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Ja oder Nein? Die Kampagnenmotive zur Volksabstimmung „Stuttgart 21“ im Vergleich

Stuttgart Volksabstimmung S21 Kampagne

Stuttgart Volksabstimmung S21 Kampagne

Am 27. November 2011 findet in Baden-Württemberg die Volksabstimmung bezüglich „Stuttgarter 21“ statt, der Neuordnung des Eisenbahnknotens Stuttgart. Es ist dies erste Volksabstimmung in der Geschichte des Landes. Argumente für und gegen Stuttgart 21 wurden wieder und wieder ausgeführt, alles wurde gesagt, was zu sagen ist. Mit der Bürgerbefragung erreicht das von unzähligen Protesten begleitete Projekt seinen vorläufigen Höhepunkt, nun soll abgestimmt werden. Seit einigen Tagen hängen landesweit die Wahlplakate von S21-Befürwortern und -Gegnern. Wie sehen die Plakate aus, mit denen beide Lager auf Stimmenfang gehen? Im dt werden die Kampagnen vorgestellt und es kann schon heute abgestimmt werden.

Manchmal ist es in der Politik wie mit Design – das Argument respektive das Produkt will gut verpackt sein. Beim Mitnehmen der Bürger ist nicht nur entscheidend, was gesagt wird, sondern auch wie es kommuniziert, wie es transportiert wird. Wahlplakate sind hier ein wunderbares Instrument, sofern man es denn für sich zu nutzen weiß.

Plakate der S21-Befürworter

Stuttgart Volksabstimmung S21 Plakat

Die S21-Befürworter setzen bei ihren Motiven ganz auf die Kraft der Signalfarbe Rot. Die auf den Plakaten abgebildeten Personen unterschiedlichen Alters konfrontieren den Betrachter jeweils mit einer Fragestellung, etwa „Wut statt Mut?“, und geben hierzu mit „Wir sind doch nicht blöd!“, auch gleich die Antwort. Jede Person trägt auf der Brust eine Plakette auf der steht: „Für Stuttgart 21“. Im Fußbereich wird die Aussage „Nein zum Kündigungsgesetz“ einem Kreuzchen nachgestellt.

Sowohl gestalterisch wie auch inhaltlich bedienen sich die Plakate der gleichen marktschreierischen Mittel, wie sie auch die Elektrokette Mediamarkt einsetzt, dessen Slogan kurzer Hand „adaptiert“ wurde. Markenrechtlich bewegen sich die Verantwortlichen auf dünnem Eis, denn „Ich bin doch nicht blöd“ ist eine im Markenregister eingetragene Marke und genießt damit Schutzrechte, die von der Media-Saturn-Holding als Inhaber geltend gemacht werden könnten. Aber lassen wir die das Thema mal außen vor.

Wer gute Argumente hat, braucht eigentlich nicht zu schreien. Die Befürworter tun es dennoch, denn die Plakate sind in ihrer Machart laut, angriffslustig und sprachlich eher polemisch statt ruhig und sachlich angelegt. Tatsächlich kann man eine gewisse Ähnlichkeit mit Plakaten der NPD nicht bestreiten. Die Gegenüberstellung wird übrigens auf der Facebook-Fanpage der S21-Befürworter thematisiert, womit offenbar dem gegnerischen Lager der Wind aus den Segeln genommen werden soll. So abwegig ist die visuelle Nähe jedoch nicht, wie auch der Blick auf die Plakate zur Landtagswahl 2011 DER LINKE zeigt. Selbst wer diese Ähnlichkeit verneint, wird die fehlende gestalterische Qualität auch in Bezug auf die Freistellung der Personen bemerken. Insbesondere die Haare im Motiv 1 „Typ Sekretärin“ sind handwerklich wenig überzeugend freigestellt. Egal wie irrelevant diese Detailanmerkungen für die Meisten sein mögen, vom Grundtenor wirken die Plakate unsympathisch.

Plakate der S21-Gegner

Stuttgart Volksabstimmung S21 Kampagnenmotiv

Die Plakate der S21-Gegner sind vielfarbig und nutzen allesamt eine ausgestanzte Form des Wortes „JA“, in der jeweils auf den zugehörigen Slogan abgestimmte Collagen enthalten sind. Dank großzügiger Abstände und Freiflächen wirken die Plakate aufgeräumt. Die Farbigkeit lässt sie freundlich, angenehm, ja geradezu weich erscheinen, womit sich sich von den Vogel-zeig-Motiven der S21-Gegner deutlich unterscheiden, inhaltlich wie optisch.

Ganz bewusst wurden warme Farben ausgewählt, damit die Plakate bei den Menschen bestmöglich rüber kommen. Die kalten Farben Grün und Blau etwa wurden Dank hohem Gelb- beziehungsweise Rot-Anteil zu warmen Tönen angemischt. Dank Farb- und Motivauswahl (Bäume, Demo, Anti-Atomkraft, etc.) lassen sich die Plakate recht eindeutig der Partei des amtierenden Ministerpräsidenten des Landes, Winfried Kretschmann, zuordnen. Zudem gestattet das Konzept der Farben- und Themenvielfalt eine an den Bedürfnissen der Menschen orientierten, breit gefächerten Zielgruppenansprache. Eine Bedürfnisorientierung, die man bei Aussagen wie „Milliarden-Strafe beim Ausstieg?“ der S21-Befürworter-Kampagne nicht wirklich attestieren kann.

Ob die Plakate dazu beitragen, die nötige Mehrheit für den Ausstieg aus Stuttgart 21 zu erzwingen, steht freilich auf einem anderen Blatt. Dazu müsste man wissen, wie groß der Anteil der noch Unentschlossenen ist, die mittels Wahlwerbespots und -Plakaten bis zum Zeitpunkt der Abstimmung noch überzeugen lassen.

Sag ich ja, sag ich nein?

Die erste Volksabstimmung Baden-Württembergs ist auch deshalb so interessant, weil wieder einmal sehr schön vor Augen geführt wird, wie sehr sich die Sprache der Politik von der des Volkes entfernt hat. Zu Tausenden demonstrierten die Bürger auf den Straßen Stuttgarts und hielten dabei Transparente in die Höhe auf denen stand: „Schluss jetzt! – Wir stoppen Stuttgart 21″ oder „Stuttgart 21 sofort stoppen!”. Ortsausgangsschilder Stuttgarts mit rot durchgestrichenem Stadtnamen wurden zu einer Art Metapher für den Ausstieg. Wenn wir etwas unterbinden und stoppen wollen, sagen wir „Nein!“. Dementsprechend war das Gegenmotto der S21-Befürworter wiederum „Ja zu Stuttgart 21″.

Als böte die gesamte Entwicklung rund um den Neubau des Stuttgarter Bahnhofs nicht schon genug Absurditäten und Kuriositäten, müssen nun die Nein-Sager, also die Gegner von Stuttgart 21, mit „Ja“ abstimmen. Umgekehrt müssen die Befürworter des Bahnhofprojekts mit „Nein“ stimmen. Das ist so irrwitzig, dass es jedem Linguisten Freudentränen in die Augen treiben müsste. Der amtliche Stimmzettel zur Volksabstimmung ist Beamtendeutsch in Reinkultur! Trotz vieler Worte bleibt er unverständlich und nichtssagend. Auch die schlimme Typographie trägt zum Unverständnis der Fragestellung bei, denn Blocksatz und Spaltenmaß erzeugen viel zu große Wortabstände, wodurch die Lesbarkeit erschwert wird.

Die Krux ist zudem, dass der Stimmzettel nicht abfragt, ob Stuttgart 21 weiter gebaut werden soll, sondern, ob bestehende Verträge mit den beteiligten Bauunternehmen, gekündigt werden sollen, um das einmal etwas abgekürzt zu formulieren. Bürger, die Stuttgart 21 stoppen möchten und damit die Forderung DER LINKE und die der GRÜNEN unterstützen, stimmen also: „Ja, ich bin dafür, dass die Verträge gekündigt werden sollen“. Umgekehrt stimmen diejenigen, die das Projekt fortgesetzt sehen möchten, und dazu zählen auch CDU und SPD, mit: „Nein, ich möchte nicht, dass Verträge gekündigt und damit Stuttgart 21 gestoppt werden.”

Der Text des Stimmzettels mag rein juristisch korrekt sein, dennoch ist er um die Ecke und an den Bürgern vorbei gedacht, die sich bei der Abstimmung nun mit einem „Kündigungsgesetz“ konfrontiert sehen, das sie doch bislang für eine gute Sache hielten, sichert es doch ihren Arbeitsplatz. Und nun sollen sie gegen ein Kündigungsgesetz stimmen? Ich bezweifle stark, dass tatsächlich jeder Wahlberechtigte in diesem Zusammenhang „Kündigungsgesetz“ richtig interpretiert und den Bezug zu den besagten Bauunternehmen-Verträgen herstellt. Die S21-Befürworter zweckendfremden diesen im allgemeinen Sprachgebrauch fest verankerten Ausdruck und müssen dadurch befürchten, dass nicht wenige Bürger ihre Plakate missverstehen. „Ja zu Sparsamkeit“ ist weniger anfällig für Fehlinterpretationen.

Abstimmen!

Die dt-Leser sind aufgerufen, ihre Meinung zu den beiden Kampagnen kund zu tun. Zunächst einmal kann über die Qualität der Motive abgestimmt werden, politisch neutral wenn möglich. Für Wahlberechtigte aus Baden-Württemberg sicherlich nicht ganz einfach, aber lassen wir es auf einen Versuch ankommen. Abgefragt wird ganz bewusst nicht nach der schöneren, sondern der erfolgsversprechenderen Kampagne, was ja durchaus zwei Paar Stiefel sind. Und natürlich darf bei dieser Abstimmung auch gerne meine persönliche Einschätzung zu den beiden Kampagnen, die ich im Artikel nicht ganz verbergen konnte, ausgeblendet werden.

Welche Plakatkampagne ist besser und erfolgsversprechender?

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Und nun machen wir noch die Probe aufs Exempel und stellen die Frage, die es bei der Volksabstimmung am 27. November zu beantworten gilt, natürlich mit dem genauen Wortlaut.

Stimmen Sie der Gesetzesvorlage ,Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S21-Kündigungsgesetz)' zu?

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Hinweis: „Mit “Ja” stimmen Sie für die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben.“

„Mit “Nein” stimmen Sie gegen die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben.“

Update 09.07.2012: Dieser Tage erhielt ich eine Mail der IG Bürger mit folgendem Inhalt: „Das angegebene Bild ist Gegenstand eines Vergleichs, den die IG Bürger mit dem Fotografen der abgebildeten Person geschlossen hat. Auflage dieses Vergleichs ist es, Sie zu informieren, dass hier möglicherweise eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, die IG Bürger sich im Einvernehmen mit dem Fotografen im Vergleich darauf geeinigt hat, das Plakat und Bilder des Plakats nicht mehr zu verwenden und sie aufzufordern, das Bild von Ihrer Webpräsenz zu entfernen. Der Anwalt des Fotografen hat gegenüber der IG Bürger nachdrücklich klar gemacht, dass er im Namen seines Mandantens möglicherweise rechtliche Schritte gegen Sie vornehmen wird, sollte das Bild auf Ihrer Webpräsenz verbleiben. Mit diesem Scheiben kommen wir dieser Informationspflicht nach, so dass im weiteren Verlauf keine Regressforderungen gegenüber der IG Bürger geltend gemacht werden können.“ Dementsprechend habe ich die besagten Abbildungen der Plakate entfernt.

Dieser Beitrag hat 85 Kommentare

  1. @hoschi: als Gegnerin bin ich es gewohnt, schlecht informierte Befürworter aufzuklären: das Gesetz ist im Wortlaut auf der Rückseite Deiner Wahlbenachrichtigung abgedruckt und es wird auch auf dem Wahlschein selbst zu lesen sein.

    Vielleicht besorgst du dir noch mehr Infos und stimmst dann konsequenterweise als gut Informierter mit JA. :)

  2. “Kessel-TV bot und bietet zum Thema S21 übrigens umfangreiche Berichterstattung”

    Nichts gegen die guten Leute von Kessel.tv, aber mit S21 hat diese Seite sehr wenig zu tun.

  3. @Schwabe: Magst Du mal was konstruktives beitragen?

    Ich habe auch mal im Impressum nachgesehen … woher nimmst Du die Annahme, dass der Verfasser dieses Artikels S21-Gegner sei?

    Alle Gestalter sprechen mit Ihrer Arbeit eine grafische Sprache. Die kann unterschiedlicher Herkunft sein, doch gibt es zahlreiche “Worte” die mit relativ eindeutigen Bedeutungen belegt sind. So ist die Farbkombination rot-weiss-schwarz (vorallem in der gesehenen Aufmachung) meines Erachtens nach klar belegt: Die Assoziation zu gewissen Kreisen kann in unserer Kultur eigentlich keiner leugnen. Oder täusche ich mich?
    Klar, die Verwendung der drei Farben allein macht noch lange kein NPD-Plakat, aber in Kombination mit diesem Wording und der Bildsprache … Oder denkst Du da ganz anders?

    Ein “Fuck” werden Dir sicher die wenigsten auf diesem Planeten als freundliche Begrüßungsformel auslegen, selbst wenn sie kein englisch sprechen.

  4. bei einem Blick ins Impressum etc….. – der Schreiber ist bekennender S21-Gegner

    Aha! Im Impressum stets! … Der Irrwitz nimmt kein Ende. Während ich im Artikel keinen Zweifel über meine persönliche Präferenz in Bezug auf die Gestaltung der Plakate habe aufkommen lassen, bin ich tatsächlich bei der Frage nach der Zukunft von Stuttgart 21 vollkommen neutral bzw. unbeleckt, weil ich schlichtweg nicht genug Hintergrundinfos habe, um dafür oder dagegen sein zu können. Natürlich bin ich auf das Wahlergebnis gespannt, mir ist es jedoch gleich, wie die Wahl ausgeht, insofern finde ich es sehr drollig, was man so in einen Artikeltext und gar in ein Impressum hinein interpretieren kann. Sagenhaft …tsss

    Und putte, den Wortlaut bitte nicht so wörtlich nehmen. Ich wollte mich auf diese Weise lediglich bei Martin von Kessel.tv revanchieren, der mich auf das Thema angespitzt hat. Herzlich gerne sei auch http://www.fluegel.tv im Zusammenhang mit der Berichterstattung über S21 genannt.

  5. Antworten die S21-Gegner auf die MediaMarkt-Kampagne der Pro-ler jetzt mit “Schluß mit dem Preis-Irrsin”? Hier würde es sogar passen… (anders als bei MediaMarkt).

  6. Hinweis: „Mit “Ja“ stimmen Sie für die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben.“

    „Mit “Nein“ stimmen Sie gegen die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojekts Stuttgart 21 auszuüben.“

    Ich muss nochmal: Mich entsetzt diese Formulierung. Wie weit weg vom Volk ist das denn???

  7. 1. Der Kombination Schwarz, Weiß und Rot grundsätzlich eine gewissen Nähe zum rechten Spektrum zuzuschreiben halte ich für recht abenteuerlich. Alleine die Tatsache dass die gegenüberliegende Seite der politischen Orientierung (Die Linke) in ähnlicher Weise kommuniziert und sie sich dabei in bester Gesellschaft der Boulevard Journaille und nahezu jeder mittel-aggressiven Werbekampagne (Mediamarkt) findet, sollte doch Grund genug sein das Farbthema nicht mit dem Inhalt sondern mit der Darreichung zu verbinden. Diese Kombination wirkt bei entsprechender Gestaltung laut und aggressiv, deswegen wurde sie ausgewählt.
    2. Der amtliche Stimmzettel lässt mich wieder mal an unserem Bürokratie-Apparat verzweifeln – es ist mir unbegreiflich warum hier dem Bürger in allerfeinstem Beamtendeutsch die Abstimmung über eine Gesetzesvorlage abverlangt wird – der Bürger will oder will nicht einen Bahnhof – für die nötigen Rahmenbedingungen haben wir doch gewählte Vertreter. Oder ist das völlig normal und mein Demokratieverständnis auf Schlecker-Kunden-Niveau?

  8. An alle, die sich an der “Ja/Nein”-Verwirrung stören: Stimmt, das ist sehr unglücklich. Aber ohne diese “von hinten durch die Brust ins Auge”-Lösung würde es gar keine Volksbefragung geben. Das Land selbst kann nämlich nicht über den Weiterbau oder Stopp des Projekts entscheiden, nur über die dafür bewilligten (und vertraglich vereinbarten) Landesmittel.

    Deshalb hat die grün-rote Koalition das Kündigungsgesetz eingebracht, über das jetzt abgestimmt werden kann. Keine sehr elegante Lösung, aber offenbar leider die einzig mögliche, um überhaupt über etwas in Sachen S21 abstimmen zu können.

  9. Zur Ja/Nein-Verwirrung: Geltende Rechtslage ist, dass Stuttgart 21 gebaut wird, und das Land dafür Geld zahlt. Die neue Landesregierung legt ein Gesetz vor, welches die Finanzierung von S21 durch das Land beenden soll. Deshalb müssen die S21-Gegner (=K21-Befürworter) mit JA und die S21-Befürworter (=K21-Gegner) mit NEIN stimmen.

    Niemand ist glücklich damit, aber anders ging es eben nicht.

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