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Kunsthalle Wien – Das Spiel mit dem Adler

Kunsthalle Wien – Jahreskarte Flyer
Kunsthalle Wien – Jahreskarte Flyer. Quelle: Kunsthalle Wien

Bereits im April dieses Jahres stellte die Kunsthalle Wien ihr neues Erscheinungsbild vor. Ein Erscheinungsbild, das zum Zeitpunkt der Einführung für reichlich Wirbel gesorgt hatte. Nicht des Wirbels wegen möchte ich das Erscheinungsbild an dieser Stelle vorstellen, sondern weil es die höchst spannende, von der Tagesaktualität losgelöste Frage thematisiert, wie dynamisch versus statisch ein Corporate Design sein darf.

Wer sich mit Corporate Design beschäftigt weiß, dass es nicht unbedingt eines Logos bedarf, um eine visuelle Identität zu transportieren. Produkte von Coca Cola, Milka oder etwa Nivea sind in ihrer Farbgebung und Gestaltung so unverwechselbar, dass man auch gut auf das jeweilige Markenlogo verzichten kann » siehe die Meine Coke“-Kampagne.

Seit dem Frühjahr nun verzichtet die Kunsthalle Wien auf die Abbildung eines Logos, eines festgelegten Zeichens, das den eindeutigen Bezug zum Absender ermöglicht. Stattdessen setzt das vom belgischen Grafiker und Künstler Boy Vereecken entwickelte Corporate Design auf den Einsatz von Adler-Abbildungen. Warum es ein Adler sein musste und nicht etwa eine Schnecke, beschreibt Michael Wuerges, Leiter Strategie und Marketing Kunsthalle Wien, im MQ-Blog.

Das Konzept ist schon allein deshalb so interessant, weil es wie das Gegenmodell zum jüngst im dt vorgestellten Corporate Design des Museum Angewandte Kunst Frankfurt anmutet. Dort (Frankfurt) eine weitestgehend gesichtslose, zumindest jedoch unauffällige Gestaltung, hier ein zu Kontroversen anregendes, in vielerlei Hinsicht diskutables Erscheinungsbild.

Kunsthalle Wien – Adler

Die Darstellungsform der verwendeten Adler kennt keine Grenzen, ebenso die Ausdrucksform: martialisch, naturalistisch, heraldisch, aztekisch, indianisch und sogar als Comic treten die Adler der Kunsthalle Wien in Erscheinung. Der so stolze, in unzähligen Landes- und Stadtwappen verewigte Raubvogel – auch im Wappen der Stadt Wien – konterkariert, entstellt und zweckentfremdet. Der Umstand, dass hierbei in erster Linie auf Stock-Material zurückgegriffen wird, scheint den Kritikern Recht zu geben. Der Adler polarisiert und stößt dadurch zwangsläufig auch auf sehr viel Resonanz. Die Idee, sich ganz bewusst gegen ein statisches Gestaltungskonzept zu entscheiden und gegen den Wettbewerb um das eleganteste, kühlste, zurückhaltendste Logo hat die öffentliche Meinung gespalten.“, wie mir die Pressestelle des Hauses verriet.

Mit jedem Ausstellungsprojekt nimmt der Adler eine andere Form an und wird somit zur visuellen Manifestationen synonym für die Wandlungsfähigkeit der Institution“, wie es in der offiziellen Pressemeldung heißt. Und genau hier stellt sich die Frage, ob und in wie weit die Darstellung der Wandlungsfähigkeit in diesem Fall auf Kosten der Wiedererkennbarkeit geht.

Kunsthalle Wien – Werkstempel

Eine Binsenweisheit: je weniger Konstanten ein Corporate Design besitzt, desto weniger tritt die Identität zutage. Im Fall der Kunsthalle Wien ist die Form des Logos variabel, ebenso, zumindest in weiten Teilen, die Farbgebung. Hingegen konstant ist die Form des sogenannten Werkstempels“, der sich nicht nur sprachlich, sondern auch gestalterisch auf die Wiener Werkstätte bezieht, der 1903 gegründeten Produktionsgemeinschaft bildender Künstler, die sich, ganz im Sinne der Arts and Crafts“-Bewegung, der Erneuerung des Kunstbegriffes auf dem Bereich des Kunstgewerbes widmeten. Der von Josef Hoffmann entworfene Briefkuvert der Wiener Werkstätte diente als Ideengeber für den Werkstempel (Abb. oben), indem die wichtigsten Informationen etwa einer Ausstellung gebündelt werden.

Kunsthalle Wien – Plakat

Dynamische Logos sind keine Seltenheit. Eine der spannendsten Logokreationen der vergangenen Jahre ist sicherlich das Logo des MIT Media Laboratory. Ebenfalls sehr variable und von der Idee der Wandlungsfähigkeit getragen ist das seinerzeit von der Londoner Agentur Wolff Olins entwickelte Konzept, das in den AOL-Logos Anwendung findet. Ob eine Marke, indem es sich so wandlungsfähig zeigt, seine Identität behält oder verliert, hängt stets auch vom jeweiligen Anwendungskontext ab. AOL kann auf seiner Website im Grund abbilden, was es will – jeder wird bei Aufruf der Domain AOL.com wissen, wer hinter dem Angebot steht. Wenn jedoch mit unterschiedlichen Adlern beklebte Taxen durch Wien streifen, werden nur die Wenigsten erkennen, dass die Kunsthalle hierbei als Absender fungiert. Zu leicht übersieht man den in der Union gesetzten Schriftzug Kunsthalle Wien“, ein Freefont Font, der auf der Helvetica basiert.

Kunsthalle Wien – Schriftzug

Keine Frage. Wer Kritik an traditionellen Kunstinstitution intendiert, denn genau dies schreibt sich die Kunsthalle Wien auf die Fahne, und gezielt die Provokation sucht, wenn auch durch reichlich Selbstironie unterfüttert in abgeschwächter Form, kann nicht in einer in Versalien gesetzten, zentrisch ausgerichteten Serife daherkommen. Das wäre unglaubwürdig. Die gewählte Formensprache passt zur Programmatik. Natürlich eckt das Design an. Die Frage nach der Ästhetik wird jeder für sich selbst beantworten. Die Frage, ob man hunderte von Adler-Motiven inklusive Stockmaterial als Logo verwenden darf, sicherlich auch.

Wie mir seitens der Pressestelle berichtet wurde, sei der Adler in den letzten Monaten zu eine Art Pawlowscher Hund geworden. Die Konditionierung Adler = Kunsthalle gelänge zunehmend. Auf der Facebook-Fanpage, posten Nutzer regelmäßig eigene Adlermotive. Insofern dürfte dieser Artikel ein wenig dazu beitragen, dass dieser Lernprozess auch über die Stadtgrenzen Wiens hinweg fortgesetzt werden kann. Egal wie man es nun mit dem Erscheinungsbild der Kunsthalle Wien hält, ist es doch ein wunderbares Beispiel dafür, dass besagter Lernprozess niemals endet und Corporate Design eine fortlaufende Entwicklung ist.

Kunsthalle Wien – Salon der Angst

Galerie

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Dieser Beitrag hat 22 Kommentare

  1. Die Union stammt aus der Feder von Radim PeÅ¡ko und ist mitnichten ein Freefont. (Die Nähe zur Helvetica ist dennoch unbestritten.)

  2. Bei der Union handelt es sich nicht um einen “Freefont” sondern um eine von Radim Pesko gezeichnete Schrift welche Arial und Helvetica verbindet.

    https://www.radimpesko.com/fonts/union

    Ich finde das Erscheinungsbild sehr gelungen, sehr künstlerisch, sei es auf der Grafische oder auf der Bildnerischen-Ebene. Eigenständig, hochstehend und dennoch mit einem Augenzwinkern. Reiht sich nahtlos in andere mutige Produkte wie das CD für das Whitney Museum

    https://www.experimentaljetset.nl/archive/whitney-museum-identity

    Oder die grossartige Arbeit für das Stedelijk Museum

    https://www.youtube.com/watch?v=8iIzV5d_8cw

    ein.

    Es sind Experimentelle Ansätze welche von Progressiven Gestaltern wie Experimental Jetset oder
    Mevis van Deursen für Institutionen geschaffen werden, die solche Arbeiten zulassen. Das Designtagebuch sollte solch progressiven Lösungen mehr Raum geben. Sehr Holländisch, sehr konzeptionell, sehr gut. Spannend zu sehen ist das Die Union wohl weil Sie so wenige Aussagen trifft, gerne verwendet wird.

  3. Mutig, mutig. Die Idee, auf die allgemeine Über-CDierung mit einer art Anti-CD zu reagieren, Ist ja eigentlich aller Ehren wert, zumal ein solch mutiger Vorstoß in einem Unternehmen mit entsprechendem Budget wohl keine Chance hätte (auf Grund des unabwägbaren Ergebnisses, AOL und MIT Media Lab sind wirklich nur ganz ganz ansatzweise vergelichbar).

    Allerdings glaube ich, dass das Spiel nicht aufgeht und der “Stempel” im Endeffekt doch zu wenig ist, um eine Marke zu kreieren. Was mich zu dem Ergenis bringt: Den Auftritt gibt es anscheinend schon fast ein dreiviertel Jahr, und obwohl ich beinahe jeden Tag im 1. Bezirk in unmittelbarer Nähe der Kunsthalle bin, habe ich von der Ganzen geschichte zum ersten Mal heute in diesem Blog erfahren. Und eigenlich dachte ich schon, dass ich mit offenen Augen durch die Stadt gehe.

    Ich glaube, der geneigte Betrachter ist da einfach überfordert, zumindest bin ich es offenbar. Neben den sauguten Auftritten von beispielsweise Burgtheater, Theater an der Wien oder Albertina (die ersten beiden mit vergleichsweise richtigem In-your-face-CD) bleibt in einer kulturüberfrachteten Stadt wie Wien für so einen subtilen Ansatz keine Luft zum atmen.

    https://www.google.at/search?q=burgtheater+plakat&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ei=3XyUUurJB4by7AaD6IDAAQ&ved=0CDEQsAQ
    https://derstandard.at/1319181812585/Neue-Kampagne-beyond-fuer-Theater-an-der-Wien

  4. Also, als absoluter Laie sieht das für mich einfach zusammengeklickt, willkürlich und billig aus. Wenn ich nicht wüsste, dass es “gewollt” ist, würde ich es vielleicht für einen Scherz halten oder denken, dass jemand eine Website aus den späten 90ern ausgegraben hat. Irre, also aus meiner Sicht absoluter Wahnsinn, sowas zu machen. Gerade die Tabelle mit Veranstaltungsdaten, das muss ja wohl mit Word97 gemacht sein. Liegt am Ende wahrscheinlich alles im Auge des Betrachters, aber ich finde, das grenzt doch an Verrücktheit.

  5. Die Idee mit den unterschiedlichen Adlern find ich ziemlich cool. Bei der Schrift: die Kursive find ich schön wegen ihrer Dynamik, der gerade Schnitt langweilt mich total.

    Die Veranstaltungsinfos würde ich mir mehr wie den Werkstempel von 1914 wünschen wo auch mal ein Feld illustrativ ausgefüllt ist oder eben durch Typo die bis an die Grenzen geht. Das macht ja da die Spannung aus. Auch wenn das auf dem einen oder anderen Plakat funktioniert, auf der Website sieht es tatsächlich ein wenig aus wie die Rasteroptik mit Dreamweaver 1.

    Insgesamt mutig aber auch noch verbesserungswürdig.

  6. @Johannes: “…grenzt doch an Verrücktheit.”

    Ja, dann hat man alles richtig gemacht, wenn man das so wahrnimmt. Ich denke, dass genau das das Ziel war.

  7. Die Kunsthalle Wien wird perfekt wiedergegeben – viel lautes Gerede und Auffälligkeit, am Ende dann doch recht Mau. Mich überzeugen bei Museen dann doch mehr Inhalte und da kann ich das Mumok mit seiner “reduzierten-designigen” CD-Form dann doch jedem Wien-Besucher eher ans Herz legen.

    Dennoch – danke für den spannenden Artikel! Er zeigt was alles möglich ist.
    Würde ich die Kunsthalle Wien nicht kennen, wäre ich eventuell auch eher Feuer und Flamme … ;-)

  8. Der Kunsthalle Wien wurden für diesen Entwurf bzw. dessen Realisierung knapp 89.000 Euro in Rechnung gestellt. Die Zahl stammt aus dem Art-Magazin Ausgabe 12/2013 sowie aus der Financial Times November-Ausgabe 2013.

  9. Experimenteller Ansatz hin oder her, das Ganze macht einfach keinen Spaß – emotionslos und hässlich und hässliche Dinge schaue ich mir ungern an …

  10. So frei der Umgang mit dem Corporate Design und seinen wechselnden Logovarianten erscheint, so eng ist das Korsett der Anwendungen, in das die Künstler und ihre Ausstellungen gepresst werden. Während man sonst von Museen und Galerien gewohnt ist, dass der Künstler und seine Werkschau einen visuellen Auftritt erhalten und das Museum “nur” als Absender in Erscheinung tritt, muss sich hier alles dem Adler unterordnen. Im Grunde nimmt man es hier also mit der Markenführung genauer als andere Museen.

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