckt die Partei auch nicht davor zurück, die Ideen Anderer zu kopieren. Es sagt viel über das Werteverständnis einer Partei aus, wenn sie im Rahmen ihrer Kampagne zur Präsidentschaftswahl, von Marine Le Pen zum „Schlüsselmoment der nationalen Geschichte“ hochstilisiert, mit einem Plagiat auf Stimmenfang geht.

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Ich war gedanklich erstmal beim Flughafen München.

    Ich sehe das M als gefaltetes Band. Und da müsste die erste Diagonale auch rot-weiß sein.

    Aufgrund der Farbkombination wollen mir meine Augen weiß machen, dass der rote Strich kürzer ist als der weiße.

    Durch den Schatten auf dem roten Streifen kommt neben blau, weiß und rot (und “schattengrau”) auch noch schwarz hinzu.

    Bei all diesen genannten Kleinigkeiten ecken meine Augen irgendwie an.

  2. Moment, da ist noch ein blauer Streifen!? Vor dem blauen Hintergrund? Na da scheint mein Monitor aber schlecht eingestellt zu sein!

  3. Noch eine Anmerkung zur Bedeutung von „M la France“ – wenn mich nicht alles täuscht, soll das „M“ hier nicht nur für „Marine“ (Le Pen) stehen, sondern auch als Wort gelesen werden können. Wenn man „M“ französisch spricht, klingt es wie „Aime“, Imperativ des Verbs „Aimer“, „lieben“. Daraus wird also „Aime la France“, der Befehl: „Liebe Frankreich“. Das bedient das oft vom RN wiederholte Ressentiment, nur die RN-Wählerinnen und -Wähler würden Frankreich lieben, alle anderen eben nicht.

  4. Durch den blauen Streifen der Tricolor und dem blauen Hintergrund wirkt der rechte Schenkel des M doch sehr schmal und das gesamte Signet unstimmig.

  5. Mir ist klar, dass es hier in erster Linie um gestalterische Aspekte geht und dass das Logo in dieser Hinsicht katastrophal ist.

    Ich habe da aber einen Verdacht: Den Wählern dieser Partei ist das egal! Oder aber: Ein weniger plumpes, gar hochwertigeres Logo würde vermutlich genau das Misstrauen hervorrufen, dass eben diese Partei gegen die “Etablierten” so erfolgreich schürt. “Die da oben mit ihrem ganzen Design” – genau das will diese Partei nicht sein.

    Bauernfänger wollen halt Bauern fangen und keine Bildungsbürger.

    Dasselbe sieht man hierzulande bei den, so vermute ich, bewusst unbeholfen designten Plakaten der AfD.

    Wir täten gut daran, endlich aufzuhören, diese Parteien zu unterschätzen. Wenn wir noch sehr lange nur spotten, gewinnen die halt irgendwann die Wahlen und dann tut es uns leid, nicht mal vom hohen Ross herabgestiegen sind.

Kommentare sind geschlossen.

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