Am 25. Mai sind 400 Millionen Europäer aufgerufen, das Europäische Parlament zu wählen. Im dt werden die Kampagnen analysiert, mit denen die Parteien in die Europawahl gehen. Keine Experimente, weniger Emotionalität und die recycelte Kette der Kanzlerin – so könnte man zusammenfassen, was DIE GRÜNEN, die Piratenpartei und die CDU dieser Tage präsentiert haben.
Die Grünen
Nein, auf das Thema Steuern zu setzen, hatte den Grünen nicht gut bekommen. Die umstrittenen Steuerpläne gelten als Hauptgrund für das für die Partei unbefriedigende Abschneiden im vergangenen Bundestagswahlkampf. Personell neu aufgestellt und inhaltlich wieder stärker auf die Kernthemen Klimaschutz, Agrarwende und Atomausstieg konzentriert, gehen die Grünen in den Wahlkampf zur Europawahl.
„Grün für ein besseres Europa“ so das Motto der Kampagne, die von den Spitzenkandidaten Rebecca Harms und Sven Giegold angeführt wird. Die Plakatgestaltung ist im Vergleich zur Bundestagswahlkampagne 2013 deutlich konventioneller geraten. Keine auf den Kopf gestellten Motive, keine locker-flockigen Sprüche a la „Meine Mudda wird Chef“ und auch kein „DU“, das uns auf jedem der Plakate begegnete.
Stattdessen werden aktuelle Motive von einem Sprechblasen-Element dominiert, in dem sich der jeweilige thematische Leitspruch wie etwa „Für ein Europa, in dem niemand untergeht“ befindet. Während wir auf den Motiven zur Bundestagswahl – von einer Ausnahme abgesehen – gezielt Nahaufnahmen von Menschen sehen und dadurch auch emotional angesprochen werden, sorgt die Gegenständlichkeit innerhalb der Europawahlplakate dafür, dass wir als Beobachter eine eher passive Haltung einnehmen. Ein Rettungsring, zumal umgeben von türkisblauem Wasser, das eher an die Karibik erinnert, kann nicht die gleiche Emotionalität erzeugen, wie es etwa ein mit Hunderten Flüchtlingen besetztes Boot vermag. Ein solches Motiv würde sicherlich deutlich stärker polarisieren. Und polarisieren, so signalisiert es (auch) die Plakatkampagne, wollen die Grünen derzeit nicht.
Fazit
Insgesamt ist die Kampagne weniger homogen, weniger originell und vor allem weniger gewagt als 2013. Die Plakate sprechen aus, was wohl kein Grünen-Politiker so offen kundtun würde: Bloß keine Experimente! Diesmal gehen die Grünen auf Nummer sicher.
Verantwortlich für die Gestaltung der Plakate ist, wie schon bei der Bundestagswahl 2013, die Agentur Zum goldenen Hirschen.
Piratenpartei
Zweieinhalb Jahre nach dem phänomenalen Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus, könnte die Europawahl zum entscheidenden Richtungsgeber für die Piratenpartei werden. Der anfängliche Medien-Hype ist längst verklungen. Die gleichen Medien, die einst für einen ordentlichen Rückenwind gesorgt hatten, sehen nun bereits das Piratenschiff vor dem Untergang. Meldungen über Vorstandsrücktritte, Positionierungsstreitigkeiten und dem Mitgliederrückgang dominieren seit geraumer Zeit die Berichterstattung. Kein ruhiger Hafen, von dem es sich gemächlich in den Wahlkampf starten ließe.
Zumindest die Plakatkampagne erweckt den Eindruck, als sei die Partei angekommen, als hätte sie ihren Stil gefunden. Die Irrungen und Wirrungen vergangener Wahlen, als sich die Piraten als Raubkopierer betätigten – sie sind verflogen, so scheints. Die Gestaltung der Plakate folgt nun klaren, nachvollziehbaren Regeln. Das mittlerweile etablierte Farbkonzept aus Orange und Blau sorgt für Einheitlichkeit, ebenso der grafische Duktus innerhalb der Motive, die, wie schon bei den Grünen, von der Darstellung von Personen hin zu der Abbildung von Gegenständen wechseln.
Die Schriftart Conduit fand bereits in der Kampagne zur Bundestagswahl 2013 Anwendung und hat sich also zwischenzeitlich zur Hausschrift der Piraten gemausert. Auch in Bezug auf die inhaltliche Ausrichtung der Plakate haben die Piraten hinzugelernt. Statt, wie zuletzt, die Motive mit zu vielen Elementen und Texten zu überfrachten, belässt man es nun sinnvollerweise dabei, nur wenige Wörter unterzubringen, diese dafür umso größer. So ist es selbst bei flüchtigem Blick möglich, Sätze wie „ZU MIR ODER ZU DIR“ zu erfassen und, was noch wichtiger ist, in Kombination mit entsprechenden, einfach gehaltenen Illustrationen einem politischen Kontext richtig zuzuordnen – in diesem Fall, der eines grenzenlosen Europas, in dem Jeder arbeiten und leben kann wo er möchte. Lediglich beim Motiv Manneken Pis funktioniert dies nicht, weil nicht deutlich wird, dass mit dem Motiv die Überwachung, etwa durch die NSA, kritisiert wird. Im Vergleich dazu ist das Motiv Kamera eindeutiger.
Fazit
Eine ansprechende Gestaltung sorgt dafür, dass politische Aussagen schnell und weitestgehend leicht verständlich vermittelt werden. Sollte der Piratenpartei der Einzug in das EU-Parlament verwehrt bleiben, dann ist nicht die Kampagne der Grund hierfür.
Verantwortlich für die Plakate ist die parteiinterne Servicegruppe Gestaltung.
CDU
Mit David McAllister als nationalen Spitzenkandidaten zieht die CDU in den Wahlkampf. Somit wäre der ehemalige Ministerpräsident Niedersachsens zumindest namentlich einmal erwähnt, denn innerhalb der Plakatkampagne spielt er keine Rolle. Bereits im Februar hatten sich die europäischen Konservativen (EPP) auf Jean-Claude Juncker als gemeinsamen Spitzenkandidaten verständigt, der im Rennen um die Kommissionspräsidentschaft auf den für die Sozialdemokraten antretenden EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz trifft. Bloß keine Experimente scheint man sich auch bei der CDU gedacht zu haben – Kanzlerin Merkel darf noch einmal Kette und Slogan auftragen.
Die Friede-Freude-Eierkuchen-Welt aus dem Bundestagswahlkampf 2013 mit aufgesetzt wirkendem Lachen weicht in der Europawahlkampagne einem milden Lächeln, mitunter auch nachdenklichen Gesichtszügen. Die Fotografien wurden in einer Weise bearbeitet, dass lediglich die abgebildeten Personen farbig dargestellt sind. Ein Stilmittel, mit dem kommuniziert werden soll: Bei uns steht der Mensch, stehen die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt. Ob dieser Anspruch auch in entsprechende Politik umgesetzt wird, darüber kann die Gestaltung am aller wenigsten eine Aussage treffen.
„Mehr“ und „alle“ sind die im Rahmen der Kampagne am häufigsten verwendeten Wörter. „Mehr für Alle“ ließe sich daraus ableiten, eine Utopie freilich, die aber in nahezu jeder politischen Kampagne eine Rolle spielt. Je allgemeiner die politische Aussage, desto größer die Chance auf Zustimmung. „Damit Europa Chancen für alle bringt“ – sicher. Wer will da widersprechen!? „Wischi-waschi“-Politik, wie es der gemeine Bürger gerne formuliert. Das Konkrete gilt es zu vermeiden. Klartext und klare Kante verschreckt eher die Menschen. Das hat auch Peer Steinbrück zu spüren bekommen. Vage, weich und abgerundet, wie die Textboxen der CDU-Plakate, das ist der Stil, der hier gefragt ist. Für das Minimum an klarer Kante sorgen zumindest die Endstriche der in der Schriftart Skopex gesetzten Buchstaben. Skopex und Kievit kamen in dieser Kombination bereits 2013 zum Einsatz – letztere ist die offizielle Hausschrift der CDU.
Fazit
Nicht McAllister, sondern Merkel führt die CDU in den Wahlkampf. Dass die CDU mit ihrer Kampagne nirgends anecken und möglichst „alle“ mitnehmen möchte, drückt sich auch sprachlich aus. Die farbliche Hervorhebung der abgebildeten Personen ist ein visueller Effekt, den man im Kontext von Wahlwerbung bis dato noch nicht gesehen hat. Hochformatige Plakate sind, wie auch in den Jahren zuvor, rein auf die Abbildung von politischen Leitsätzen reduziert und gestalterisch eher anspruchslos.
Verantwortlich für die Gestaltung der CDU-Plakate zeichnet wie zuletzt bei der Bundestagswahl 2013 die Agentur Blumberry.
Hallo und Danke für den tollen Artikel. Das ist schön mal alle Plakate so vereint zu sehen.
So auf den ersten Blick finde ich alle Kampagnen der drei hier abgebildeten Parteien ganz gut gelungen. Nur das Plakat „Willst du mit mir wählen gehen“ von den Piraten finde ich eher, naja ich sag mal so: so lange noch keine 14- bis 17-Jährige Bürger/innen mitwählen dürfen, spricht das Plakat wohl niemanden an, oder?
Finde die Plakate der grünen wieder am besten von den gezeigten. Haben die beste und ehrlichste Aussage.
Die CDU verspricht wieder nichts und steht für wenig. Will ohne jemandem auf den Schlips zu treten alle ansprechen. Mager.
Die Piraten die man als Partei ohnehin nicht ernst nehmen kann machen mit ihren Plakaten alles falsch für mich. Wieder einmal zählt hippe Optik gepaart mit zu wenig und einseitigen Themen dafür, dass die Partei untergeht. Zu Recht. Und zum Glück.
Ich finde die Idee der Piraten “Willst du mit mir wählen gehen?” im Gegensatz zu Andy und DER schon sehr gelungen. Vielleicht kann man jüngere Wähler damit zum Wahlgang animieren. Ich selber bin 28, musste bei dem Text schmunzeln und fand ihn ansprechend.
Ansonsten finde ich die Plakate der Grünen am Anprechendsten. Abgesehen von den nichtssagenden Leitsätzen ist dafür vielleicht auch die Farbkombiniation der Konkurrenz verantwortlich, denn Orange-Blau sind für mich “Billig”-Farben.
Danke für den interessanten Artikel :)
Kleine Korrektur zu “Sollte die Piratenpartei an der nun erstmals bei einer Europawahl geltenden Drei-Prozent-Hürde scheitern, dann ist nicht die Kampagne der Grund hierfür.”: Das Bundesverfassungsgericht hat die Drei-Prozent-Hürde gekippt, es gibt keine Hürde mehr bei der Europawahl.
Was will mir die Union mit Merkel sagen? Ist McAllister zu farblos, um mit ihm zu werben?
Ansonsten schließ ich mich an, die Plakate der Grünen sind hier am ansprechendsten, ist aber auch keine große Kunst.
Danke Ans! Der Text im Artikel wurde entsprechend angepasst.
Vielen vielen Dank für das Zusammentragen der ganzen Infos!!
Schon ewig bin ich auf der Suche nach Informationen über die Agenturen, die für die Gestaltung der Plakate verantwortlich sind. :-)
Das “Willst du mit mir wählen gehen?” der Piraten lasse ich mir ja noch gefallen, aber was soll “Zu mir oder zu dir” symbolisieren? Wenn man das mal mit einer Karte der EU abgleicht, liegt das linke Herz irgendwo in Tschechien und das rechte in Russland.
Plant die Piratenpartei ein “grenzenloses Europa” mit der Aufnahme von Russland in die Europäische Union? Oder hat man hier einfach irgendwo zwei Herzchen hin gemalt, weil eh niemand so genau weiß was der Unterschied zwischen Europa, der EU und der Euro-Zone ist?
Jaaaa, mehr Wachstum!!! MEHR WACHSTUM!!! MEEEEEHR WAAAACHSTUUUUM!!! Und Kaschmir-Gefühl!
Politik sollte die Menschen mal dazu bringen, auch innerlich zu wachsen….
Wie unterschiedlich die Meinungen doch sein können. Finde auch die Piraten-Plakate eher weniger ansprechend. Wirken teilweise etwas überladen und durch die verschiedenen Schriftgrößen etwas unruhig. Dazu kommen die, zumindest für mich, nicht unbedingt ganz klaren politischen Aussagen. Da finde ich die Plakate der CDU und der Grünen schon deutlich mehr gelungen.
PS: Poster mit McAllister sollen glaube ich noch kommen.
Da wähl ich doch lieber die AfD !
Diese Wahlplakat-Analaysen sind immer so mein kleines Highlight hier auf dem Blog. :)
Ich persönlich finde sowohl die Plakate der Grünen mit ihrem grundfreundlichen Ausdruck und die der Piraten, die ich ansprechend originell finde, beide sehr gut.
Die der CDU finde ich dagegen absoult unansprechend. Zu ‘langweiliger’ Ausdruck beim schnellen Draufschauen, die Bilder wirken für mich weniger als identifikationspotential, viel mehr verleihen sie für mich einen gekünstelten Ausdruck. Ansonsten kann ich mich dem Eindruck des ‘möglichst-nirgendwo-aneckens’ nur anschließen.
Unglücklich auf einem Plakat, wo die Hintergründe in schwarzweiss gehalten sind jemanden mit grauen Haaren abzubilden. Irgendwie komme ich mit den CDU-Motiven aber eh nicht klar, weil durch die Farbunterschiede die Retusche noch betont wird und das ganz irgendwie altbacken aussieht.
zum Thema CDU-Plakate:
schon visuell sind die verlogen: in den gated communities der CDU-Wähler mag das im direkten Umfeld noch stimmen, aber in vielen Städten leben mittlerweile um 50% ehemals Eingewanderte; die gesellschaftliche Realität sieht mittlerweile völlig anders aus. Die abgebildeten “Familien” gibt’s wohl nur aus der Retorte.
[…] Die Plakate zur Europawahl 2014 – Teil 1 | Design Tagebuch – Immer wieder lesenswert: Achim Schaffrinna vergleicht Wahlkampfauftritte der etablierten Parteien. […]
Eigentlich schlimm, dass über Gestaltung statt über Inhalte gesprochen wird, bzw. dass sehr viele davon ihr Wahlverhalten abhängig machen. (Ja ich weiß, auf welchem Blog ich bin.)
Mir wäre die Optik egal, wenn ich mal das Gefühl bekäme, es passiert was. Leider geht die Methode: “ºBloß nicht anecken und so allgemein wie möglich sein.“¹ immer wieder auf.
Grafisch gefallen mir die Piraten-Plakate recht gut, aber farblich … wirkt das doch recht billig. Das eine mit den Grenzen sieht aus hundert Meter Entfernung immer aus wie von der ehemaligen Discounter-Kette Plus.
Die der Grünen sind wie immer recht ordentlich und nett. Und die der CDU wie immer auch recht bieder und einfallslos. Das mit dem Graustufen-Hintergrund ist im Grunde eine gute Idee, den Vordergrund eindeutiger zu fokussieren. Aber warum die sich vor ein paar Jahren ausgerechnet für ein Orange (mit Verlauf!) entschieden haben, bleibt mir schleierhaft.
Und was soll das mit den abgerissenen Zetteln bedeuten? Einkaufszettel? Fax? Schmierzettel? Wegwerfthesen? Spickzettel? CDU goes Punk? Fehlen nur noch die Lochungen und die blauen Linien.
[…] vor wenigen Tagen im ersten Teil der Wahlplakatanalyse die Kampagnen von DIE GRÜNEN, Piratenpartei und CDU begutachtet wurden, stehen nun die SPD, Die […]
Je kleiner eine Partei ist, desto mutiger kann sie sein, desto spitzer kann sie ihre Kampagne auf die Zielgruppe zuschneiden. Klar, dass bei der CDU das Gegenteil der Fall ist – unter der Prämisse sind die Plakate vergleichsweise innovativ.
@14 nbc
Dort, wo die CDU ihre Hochburgen hat, ist das die Realität, und in der Unions-Diaspora, sammelt die CDU ihre Stimmen auch eher bei den anderen 50% ein.
Hier in Berlin stehen von der CDU noch Plakate im Stile eines griechischen Filmplakates rum. Die sehen wirklich furchtbar aus. Muss mal nen Foto machen, wenn ich das nächste Mal dran vorbeikomme.
Das würde ich auch gerne sehen, DerSiedler.
[…] Wer in diesen Tagen durch München läuft, fühlt sich wie in Frankreich, Kroatien, Schweden, Belgien oder Österreich. Denn die Piraten in München recyceln für den Wahlkampf Motive anderer Piratenparteien. Bei der Entscheidung für die “auswärtigen” Plakate dürfte auch die Kritik der Basis an den Plakaten der SG Gestaltung eine Rolle gespielt haben. Denn die eigenen Plakate für den Europawahlkampf gefallen nicht jedem. Gerade bayrische Piraten treten laut aus dem Chor der Kritiker heraus. In München scheint ein Hack gefunden zu sein, der es erlaubt im Wahlkampf zu plakatieren ohne die ungeliebten Plakate aufhängen zu müssen. Dabei ernteten die verschmähten deutschen Wahlplakate durchaus auch Lob. So schrieb der Fachblog Design Tagebuch: […]
Weiß jemand, welche Schrift das bei den Grünen auf dem Plakat ist?
Bisher hatten die ja die Benton Sans Black Condensed. Dieses Mal ist die aber bei den Punkten rund und nicht eckig. Jemand eine Idee?
Seit heute ist übrigens der Wahl-O-Mat zur Europawahl online
[…] waren die Plakate der PIRATEN schon einmal deutlich ansprechender, etwa im Rahmen der Europawahl 2014. Der indifferenten „Illustrations-Cloud“ im Hintergrund mangelt es an Prägnanz. Fotos von […]