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Ist das deutsche Apotheken-Logo so scheiße und Fraktur eine „Nazi-Schrift“, wie Jan Böhmermann behauptet?

Apotheken Logo, Quelle: Avoxa - Mediengruppe Deutscher Apotheker
Apotheken Logo, Quelle: Avoxa - Mediengruppe Deutscher Apotheker

In der „Fest & Flauschig“-Folge „Gesund durch die Schwangerschaft“ geht der Satiriker/Podcaster/Entertainer Böhmermann auf das Logo und Markenzeichen der deutschen Apotheken ein. Böhmermann erklärt, das Logo, ein rotes „A“, das in den 1930er-Jahren entworfen wurde, sehe „völlig scheiße“ aus, und er verstehe nicht, weshalb Apotheken heute noch eine „alte Nazi-Schrift“ im Logo verwendeten.

Dass Apotheken in Deutschland dieses „Nazi-Zeichen“ heutzutage auf ihren Schildern verwenden, wie Böhmermann ausführt, könne er nicht verstehen. Europaweit würden Apotheken fast durchgehend ein grünes Kreuz als Erkennungszeichen nutzen, nur in Deutschland (u. Österreich, Schweiz) werde dieses „Fraktur-A“ verwendet, das „Nazi-Ursprünge“ aufweise. Aber stimmt das denn alles, was Böhmermann behauptet? Zusammenfassend lässt sich sagen: nur teilweise.

Die Entstehung des Apotheken-Logos wird auf der Website der Deutsche Apotheken Museum-Stiftung ausführlich beschrieben. Offenbar dienten vor allem die auf der Seite „Geschichte des Apothekenwahrzeichens“ aufbereiteten Informationen Böhmermann als Grundlage für dessen Einschätzungen und Behauptungen. Die Angaben dort, soviel sei gesagt, sind zum Teil nicht korrekt. So sind etwa Geburts- und Todesjahr des verantwortlichen Gestalters des Apotheken-A-Logos, Ernst Paul Weise, falsch (korrekt ist 1890-1981). Weise starb 1981 im Alter von 91 Jahren in seinem Atelier am Breitenbachplatz in Berlin. Es dient dem besseren Verständnis des nachfolgenden Textes, wenn die oben verlinkte Seite zuvor zumindest überflogen wurde.

Nun einmal ganz konkret. Was ist dran an Böhmermanns Aussagen und Einschätzungen? In vielen anderen Ländern nutzen Apotheken in der Tat ein grünes Kreuz als Erkennungszeichen. Drogerien übrigens auch, was die Differenzierung erschwert. In vielen Ländern sind zudem andere Erkennungszeichen und Verkehrszeichen in Gebrauch, um beispielsweise Autobahnen, Haltestellen oder Stadtnamen kenntlich zu machen. Bushaltestellenschilder sind in Deutschland grün und mit einem H gekennzeichnet. In Italien, Spanien und Polen sind die Schilder blau und zeigen ein Bus-Symbol. In England hingegen ist die Farbe der Schilder rot/weiß bzw. rot/schwarz. Selbst die Kennzeichnung von Krankenhäusern ist europaweit uneinheitlich, wie der Vergleich europäischer Verkehrszeichen zeigt. Und diese Heterogenität zeigt sich auch im privatwirtschaftlichen Umfeld, wo Farben und Markenzeichen etwa von Postbetrieben, Supermärkten und anderen Unternehmen im Ländervergleich variieren. Eine einheitliche Kennzeichnung in Bezug auf Krankenhäuser wäre sicherlich hilfreich. Die Frage, ob die Durchsetzung einer europaweit einheitlichen Symbolik für Apothekenbetriebe sinnvoll und darüber hinaus überhaupt möglich ist, lasse ich zunächst einmal unbeantwortet.

Das Apotheken-A ist in der Tat, und in diesem Punkt stimme ich mit Böhmermann überein, ein eigenartiges, seltsames Zeichen. Auch mich fasziniert die Rebus-artige, rätselhafte Bildsprache dieses Zeichens seit Kindheitstagen. Ich sah in der Darstellung, Schlange (Äskulapnatter) + Kelch, stets eine Art Springbrunnen, wobei mir nicht klar gewesen ist, dass es sich um einen Arzneikelch handelt und nicht etwa um ein Champagnerglas, wie ich vermutete. Wie auch die Podcast-Folge aufzeigt, bietet das Logo ganz unterschiedliche Lesarten. Böhmermann stellt das A-Signet in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus.

Böhmermann kritisiert die Form des „A“ und das typographische Zeichen als solches: das „A“ basiere auf einer „alten Nazi-Schrift“, so Böhmermann (Min. 21:35). Darüber hinaus erklärt er, das Logo sei eine „gestalterische Beleidigung, hinter der die Nazis stehen“. Weiter führt der Podcast-Macher aus, der Alternativentwurf aus dem Jahre 1929 (Arzneiflasche mit drei Löffeln, Abbildung) gefalle ihm viel besser als diese „Scheiß-Fraktur“. An die Adresse von Apothekenbetreibern in Deutschland gerichtet regt er dazu an, sich „out of the box“ ein neues Logo auszudenken.

So weit, so unterhaltsam. Ich finde es schlicht großartig, wenn ein Kommunikationsdesignthema wieder einmal eine breite Öffentlichkeit findet. Denn man verkennt ja doch eines sehr leicht: wir alle sind von Kommunikationsdesign umgeben – selten genug nehmen wir die damit verbundenen Botschaften jedoch bewusst wahr. Böhmermann und Schulz haben sich die Mühe gemacht, ein Logo einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich möchte den Blick gerne gemeinsam mit der dt-Leserschaft weiter schärfen, auch weil hier doch von den beiden Machern des Podcast einige Vorurteile bedient werden. Ergänzungen und Korrekturen sind herzlich willkommen.

Frakturschriften haftet seit Jahrzehnten das Stigma von „Nazi-Schriften“ an. Ein Thema, das innerhalb der Designszene bereits oft und ausgiebig diskutiert wurde. Von der rechten Szene wurden/werden Frakturschriften und andere sogenannten gebrochenen Schriften vereinnahmt und instrumentalisiert. Auf den Punkt gebracht möchte ich hier schon einmal festhalten: die Annahme, Nazis hätten Frakturschriften entworfen, ist falsch.

Zur geschichtlichen Einordnung: Frakturschriften entstanden bereits im 15. Jahrhundert. Mitte des 16. bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren Frakturschriften die meistbenutzten Druckschriften im deutschsprachigen Raum. Ich darf mich kurz outen? Frakturschriften sind, zumindest größtenteils, absolut hinreißende, großartige, handwerklich wie künstlerisch wertvolle typographische Werke. Oder um es mit den Worten von Judith Schalanskys zu sagen: „Fraktur mon amour“. Diese meine Liebeserklärung möchte ich bitte nicht als Deutschtümelei, wie sie etwa der „Bund für deutsche Schrift und Sprache“ betreibt, missverstanden wissen. Gebrochenen Schriften sind ein tief verwurzelter Bestandteil europäischer Schriftkultur. Dieser ausgeprägte geschichtliche Zusammenhang wird von Böhmermann und Schulz leider gänzlich ausgeblendet. * Lieber Jan, lieber Olli: es gibt u.a. in Berlin so viele handwerklich gut ausgebildete Schriftgestalter, die über so viel mehr typograpisches Wissen verfügen als ich: vielleicht besucht ihr mal den ein oder die andere, um in die Thematik tiefer einzusteigen? *

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die politische Auseinandersetzung rund um den Antiqua-Fraktur-Streit im Detail auszubreiten. Deshalb in aller Kürze: Die Nationalsozialisten hatten, angetrieben von ihrer menschenverachtenden Ideologie, im Rahmen ihrer Schriftpolitik gebrochene Schriften zunächst zur „Normalschrift“ erklärt, um schließlich 1941 die Abkehr von der bis dahin weit verbreiteten Schrift Schwabacher zu vollziehen, von den Nazis als „Judenschrift“ diskreditiert. Dass hierbei die tatsächliche Entstehungsgeschichte dieser Schrift und die damit verbundenen Realitäten komplett verkehrt wurden, kennzeichnet die von Desinformation und Manipulation geprägte Politik der Nazis. Auf gebrochene Schriften folgten zu Zeiten der Nationalsozialisten die sogenannten Antiqua-Schriften, jene Schriftarten (mit und ohne Serifen), die wir größtenteils heute in Medienanwendungen sehen. So kommen beispielsweise auch beim „ZDF Magazin ROYAL“-Logo Antiqua-Schriften zum Einsatz.

Da gebrochenen Schriften, insbesondere die Fraktur, über 400 Jahre lang die Buch- und Verkehrsschrift der Deutschen gewesen ist, greift die verkürzte Bezeichnung „Nazi-Schrift“ zu kurz. Richtig ist hingegen, dass die Nationalsozialisten mit gebrochenen Schriften ihre Propaganda betrieben haben. Dieser Eindruck hat sich in den Köpfen der Menschen, über Generationen hinweg, eingeprägt. Und dieser Eindruck wird nun gewissermaßen durch Böhmermanns Aussage weiter manifestiert. Das ist sehr schade, denn auch wenn Satire zuspitzen und verzerren darf, wird diese Form der Simplifizierung der Sache und der damit verbundenen Kulturgeschichte nicht gerecht.

Simplifizierung innerhalb der Kommunikation hat einen großen Vorteil: in kurzer Zeit können vergleichsweise viele Informationen übertragen werden, gleichzeitig bleibt die Aufmerksamkeit des Empfängers hoch. Ein bewährter Kniff, den sich Designer, Werber wie auch Entertainer gleichermaßen zu nutze machen. Der Haken dabei ist: wichtige Details bleiben dabei oftmals auf der Strecke, so auch in diesem Fall.

Weder ist die Fraktur eine Nazi-Schrift, noch handelt es sich beim roten Apotheken-Logo um ein „Fraktur-A“, wie Böhmermann behauptet. Auch auf der verlinkten Seite der Deutsche Apotheken Museum-Stiftung ist fälschlicherweise von Frakturschrift die Rede. Außerhalb der Gestalterszene wird dieser Begriff oftmals Synonym für gebrochene Schriften verwendet.

Ein Fraktur-A sieht typischerweise ganz anders aus. Nach heutigem Empfinden wirkt das „A“ der Frakturschriftart Schwabacher eher wie ein „U“:

Schwabacher Fraktur – Großbuchstabe A
Schwabacher Fraktur – Großbuchstabe A

Die politische Aufladung, wie sie das Apotheken-Logo durch Böhmermann erfährt, erscheint mir ungerechtfertigt. Die Nationalsozialisten haben, dies ist soweit korrekt, unter der Leitung von Reichsapothekerführer Albert Schmierer durchgesetzt, dass Apotheken in Deutschland mit einem roten A auf dem Schild ausgestattet wurden, und zwar mit der Version mit eingebetteter Lebensrune (Elhaz). Die Lebensrune, wie auch einige andere Runen, werden ebenso wie gebrochene Schriften von der rechten Szene vereinnahmt. Die rechtsextreme schwedische Partei Svenskarnas parti (2015 aufgelöst) nutzte diese Rune innerhalb ihres Parteilogos. Andere Runenzeichen, darunter die Siegrune und die Odalrune, gehören zu den Symbolen, deren Verwendung heutzutage verboten ist.

Wer Runen und Frakturschriften ausschließlich mit dem Nationalsozialismus assoziiert, verkennt dabei, dass ihre Geschichte sehr viel weiter zurückreicht. Ihre vermeintlich nationalsozialistische Anmutung ist ein Produkt, das der heutigen Assoziation entstammt, wie Ralf Herrmann treffend in seinem lesenswerten Aufsatz „Wie viel Politik steckt in gebrochenen Schriften?“ formuliert. Runen und Frakturschriften stehen in engem Zusammenhang mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Das ja! Dies alleine macht sie jedoch nicht generell zu Nazi-Zeichen und -Schriften.

Das einzige „Nazi-mäßige“, wie Böhmermann es formuliert, das dem alten Apotheken-Logo anhaftet, ist das auf Geheiß Schmierers eingebettete Runen-Symbol. Darüber hinaus vermag ich keinen unmittelbaren Zusammenhang mit einer von den Nazis betriebenen Propaganda zu erkennen, weder in Bezug auf das alte Apotheken-Logo, noch in Bezug auf die aktuelle Version mit Schlange.

Dass Böhmermann, Schulz und womöglich viele andere Menschen die Gestaltung des A-Signets scheiße finden, sei ihnen unbenommen. Ich persönlich halte die Formgebung des „A“ für ziemlich ausgeklügelt und raffiniert, vor allem dank des roten Kreuzes, welches sich darin verbirgt und auf diese Weise, zum Kontext passend, medizinische Hilfe kommuniziert:

Apotheken Logo (animiert)
Apotheken Logo (animiert), Quelle: Avoxa – Mediengruppe Deutscher Apotheker, Bildmontage: dt

Der zur linken Seite herausragende Querstrich mit senkrechtem Abschluss im „A“, mit dessen Hilfe das Kreuz gebildet wird, ist ein für gebrochene Schriften absolut untypisches Stilelement. Bedingt durch die ursprüngliche Verwendung mit Schreibfeder sind Querstriche in gebrochenen Lettern in aller Regel angewinkelt. „Gebrochen“ übrigens deshalb, weil Schreiber und Kalligraphen mit ihrer Feder abrupte Richtungswechsel vollziehen, wodurch die Lettern wie abgehackt, eben gebrochen wirken. Daher auch die Bezeichnung Fraktur, in Anlehnung an den Knochenbruch (lateinisch: fractura).

In diesem Punkt der Gestaltung hat sich Ernst Paul Weise also ganz bewusst von der traditionellen Anmutung gebrochener Schriften gelöst, um so einen kontextualisierten, inhaltlichen Bezug herzustellen. Der Originalentwurf von Weise zeigt ein „A“ ohne Schlange, dafür mit zusätzlichem weißen Kreuz im unteren Bereich:

Entwurf für das Apotheken-A (Ernst Paul Weise, 1936)
Entwurf für das Apotheken-A (Ernst Paul Weise, 1936), Quelle: Wikipedia

Gebrochene Lettern zeichnet aus, dass sie über einen vergleichsweise hohen Strichstärkenkontrast verfügen. Bei dem von Weise gezeichneten „A“ sind die Striche jedoch annähernd gleich breit. Anhand der genannten Merkmale wird klar, so hoffe ich, dass es sich bei dem A-Signet eben nicht um eine gewöhnliche gebrochene Schrift und schon gar nicht um eine Fraktur handelt. * Edit 02.09., 14:40 Uhr: siehe Kommentar von Florian * In dem A-Signet werden vielmehr jene in der Gesellschaft der 1930er-Jahre vorherrschenden Geschmacksvorstellungen aufgegriffen und mit dem für Apotheken (und das Themenspektrum Medizin insgesamt) gebräuchlichen Kreuzsymbol kombiniert.

Man bedenke: Gebrochene Schriften haftete zu damaliger Zeit nichts Anrüchiges an, im Gegenteil. Sie waren populär und überall auf Plakaten, Flugblättern und Schildern zu sehen, so auch an der Fassade der ersten Filiale der Brüder Albrecht (später ALDI). Überdies waren gebrochene Schriften in keiner Weise politisch aufgeladen. Kommunisten, Nationalisten und auch unpolitische Gruppen (soweit dies damals möglich war) verwendeten gebrochene Schriften.

Indem der Gestalter Weise die Formgebung des „A“ frei von Schnörkeln und Schweifen angelegt hat und bewusst das traditionelle Aussehen gebrochener Lettern veränderte, schlug er gewissermaßen eine Brücke hinüber zur gestalterischen Avantgarde und zur Moderne. Heutzutage ist „Bauhaus-Design“ durchweg positiv besetzt, und konnotiert Werte wie Anspruch, Haltung, Qualität und Ästhetik. Zu Zeiten der Weimarer Republik wurden Arbeiten der „Bauhäusler“ jedoch von großen Teilen der Gesellschaft als „spinnerte“ Ideen abgetan, an denen sich lediglich die Elite erfreute.

Schriften wie die von Paul Renner 1927 entworfene Futura wurden, ob ihrer für das damalige Empfinden höchst ungewöhnlichen, vermeintlich abstoßenden Form, als grotesk bezeichnet. Diesen Klassifizierungsnamen – Groteske – haben serifenlose Linear-Antiqua-Schriften bis heute beibehalten. Wollte man als Unternehmer wie auch als Gebrauchsgrafiker eine breite Masse ansprechen und positive Assoziationen wecken, musste man also auf andere Gestaltungsmittel zurückgreifen.

Ich halte die von Böhmermann getroffene Zuschreibung, das aktuelle A-Signet sei „Nazi-mäßig“, auch deshalb für kritisch und für eine starke Form der Verzerrung, weil hierbei der Person Weise einerseits wie auch dem Apothekenverband (ABDA) anderseits das Etikett angeheftet wird, sie verträten rechtsextremes Gedankengut. Auch wenn Böhmermann dies tatsächlich so nicht ausgesprochen hat, verbreitet sich diese Aussage gleich einem Meme nun im Netz, größtenteils unmoderiert, unkommentiert, unreflektiert. Nun bin ich nicht Lobbyist des Apothekenverbandes – dieser darf sich hierzu gerne selbst äußern. Eine Anfrage meinerseits wurde am Telefon zwar freundlich aufgenommen, bisher jedoch schriftlich nicht beantwortet. [Edit 02.09. 19:22 Uhr: Antwort siehe Kommentar]

Was mich wirklich stört, ist, dass der von den Nazis ausgegrenzte Gebrauchsgrafiker Weise das Label angedichtet bekommt, er sei quasi Erfüllungsgehilfe der Nazis gewesen. Kurz nachdem Weise mit seinem Entwurf für das A-Signet den ersten Preis in dem vom „Amt für Werbung der Deutschen Apothekerschaft“ ausgeschriebenen Wettbewerb erzielte, wurde Weise von der Reichskulturkammer das Berufsverbot ausgesprochen. Böhmermann geht auf diesen Umstand auch in der Podcast-Folge in einem Nebensatz ein. „Nur die politischen Ereignisse verhinderten letztlich eine große Karriere des Berliner Grafikers“, wie Uwe Westphal im Buch „Werbung im Dritten Reich“ (1989, Transit Buchverlag) schreibt.

Nach Einschätzung Westphals, mit dem ich gestern ein Gespräch führte, galt Weise damals als einer der profiliertesten Gestalter in Deutschland. Beeinflusst waren Weises Arbeiten für Kunden wie Flohr, Daimon, Schocken, Continental, u.a., wie Westphal im Buch schreibt, zunächst vom Jugendstil und zunehmend „von der Sachlichkeit des Werkbundes und der klaren Linienführung des Bauhauses“. Nicht nur Weises Ehefrau, Eva Stern, hatte jüdische Wurzeln, laut Westphal galt dies auch für Weise selbst. Westphal stützt sich hierbei auf Aussagen der Tochter von Ernst Paul Weise.

Ich zitiere weiter aus dem Buch: „Die spätere graphische Arbeit spielt sich bei Weise später eher im Verborgenen ab. Erfolge im Berufsleben bedeuteten jetzt eine große Gefahr. Die Anonymität seiner Arbeiten wurde nun zur Voraussetzung des Überlebens“. Die Kriegsjahre waren bei Weise, wie bei so vielen anderen von den Nazis verfolgten Menschen, von Flucht und Vertreibung bestimmt.

Es wäre ein Unrecht, wenn der Eindruck entstünde, die Arbeiten Weises, wozu auch das Apotheken-A zählt, sei das Ergebnis von Nazi-Loyalität. Das A-Signet ist alles: eigenartig, rätselhaft, kantig, grob-klotzig, verschroben – nur „Nazi-mäßig“ ist es nicht. Bei genauer Betrachtung, und wenn man etwas länger hinschaut, wird man dies auch erkennen. In Zeiten, in denen die Aufmerksamkeitsspanne oftmals nicht einmal für ein 30-sekündiges Video auf TikTok reicht, ist auch dieser Text wahrlich eine Zumutung. Deshalb hier der Versuch das Geschriebene auf einen Satz zu verdichten, ohne dabei zu simplifizieren, versteht sich:

Das Apotheken-A ist nicht etwa eine Manifestation und Visualisierung nationalsozialistischer Ideologie, sondern vielmehr Ausdruck des damaligen Zeitgeschmacks.

So wie der bis heute nahezu unveränderte verschnörkelte Coca-Cola-Schriftzug Ausdruck des damaligen Zeitgeschmacks ist. Und so wie Design insgesamt, somit auch Kommunikationsdesign und Corporate Design, stets modischen Einflüssen unterliegt.

Wenn wir Symbole, Zeichen und Logos betrachten und bewerten, dann möglichst ganzheitlich, nicht bloß aus dem verengten Blickwinkel der Gegenwart heraus. Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung, vom Verfassungsschutz als klar rechtsextremistisch eingestuft, setzen in ihrer Kommunikation auf ganz andere, die wahre Gesinnung kaschierende Stilmittel. Deshalb müssen und sollten wir den Blickwinkel weiten. Nicht nur Tradiertes hinterfragen, sondern auch das im Gewand des Gefälligen kommunizierte. Die IB setzt auf Farben, Formen und Schriften, die weniger bis kaum geschichtlich belastet und deshalb auch nicht rechtsextrem konnotiert sind. Als wäre Sprache und visuelle Kommunikation, und dessen Rezeption, heutzutage nicht schon anspruchsvoll genug, gilt es nun auch noch Verschleierungstaktiken zu decodieren.

Abschließend möchte ich Jan Böhmermann in einem weiteren Punkt widersprechen: der von Rudolf Weber gestaltete grüne Entwurf „Arzneiflasche mit drei Löffeln“ ist nicht etwa „mega slick“, sondern er schaut aus, wie Olli Schulz treffend formuliert, dabei seinem Podcast-Kollegen in bester Sidekick-Manier in die Parade fahrend, wie ein „Mann mit Zylinder, der dreimal mit einem Löffel durchstochen wurde“. Die Fernwirkung dieses grünen, illustrativen Zeichens, das eher ein Piktogramm darstellt, denn ein Logo, ist im Vergleich zum prägnanten roten „A“ sehr bescheiden und deshalb wenig geeignet. Das von Weise geschaffene „A“ ist um so viel schlichter, prägnanter, ausdrucksstärker und entspricht unserem heutigen Verständnis hinsichtlich reduzierter Formsprache viel mehr, als das doch recht naive Signet mit Arzneiflasche.

Übrigens: In der Podcast-Folge „Todesengel Maischberger“ wird das Design Tagebuch ausführlich von Jan Böhmermann gewürdigt (ab Minute 31). Nochmals danke und liebe Grüße!

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Dieser Beitrag hat 56 Kommentare

  1. “und Schweiz, Österreich”?
    In der Schweiz werden grüne kreuze verwendet, früher mit einer balkenwaage und schlange, heute wohl eher mit einem umgekehrten S (logo des pharmaverbandes).
    In Österreich entstand nach dem krieg ein rotes schreibschrift-A aus einer schlange, da das gebrochene A als nicht mehr zeitgemäß empfunden wurde.
    Und ich habe in dem kelch mit schlange immer ein waschbecken gesehen, als symbol, dass sich apotheker auch die hände waschen.

    In deutschen flughäfen kombinieren die apotheken das A mit einem grünen kreuz, das international wohl verbreiteter ist. (In Frankreich kenne ich grüne kreuze, die auf verschiedene weise mit neonröhren und LED animiert sind ….)

    1. .. zumindest aber in Cham im Kanton Zug steht neben dem Eingang der Ortsapotheke ein entsprechendes “A”. Ich muss es wissen, ich gehe jeden Tag daran vorbei.

  2. Kommunikationsdesign ist nie nur rein Formal. Im besten Fall werden inhaltsleere Formen mit Pathos gefüllt. Aus handwerklicher Sicht beinhaltet ein grafisches Element eine Botschaft die kommuniziert werden soll. Banal gesagt, rund=weich=wohlwollend.
    Kommunikationsdesigner vergessen oft, dass Design niemals nur rein formal Objektiv sein kann. Denn hinter jedem Logo, hinter jedem Bild, jeder Schrift, jeder Form soll ja letztendlich eine Botschaft kommuniziert werden. Gut wenn die Botschaft des Designers dahinter erkannt wird, aber in jedem Fall kommt das subjektive Empfinden des Betrachters noch dazu.

    Und wenn eine spezielle Schrift immer und immer wieder von den Nazis benutzt wurde, ist diese Schrift nunmal unabänderlich mit diesem geschichtlichen Abschnitt in vielen Köpfen der Menschen mit diesem Ereignis verbunden. Die Argumentation ist zu oberflächlich und nur rein formal. Es wäre die selbe Argumentation zu sagen, wir entziehen dem Hakenkreuz den geschichtlichen Kontext und bewerten/analysieren es rein gestalterisch. Wie es Achim mit dem Apotheken Logo gemacht hat. Es wäre dann nämlich auch „nur“ ein Symbol das es schon längst vor den Nazis gegeben hätte und ursprünglich nichts mit der Ideologie der Nazis zu tun hätte. So denkt aber keiner und so wird es ja auch nicht richtig! Das Zeichen ist verboten und das ist auch gut so! Die scheiß Nazis haben das formal harmlose Signet des Sonnenkreuzes zum menschenverachtendsten Signets der Weltgeschichte gemacht. Punkt. Die Fraktur wurde als Hausschrift nun mal propagiert und das Apotheker-Logo in Auftrag gegeben und implementiert.

    Das Hakenkreuz ist und bleibt ein Nazi-Symbol. (Dachmarke)

    Die Runen sind Nazi-Symbole. (Icons)

    Die Fraktur ist im heutigen Kontext in den meisten Köpfen ein Nazi-symbol. (Hausschrift)

    Das Apotheken Logo sollte ein Nazi-Symbol werden (Sub-Marke)

    So schön und leidenschaftlich das Apotheker-Logo und die Fraktur auch gestalterisch analysiert wurde. Sweet. Nein nicht Sweet. Das diente nur dem Selbstzweck des Autors. Er hat den geschichtlichen Kontext, die subjektive Wahrnehmung und die schlimmsten Auftraggeber nicht mit berücksichtigt

    1. “Designer Heiner” bringt einiges in seinem Kommentar durcheinander, blendet in seinen Aussagen wichtige Zusammenhänge aus, verzerrt und verdreht dadurch Tatsachen und Geschichte und trifft obendrein Aussagen, die faktisch falsch sind.

      Und wenn eine spezielle Schrift immer und immer wieder von den Nazis benutzt wurde, ist diese Schrift nunmal unabänderlich mit diesem geschichtlichen Abschnitt in vielen Köpfen der Menschen mit diesem Ereignis verbunden.

      In dieser Aussage wird völlig außer Acht gelassen, dass gebrochene Schriften und Frakturschriften vor, während wie auch nach der Zeit des Nationalsozialismus vielfach in anderen Kontexten und Anwendungen in Gebrauch sind, hier zudem positiv konnotiert: Bierbrauereien, Gaststätten, Lebensmittelläden, Handwerksbetriebe, andere Gewerbe, auch Apotheken, Marktveranstalter, Zeitungen u.a., nutzen diese Schriften ebenso wie viele Gemeinden, die damit Straßenschilder ausstatten. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern international, siehe NYTimes, Corona Bier, u.v.m. Bis heute nutzt etwa auch das Disneyland Resort in Kalifornien, allgemein als „Disneyland“ bekannt, in seinem Logo eine gebrochene Schrift (bitte nicht mit The Walt Disney Company verwechseln).

      Im Kommentar wird suggeriert, einzig Nazis hätten gebrochene Schriften verwendet. Dem ist jedoch nicht so.

      Die scheiß Nazis haben das formal harmlose Signet des Sonnenkreuzes zum menschenverachtendsten Signets der Weltgeschichte gemacht. Punkt. Die Fraktur wurde als Hausschrift nun mal propagiert und das Apotheker-Logo in Auftrag gegeben und implementiert.

      In diesem Kommentar wird so getan, als stünden hinter jeder Maßnahme die selben Personen. Pauschalisierend ist von „scheiß Nazis“ die Rede. Die Aussage ist ziemlich undifferenziert und schwammig. Ja, die NSDAP nutzte im Rahmen ihrer Propaganda zunächst über viele Jahre Frakturschriften. Allerdings wurden die betreffenden Entscheidungen jeweils von anderen Personen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten und unter unterschiedlichen Regierungen getroffen. Das Apotheken-A mit Rune wurde 1937, wie im Artikel beschrieben, unter der Leitung von Reichsapothekerführer Albert Schmierer eingeführt. Das Hakenkeuz wurde hingegen mindestens seit 1923 von der NSDAP verwendet („Der Ursprung des Partei-Emblems der NSDAP ist nicht mehr in allen Einzelheiten zu klären“, aus „Schwarze Fahnen, Runenzeichen“, von Karlheinz Weißmann).
      Richtig gestellt gehört zudem: das Hakenkreuz basiert nicht etwa auf dem vom Kommentator erwähnten Sonnenkreuz – hierbei handelt es sich um ein völlig anderes Zeichen (siehe Radkreuz) –, sondern es basiert auf der sogenannten Swastika. Einem Zeichen, dessen Verwendung in Asien und Europa sich bis zu einer Zeit etwa 10.000 v. Chr. nachweisen lässt und das, um einmal den einleitenden Text auf Wikipedia zu übernehmen, im Hinduismus, Jainismus und Buddhismus bis heute als religiöses Glückssymbol verwendet wird.

      Im Übrigen: nicht das Hakenkreuz-Symbol ist menschenverachtend – menschenverachtend ist die Ideologie, die dieses Zeichen repräsentiert.

      Das Hakenkreuz ist und bleibt ein Nazi-Symbol. (Dachmarke)

      Weder ich als Autor noch dt-Leser behaupten gegenteiliges. Wobei der Zusatz „Dachmarke“ in diesem Zusammenhang unzutreffend ist, da auf diese Weise eine Querverbindung unterstellt wird, die so nicht besteht. Zu diesem Aspekt gleich noch mehr.

      Die Runen sind Nazi-Symbole. (Icons)

      In dieser pauschalen Form ist die Aussage falsch. Runen spielen innerhalb der NS CI eine wichtige Rolle. Das ganz sicherlich. Die Geschichte dieser alten germanischen Schrifzeichen reicht jedoch rund 2.000 Jahre zurück. Nazi-Symbole sind zudem keine Icons, keine selbsterklärenden Piktogramme (z.B. ein Drucker-Icon).
      Einer sachlichen Diskussion dient es gewiss nicht, wenn man derlei Pseudo-Thesen in den Raum stellt, die zudem eine bemerkenswerte Geschichtsvergessenheit erkennen lassen. Es gibt, das scheint mir an dieser Stelle tatsächlich hilfreich anzumerken, auch eine Zeit vor und nach dem Dritten Reich.

      Die Fraktur ist im heutigen Kontext in den meisten Köpfen ein Nazi-symbol. (Hausschrift) […] Das Apotheken Logo sollte ein Nazi-Symbol werden (Sub-Marke)

      Beide Aussagen sind schwammig und pauschalisierend. Anstatt auf Basis belegter Fakten zu argumentieren, wird gemutmaßt und unterstellt.
      Eine weitere Richtigstellung: Auch wenn Reichsapothekerführer Schmierer als SA-Oberführer erreicht hatte, dass die Man-Rune in das Apotheken-A eingebunden wurde, besaß die damalige Regierung keinerlei Verfügungsrecht über das Wahrenzeichen der privatwirtschaftlichen Apothekerorganisation. Das Führen einer Sub-Marke setzt allerdings eine Verfügungsmacht/Entscheidungsgewalt voraus. Der Begriff „Sub-Marke“ ist deshalb unpassend und falsch.

      Es ist jene Simplifizierung und jenes Aussparen wichtiger Aspekte und Zusammenhänge, wie sie in diesem Kommentar zum Ausdruck kommen, die für mich Anlass gewesen sind, diesen Beitrag zu schreiben.

      Im Kommentar von “Designer Heiner” werden vielfach oberflächliche, pauschale wie auch sachlich falsche Aussagen getroffen. Es werden zudem keinerlei überzeugende Argumente gegeben, die den Artikeltext widerlegen könnten. Das berühmt-berüchtigte gefährliche Halbwissen, hier gepaart mit einer Portion Polemik.

      1. Es sei am Rande noch bemerkt, das in Finnland das Hakenkreuz auch verwendet wurde und bis heute verwendet wird.

    2. Was Sie schreiben, Designer Heiner, ist im Wesentlichen gröbster Unfug. Offenbar haben Sie den Text nicht wirklich gelesen oder verstanden. Sie verzerren die Wahrheit leider genau so wie Böhmermann. Ja, in der Zeit des Nationalsozialismus wurden solche Schriften verwendet. Sie wurden ebenso verwendet, wie das, was wir heute als Normalschrift bezeichnen. Sie wurden auch deshalb verwendet, weil die gemischte Verwendung von Schriften üblich war. Ja, auch lange vorher waren Frakturschriften Bestandteil von z.B. Plaketen, Werbung, ganze Bücher wurden so gedruckt. Nach Ihrer seltsamen Logik müsste auch die heutige Normalschrift “Nazi” sein. Die auch die wurde damals verwendet, ja, auch für Propaganda. Dazu kommt die Tatsache, dass man 1941 bekanntermaßen plötzlich auf die Idee kam, das Frakturschriften “Judenlettern” und deshalb verdammenswert seinen, was mit absurden Erläuterungen begründet wurde – und man erklärte eben die Antiqua zur Normalschrift. Also genau die Schrift, die wir heute benutzen. Nicht nur wir, sondern alle Teile der Welt, welche das lateinische Alphabet verwenden. Ich kann über Ihren Beitrag wirklich nur mit dem Kopf schütteln.

  3. Guten Tag zusammen, in der Schweiz wird dieses Logo nicht verwendet (im Text so aufgeführt). Das Grüne Kreuz ist relevant. Gruss aus der Schweiz, Daniel

  4. vielen dank für diesen unglaublich gut recherchierten und argumentierten Artikel! nicht nur habe ich etwas über den Hintergrund des Apotheken-As gelernt, sondern ich begrüße auch ausdrücklich die Aufklärung über – möglicherweise aus Unachtsamkeit – schlecht/nicht recherchierte Fake-news. DANKE!!!

  5. Danke lieber Achim für Deine Darstellung.
    Ach was gäbe ich doch dafür, noch einmal den herrlichen Monolog von Günter Gerhard Lange zu hören. Der Typograf erzählte vor Jahren auf einer Tagung vor Designern in Waldeck, wie er damals die Chefs der (schon damals) sehr konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ davon überzeugte, dass nicht die gebrochene Schrift per se eine “Nazi-Schrift” sei, im Gegenteil, die Schwabacher wurde vom Reichspropagandaministerium als “Judenschrift” bezeichnet.
    Die Auseinandersetzung zwischen GGL und FAZ muss sehr interessant gewesen sein, und endete in der Überarbeitung und leichten Modernisierung der FAZ-Hausschrift, die wohl noch heute in Gebrauch ist.

  6. Hier eine weitere Anwendung einer gebrochenen Schrift

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