eGovernment war in Deutschland vor einigen Jahren ein „Buzzword“, das in keiner Pressemeldung fehlen durfte. Aus den ehrgeizigen, meist vollmundig angekündigten Zielen hiesiger Kommunen ist wenig bis nichts geworden. Dies bestätigt nun auch die Studie eGovernment MONITOR 2014, die letzte Woche erschienen ist. Einen Aspekt klammert die Studie weitestgehend aus: Nutzerfreundlichkeit kommt nicht von ungefähr, sondern hat viel mit Design zu tun.
Von den 25 Stadtportalen, die vor vier Jahren hier im dt einem großen Vergleich unterzogen worden sind, wurden im Zuge von Relaunchs immerhin elf erneuert. Lediglich die Portale von Bremen, Hamburg, Köln, (alle adaptiv) und Nürnberg verfügen seitdem über Responsivität. Was schon zeigt, dass hier zwar eine gewisse Dynamik existiert – viele der Bewegungen laufen jedoch in die falsche Richtung. Das fängt, wie in Kaiserslautern, bei einer verfehlten Namensgebung innerhalb der Hauptnavigation an, geht über Defizite im Bereich der Usability und reicht bis zur unzureichenden Unterstützung mobiler Endgeräte. Für Werbekampagnen geben Städte wie Düsseldorf viel Geld aus. Sinnvoller wäre es, in die Modernisierung digitaler Anwendungen zu investieren. Für kleine Evolutionsstufen ist es mittlerweile zu spät. Was Städte und Regierungen hierzulande benötigen ist ein revolutionäre Neudefinition ihrer digitalen Aktivitäten.
„Die größte Barriere für die Nutzung von digitalen Angeboten ist die Unkenntnis über die Existenz dieser Angebote”, so Alfred Zapp, Vizepräsident der Initiative D21, die die Studie herausgegeben hat. Übertragen auf das Beispiel Kaiserslautern.de heißt dies: wer Formulare und Anträge unter kryptischen, pseudo-kreativen Bezeichnungen versteckt, braucht sich nicht wundern, dass sie keiner findet. Besser macht es etwa die Stadt Luzern, womit wir auch schon bei den positiven Beispielen wären, von denen es in Deutschland leider zu wenige gibt. Auch wenn die Bezeichnung „Online-Schalter“ wenig verbreitet ist, kennzeichnet er doch, und zwar unmittelbar auf der Startseite, einen Zugang zu Online-Anträgen und -Formularen. Schweiz wird in der Studie als das Land benannt, in dem die Nutzerzufriedenheit am größten ist.
Wenn, wie in der oben genannten Studie festgestellt, in Deutschland (45%) weniger Nutzer eGovernment-Angebote nutzen als etwa in Österreich (72%), Schweden (71%), und der Schweiz (61%), dann mag das sicherlich auch daran liegen, dass diese von vielen Bürgern gar nicht erst gefunden werden. Man muss es wiederholen. Die zentralen Dienste von Stadtportalen werden meist gar nicht gefunden! Wer sich die oftmals überladenen Startseiten unserer Großstädte anschaut, wird dies bestätigen können.
Ebenso entscheidend für den geringen Zuspruch erscheint mir jedoch der Umstand, dass die vergleichsweise wenigen echten eGovernment-Angebote auch noch den Eindruck erwecken, als hätte seit der Jahrtausendwende webtechnologisch wie auch gestalterisch keinerlei Veränderung stattgefunden. Abgesehen davon kann man hunderte zum Download bereitgestellte PDFs wohl kaum als Leistung in Sachen eGovernment verbuchen. Es kann doch anno 2014 nicht mehr sein, dass Bürger die Formulare erst ausdrucken und dann ans Rathaus faxen müssen. Das ist eGovernment 0.1.
In anderen Ländern ist man in der Tat weiter. Österreichs Stadtportale sind zwar nicht wirklich ansprechender – absolut nicht! –, allerdings können zum Beispiel Bürger der Stadt Wien per Internet über 150 Anträge stellen. Zum Vergleich: In Berlin sind es mit 71 Online-Formularen nicht einmal die Hälfte. Im Folgenden möchte ich eine kleine Auswahl an ausgezeichneten Weblösungen nennen, auch um Entscheidern in städtischen Verwaltungen einen Schnelleinstieg zu bieten.
Eines wird anhand der aufgeführten Beispiele klar: Nutzerfreundlichkeit hat viel mit Design zu tun. Design ist nichts, das man hinterher, wenn die Konzeption und Site-Struktur bereits steht, drüberstülpen kann. Im besten Fall hätte man dann lediglich eine ansprechende Optik. Design setzt früher an und berücksichtigt entscheidende Faktoren wie Usability, Nutzerbedürfnis, Nutzungskontext, Nutzungserlebnis und auch die Gestaltung, eben die gesamte Bandbreite der User Experience. Was entstehen kann, wenn Leute vom Fach aus den unterschiedlichsten Disziplinen miteinander sprechen und arbeiten, sollen einmal die folgenden Beispiele veranschaulichen.
Stockholm, Schweden
Stockholms Bürger können sich glücklich schätzen. Auch weil ihr Stadtportal (stockholm.se) kontinuierlich weiterentwickelt wird und nicht nur alle 5–10 Jahre. Nutzerfreundlich ist der Auftritt schon lange, dafür sorgt eine aufs Wesentliche fokussierte Gestaltung, seit letztem Jahr passt sich der Webauftritt auch den Bildschirmgrößen der Endgeräte an. Vom Bemühen, ein optimales Gesamterscheinungsbild als Stadt abzugeben, zeugt auch die im letzten Jahr vorgenommene Anpassung des Corporate Designs.
Alle Online-Formulare sind über die Hauptnavigation (E-tjänster) von jeder Seite aus erreichbar. Ein kluges Schriftkonzept sorgt dafür, dass alle Texte leicht lesbar sind. Alle Links sind in der Farbe Blau gekennzeichnet (berücksichtigt Rot-Grün-Sehschwäche) und alle Schaltflächen sind ausreichend groß. Ein Paradebeispiel schlechthin!
Britische Regierung
Gut für die Schotten, dass sie mehrheitlich gegen die Unabhängigkeit gestimmt haben. Denn sonst wäre ihnen wohl auch der Zugang zum offiziellen Webportal der Britischen Regierung gov.uk entzogen worden. Was die Briten in den vergangen Jahren da ins Netz gestellt haben, setzt in vielerlei Hinsicht Maßstäbe. Es ist das ambitionierteste Webprojekt, das es in den vergangenen Jahren gab. Hunderte von Domains wurden eingestampft, tausende überflüssige Unterseiten entfernt, um stattdessen unter einem zentralen Zugang alle wesentlichen Dienste der Britischen Registrierung zu bündeln. „digital by default“ nennt die Britische Regierung ihre Konzept, für das Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen verantwortlich zeichnen. Allein über 100 Techniker wurden in den vergangenen 12 Monaten für dieses Vorhaben angeheuert.
„User-centred design“ nimmt bei diesem Projekt eine maßgebliche Funktion ein. Die Verantwortlichen stellten sich nicht die Frage: „Was stellen wir alles auf die Startseite?“, sondern „Was ist es, was die Bürger wirklich, wirklich dringend benötigen?“ Wer die richtigen Fragen stellt, ist offenbar auch dazu in der Lage, die passende Antwort zu geben, denn das Regierungsportal ist so einfach, aufgeräumt, intuitiv und dabei optisch ansprechend, wie man es sich auch in Deutschland wünschte. Texte sind groß. Bilder kommen nur dann zum Einsatz, wenn diese auch eine Information beinhalten. Es gibt kein Schmuckwerk, kein Gedöns, nichts, das ablenkt. Das Suchfeld ist das zentrale Navigationsinstrument. Dieser Umstand eint übrigens die hier vorgestellten digitalen Angebote. Als wäre das Projekt nicht schon anspruchsvoll genug, ließ man sich auch gleich eine neue visuelle Identität maßschneidern.
Alberta, Kanada
Vor einigen Wochen stellte die Regierung in Alberta/Kanada eine Beta-Fassung ihres neuen Webkonzeptes ins Netz. Unter beta.alberta.ca können sich Bürger bereits vor dem offiziellen Start einen Einblick von der vereinfachten Webanwendung machen. Ganz bewusst werden Bürger zur Partizipation ermutigt, auch ein Modell, das hierzulande gerne Schule machen darf. Schaut her! Wir haben für euch etwas entwickelt. Es ist noch nicht perfekt. Lasst uns gerne wissen, was euch stört, wo es hakt und was wir verbessern können. Wenn hierzulande eine Regierungs-Website oder ein Stadtportal relauncht, fehlt oftmals gar die Presseerklärung dazu. Auch in Sachen Kommunikation gibt es in den hiesigen Verwaltungen viel Nachholbedarf.
Auch in diesem Fall liegt der Hauptfokus auf dem Suchfeld. Eine kurze Formel hierzu: Je umfangreicher und komplexer ein digitales Angebot, umso wichtiger ist die Suchfunktion und umso prominenter sollte der Zugang hierzu sein. Statt sich also die Köpfe zu zerbrechen, wie man 7, 8 oder noch mehr Hierarchieebenen in Navigationsleisten unterbringt, sollte man sich vielmehr um eine ausgereifte Suchtechnologie kümmern, die dafür sorgt, dass Nutzer das finden, was sie suchen. Was auch auf beta.alberta.ca noch fehlt, sind Suchvorschläge bei der Eingabe.
Wellington, Neuseeland
Wellington.govt.nz, das Regierungsportal der Stadt Wellington in Neuseeland, kann man getrost als „best practice“ bezeichnen. Was die Neuseeländer Anfang März 2013 ins Netz gestellt haben, kann nicht nur optisch überzeugen, sondern auch webtechnologisch. Das funktionale Design passt sich, wie auch die zuvor genannten Beispiele, der Bildschirmgröße des jeweiligen Endgerätes an. Bilder, die auf dem Desktop bildschirmfüllend angezeigt werden, werden nicht, wie sonst bei vielen anderen RWD-Lösungen, 1:1 auf Smartphones ausgegeben, wo sie eine unverhältnismäßige Datenlast produzieren. Geladen wird wirklich nur die Größe, die auch benötigt wird. Das spart KB und MB und sorgt so für schnellen Seitenaufbau, Endgerät-übergreifend.
Luzern, Schweiz
Um es gleich vorweg zu sagen: Auch das Stadtportal von Luzern stünde ein Relaunch gut zu Gesicht. Das jetzige Portal wurde 2009 ins Netz gestellt. Wenn Nutzer von Smartphones auf das Portal zugreifen werden sie auf eine spezielle Mobilanwendung umgeleitet, die … nun ja … einen Bruchteil dessen bietet, was mittels Desktop/PC abgerufen werden kann. Das große Pfund, mit dem die Website wuchern kann, ist in der Tat besagter Online-Schalter (Abb. oben). Über die Hauptnavigation lassen sich unzählige Formulare von jeder Seite aus ansteuern.
Auf Hannover.de hingegen kann es passieren, dass man beim Suchen nach Online-Anwendungen nach vier, fünf Klicks in einer Sackgasse stecken bleibt. Selbst auf Mannheim.de, das hier im dt mehrfach als städtisches Positivbeispiel genannt wurde, wird der „Online-Bürgerservice“ erst in der zweiten Hierarchieebene an allerletzter Stelle genannt. Wenn schon bei den positiven Stadtportal-Beispielen eGovernment-Dienste derart versteckt werden, wirft dies in der Tat kein gutes Licht auf hiesige Angebote. Auch die Stadt Luzern ist gut beraten, ihre digitale Präsenz weiter auszubauen und die Technik auf zeitgemäße Technologien umzustellen. Gleiches gilt für Regierungen und Verwaltungen in Deutschland.
Soweit die kleine „Webdesign-Weltreise“, die zeigt, dass eGovernment gut funktioniert, wenn grundlegende Designaspekte berücksichtigt werden und zwar während der Konzeptionsphase. Wenn Webprojekte fehl laufen, dann nicht deshalb, weil Designagenturen eine schlechte Gestaltungsarbeit erbracht hätten, sondern weil Experten erst viel zu spät konsultiert werden, wenn überhaupt.
negativbeispiel: die eGov seiten von österreich …
Hallo,
das ist ein sehr guter und interessanter Artikel. Die Frage ist, wie es zum schlechten Design kommt? Neben dem Geld bzw. der Bereitschaft für gutes Design auch zu investieren, steht eine andere dringlichere Frage: Gutes Design bedeutet, sich gegen bestimmte Dinge zu entscheiden.
Man kann nicht alles auf die Startseite packen. Spannendes Thema.
mfg,
André Claaßen
[…] Design Tagebuch eGovernment ohne Design ist gescheitert. Fünf Beispiele, die Lust auf beides … Design Tagebuch eGovernment war in Deutschland vor einigen Jahren ein „Buzzword“, das in keiner Pressemeldung fehlen durfte. […]
Ein anderes gutes Beispiel. Die E-Government Seite von Lichtenstein. http://www.llv.li
Wie in Luzern mit „Onlineschalter“ als Terminus. Und mit mehr Onlineformularen als Berlin. Zudem responsive.
Dank Dir für das Beispiel Alois!