Skip to content

Deutscher Turner-Bund verlangt umfangreiche Kreativleistungen, ohne dafür eine Aufwandsentschädigung zu zahlen

Deutscher Turner-Bund Logo, Quelle: DTB
Deutscher Turner-Bund Logo, Quelle: DTB

Wieder einmal eine Ausschreibung, die bei Agenturen und Kreativschaffenden für Kopfschütteln und Ärger sorgt. Dieses Mal ist es der Deutsche Turner-Bund, der anlässlich der Ausschreibung des Corporate Designs zum Turnfest 2021 bereits mit Abgabe des Angebots umfangreiche Kreativleistungen verlangt, ohne hierfür eine Aufwandsentschädigung zu zahlen.

Es ist die unendliche und leidige Geschichte von Ausschreibungen, in denen unbezahlte Designleistungen noch vor Auftragserteilung verlangt werden. Mit der Ausschreibung zum Internationalen Deutschen Turnfest Leipzig 2021 (Abgabefrist 08. Februar 2019) ist es nun der Deutsche Turner-Bund, der diesbezüglich ein weiteres unrühmliches Kapitel aufschlägt. Gegenstand der betreffenden Ausschreibung sind die Entwicklung eines Corporate Designs einschließlich der Erstellung eines Corporate Design Manuals. Gleich mit Abgabe des Angebots wird verlangt, ein Logo, einen Claim sowie vier „beispielhafte Designideen“ für Print-, Online-, Social-Media- und Powerpoint-Anwendungen einzureichen. Eine Aufwandsentschädigung gibt es hierfür nicht.

Unwissend oder unverfroren?

Wie so oft bei derlei Ausschreibungen wird von Seiten der verantwortlichen Stelle übersehen, dass bereits bei der Erstellung der im Vorhinein angeforderten Medien ein erheblicher Aufwand entsteht, gestalterischer wie vor allem konzeptioneller Art. Im Grunde muss die gesamte Designkonzeption erfolgen, will man die Ausschreibungsanforderungen erfüllen. An die Adresse des Auftraggebers, dem Verein Deutsche Turnfeste e.V., sei deshalb die folgende Information gerichtet: selbst bei einer auf maximale Effizienz ausgerichteten Konzeption/Kreation sitzt man als Gestalter an dieser Aufgabe mindestens (!) zwei bis drei Tage. Derart umfängliche Leistungen wissentlich ohne Zahlung einer Aufwandsentschädigung einzufordern, ist schlichtweg eine Unverschämtheit.

Eine Designkonzeption lässt sich nicht mit einem Bleistift in wenigen Strichen auf einem Blatt skizzieren. Den für die Ausformulierung von Ausschreibungen Verantwortlichen ist dies oftmals gar nicht bewusst. Die Krux ist, dass man dort Designleistungen anfragt, ohne zwischen Begriffen wie Skizze, Scribble, Layout, Moodboard, Entwurf, Gestaltungsidee, Konzept und Design differenzieren zu können. Das ist natürlich ein grundsätzliches Problem. Rein rechtlich mag die Ausschreibung vielleicht nicht zu beanstanden sein, aus wirtschaftlicher Sicht richtet sie jedoch einen schweren Schaden an. Weil auf diese Weise nämlich der Eindruck vermittelt wird, Designleistungen bekäme man umsonst. Ein für alle Betriebe innerhalb der Kreativwirtschaft fatales Signal.

Beim Deutschen Turner-Bund ist man sich der Problematik offenbar noch nicht so recht bewusst. So jedenfalls lässt sich das Antwortschreiben deuten, das an alle an der Ausschreibung interessierten Agenturen verschickt wurde und in dem bekräftigt wird, dass die im Zuge der Angebotsabgabe erbrachten Designleistungen tatsächlich unentgeltlich zu erbringen sind. Das Schreiben wurde dem dt freundlicherweise von Philipp Wiegandt zugespielt und kann an dieser Stelle heruntergeladen werden.

Die Vergabestelle beim Deutschen Turner-Bund beruft sich in ihrer Entscheidung, keine Aufwandsentschädigung zu zahlen, auf „rechtliche Regelungen“, wie es in dem Schreiben vage heißt. Im Detail heißt es: „Da der Auftraggeber als Zuwendungsempfänger strengen rechtlichen Regelungen unterworfen ist, besteht grundsätzlich nicht die Möglichkeit, im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung einer Vielzahl von Bietern ihre Entwurfskosten zu erstatten.“ Um aufzuzeigen, dass die Aussage des Turner-Bundes inhaltlich falsch ist, müssen wir einen Blick auf die Rahmenbedingungen werfen.

Öffentliche Auftraggeber dürfen sehr wohl Aufwandsentschädigungen zahlen!

Angewandt wird in diesem konkreten Fall die Vergabeordnung „Öffentliche Ausschreibung gemäß § 3 Absatz 1 Satz 1 VOL/A“. Hierzu ist zunächst einmal zu sagen, dass die VOL/A mittlerweile durch die Vergabeverordnung/VgV (für EU-weite Vergabeverfahren) und für den Bereich der nur national weiten Vergabeverfahren durch die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) vor drei Jahren abgelöst wurde. Für deren Inkraftsetzung sind die jeweiligen Bundesländer verantwortlich. Bis alle Länder die neuen Vergabevorschriften anwenden, wird es also noch eine Weile dauern. Die Prüfung und Wertung der Angebote erfolgt wiederum nach dem Sächsischen Vergabegesetz. In der alten VOL/A-Vergabeordnung ist die Erstattung von Entwurfskosten explizit vorgesehen! Dort heißt es nämlich unter Abschnitt 7f: „Verlangen die Auftraggeber, dass die am wettbewerblichen Dialog teilnehmenden Unternehmen Entwürfe, Pläne, Zeichnungen, Berechnungen oder andere Unterlagen ausarbeiten, müssen sie einheitlich für alle Unternehmen, die die geforderte Unterlage rechtzeitig vorgelegt haben, eine angemessene Kostenerstattung hierfür gewähren.“ Für alle jene, die sich im Verordnungsdschungel nicht so gut auskennen, sei hierzu erwähnt, dass der sogenannte wettbewerbliche Dialog lediglich einer von vier Vergabearten ist. Nach VOL/A gibt es a) das offene Verfahren, b) das nicht offene Verfahren, c) das Verhandlungsverfahren und eben d) den wettbewerblichen Dialog. Auch in der aktuellen Fassung des Vergaberechts, der Vergabeverordnung (VgV), ist im Rahmen des wettbewerblichen Dialogs die Zahlung von Aufwandsentschädigungen vorgesehen. Dort heißt es nämlich unter § 18 (10): „Der öffentliche Auftraggeber kann Prämien oder Zahlungen an die Teilnehmer am Dialog vorsehen.“ Die Behauptung, öffentliche Auftraggeber könnten im Rahmen einer Ausschreibung keine Entwurfskosten erstatten, ist schlichtweg falsch. Wie man es besser macht, zeigt beispielsweise die Ausschreibung zum Markenauftritt der Stadt Bochum, die in jeder Hinsicht vorbildhaft ist. Wenn selbst eine Stadtverwaltung sich zur Auslobung eines Pitch-Honorars bereiterklärt, dann können das auch Unternehmen der Privatwirtschaft oder auch Vereine.

Finger weg!

In Bezug auf die Ausschreibung des Deutschen Turner-Bundes muss die einzige Empfehlung lauten: Finger weg von dieser Ausschreibung! Kreativschaffende und Agenturen sollten um Auftraggeber, die eine solch dreiste Ausschreibung aufsetzen, einen großen Bogen machen. Wer dennoch Angebote einreicht, muss mit allem rechnen. Auch damit, dass das eigens hierfür erstellte Design nachträglich durch Mitarbeiter verändert werden kann, wie der Turner-Bund in dem Antwortschreiben unumwunden ausführt. Gratis-Entwürfe verlangen und sich dann auch noch offen halten, das Designkonzept nach Gut­dün­ken zu verändern. Ja gehts denn noch!? Eine solche Ausschreibung spricht Bände darüber, wie sich der Auftraggeber eine Kooperation vorstellt. Eine partnerschaftliche, auf gegenseitigem Respekt beruhende Zusammenarbeit ist offenbar unerwünscht. Kreativschaffende als reine Dienstleistungserbringer und Erfüllungsgehilfen.

Wer sich als Agentur auf eine Kooperation mit einem solchen Auftraggeber einlässt, muss eine masochistische Vorliebe und eine Freude an der Selbstzerstörung haben. Das Schlimme ist, dass alle jene Agenturen, die dem Aufruf zur Abgabe eines Angebotes folgen, der Branche einen Bärendienst erweisen, da sie nämlich gegenüber der ausschreibenden Stelle den Eindruck vermitteln, an den Vergabemodalitäten sei nichts zu beanstanden. Und dabei gibt es so vieles, was zu kritisieren ist. Im Rahmen der „Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft“ bekennt sich die Bundesregierung zum fairen Wettbewerb zwischen bietenden Unternehmen. Was aber soll fair an einem solchen Wettbewerb sein, wenn Unternehmen zur unentgeltlichen Abgabe ihrer Leistungen, wenn schon nicht gezwungen, so aber doch genötigt werden?! Süffisant heißt es hierzu vom Turner-Bund, es bestünde „keinerlei Verpflichtung, sich an der Ausschreibung durch Abgabe eines Angebots zu beteiligen“. Nun, es besteht auch keinerlei Grundlage dafür, Gratis-Entwurfsarbeiten von Bietern einzufordern.

Vorwurf: die Ausschreibung verstößt gegen den Grundsatz der Nicht-Diskriminierung

Kritisch ist das Vorgehen des Deutschen Turner-Bundes auch in Bezug auf die im Rahmen von öffentlichen Ausschreibungen anzustrebende Gleichbehandlung der Unternehmen zu bewerten. Denn teilnehmen können an der Ausschreibungen nur jene Agenturen, die im Stande sind, derart umfangreiche Arbeiten auf eigene Kosten zu stemmen. Während für große Agenturen die Teilnahme an Pitches, Wettbewerben und Ausschreibungen zum Tagesgeschäft gehört und die hierbei entstandenen Mehrkosten, beispielsweise auch für eigens hierfür abbestellte Mitarbeiter, problemlos getragen werden können, bleibt die Teilnahme kleinen Agenturen und Selbstständigen, sofern sie nicht vorhaben sich selbst in den Ruin zu treiben, verwehrt.

Nach Auffassung von Philipp Wiegandt verstößt die Ausschreibung daher gegen den Grundsatz der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL), in der es heißt: „Bei der Vergabe von Aufträgen darf kein Unternehmen diskriminiert werden.“ Denn, wie Wiegandt weiter ausführt, erfordert es eine beträchtliche eigenfinanzierte Investition seitens des Bieters, um unentgeltliche Leistungen dieser Art erbringen zu können. Diese kann jedoch nicht jeder Bieter leisten, obwohl gegebenenfalls die Qualifikation vorhanden ist. Wenn also kleine Agenturen (indirekt) ausgeschlossen werden, kann man ein solches Vergabevorgehen wohl kaum als einen fairen Wettbewerb bezeichnen. Abgesehen davon sind unentgeltliche Entwurfsarbeiten, wie sie der Deutsche Turner-Bund verlangt, in den Vergabeordnungen (weder in alten noch in der neuen Fassung) überhaupt nicht vorgesehen. Zur Überprüfung von „Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit“ müsste eigentlich, schließlich leben wir im 21. Jahrhundert, ein Blick auf die digitale Präsenz einer Agentur genügen, wo Referenzen wie auch Beispiele von Arbeiten einsehbar sind. In keiner Vergabeordnung steht geschrieben, dass zum Nachweis der Leistungsfähigkeit Entwurfsarbeiten angefordert werden müssten!

Ausschreibungen, wie die des Deutschen Turner-Bundes sind mit ein Grund dafür, dass Agenturen und selbstständige Kreativschaffende regelmäßig geradezu obszöne Auftragsanfragen erhalten. „Machen sie doch mal drei, vier Entwürfe, und ich überlege mir, ob ich ihnen dann einen davon abkaufe“. Schon klar. Das ist in etwa so, als würde man bei zig Bringdiensten Pizzen bestellen, und nur für jene Pizza bezahlen, die einem am besten geschmeckt hat. Da dies völlig absurd ist, macht das auch niemand. Aber Designer darf man in dieser Weise über den Tisch ziehen? Ein Beispiel aus einer anderen Branche: wie würde wohl ein Bauunternehmer reagieren, wenn man von ihm verlangte, probeweise einen Haussockel für lau zu gießen, sodass man sich einen Eindruck von dessen Leistungsfähigkeit verschaffen kann? „Get your ass out of here!“. So würde er reagieren.

Das eigentliche Problem

Es ist dreist und unverschämt, was Auftraggeber zum Teil von Agenturen verlangen. Der Deutsche Turner-Bund ist lediglich einer von vielen, die bei diesem miesen Spiel mitmischen. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Misere zum Großteil von den Betrieben innerhalb der Kreativbranche selbst verschuldet ist. Eben, weil es nach wie vor viele schwarze Schafe Bieter gibt, die trotz allem an unfairen Ausschreibungen teilnehmen. Den Wettbewerb zu ignorieren, ist auch keine Option. Es bringt rein gar nichts, sich im Stillen über unzumutbare Ausschreibungsbedingungen zu ärgern. Stattdessen sollten/müssten alle Agenturen ihren Unmut öffentlich kundtun, gegenüber der ausschreibenden Stelle wie auch gegenüber der Bundesregierung. Liebe Kollegen, schickt den Verantwortlichen eine E-Mail und weist sie auf die Problematik hin! Macht den Mund auf! Und macht nicht schon wieder die Berufsverbände für die unbefriedigende Situation verantwortlich. Statt die Verantwortung abzuschieben, wäre es sinnvoll, andere Kollegen darüber aufzuklären, welch großen Schaden sie damit anrichten, wenn sie an derlei Ausschreibungen teilnehmen. Wenn man möchte, dass sich die Dinge ändern, reicht es nicht in der Hosentasche eine Faust zu ballen. Say no to spec work! #saynotospec

Update 04.06.2019

Im Hinblick auf das vor wenigen Tagen präsentierte Ergebnis des Wettbewerbs lässt sich abschließend sagen: schlechter Stil von Anfang bis zum Schluss. Denn so sieht das Logo aus:

Turnfest Leipzig 2021 Logo

Wenn in der offiziellen Pressemeldung lediglich von einer namenlosen „renommierten PR-Agentur“(!) die Rede ist, die für die Gestaltung verantwortlich zeichnet, ist dies ein weiterer Beleg für die Geringschätzung von Designleistungen seitens des DTB. Bei der Agentur handelt es sich übrigens um APA.

Dieser Beitrag hat 46 Kommentare

  1. Was passiert wenn versucht wird Designer zu bescheißen?
    Die guten Designer nehmen nicht Teil und die schlechten bauen zu Hauf den größten Mist aller Zeiten zusammen. Aber wir haben ein gutes Beispiel vor Augen, dort lief es doch wahrscheinlich nach diesem Muster ab.
    Eine langjährige Partnerschaft zwischen Auftraggeber und Designer führt immer zu einem spitzenmäßigem Erscheinungsbild und vielen weiteren kreativen, aufeinander aufbauenden Gestaltungen.
    Das Leben kann so schön sein. Ich habe einmal im Briefingespräch eine Idee gehabt, die mir im Laufe meiner Tätigkeit für diesen Kunden mehrere 100.000 eingebracht hat. Dies möchten Menschen mit Wettbewerben verhindert, da diese sich nicht vor Augen halten, dass mein Kunde viele Millionen mit meiner Idee verdient hat.

  2. Auch ich stimme dem Autor in jedem Punkt zu. Allerdings hatte ich kürzlich den Fall, dass eine Institution eine beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb rausschicken “musste” (Überschwellenwert). Und ich wurde gefragt, wie man denn so was dann handhaben könnte, wenn plötzlich 300 Agenturen sich darauf bewerben. Es ist ja klar, dass man dann nicht jedem ein Honorar zahlen kann. Was wäre in so einem Fall eine geeignete Lösung?

Kommentare sind geschlossen.

An den Anfang scrollen