Im Sommer hatten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit der Vorstellung des neuen Sitzmusters in Straßenbahnen und Bussen deutschlandweit die Aufmerksamkeit auf sich gezogen (dt berichtete). Nun bringt die BVG eine eigens kreierte „Muster der Vielfalt“-Streetwear-Kollektion auf den Markt bzw. auf die Straße. Die Ziele, die mit dieser Art von Brand-Stretching verfolgt werden, sind klar.
Bereits das zum Kult-Design avancierte „Urban Jungle“-Muster, umgangssprachlich als „Würmchen-Muster“, bezeichnet, hatte die BVG in der Vergangenheit für Marketing-Zwecke eingesetzt und offensiv im Bereich Merchandising eingesetzt, um etwa Socken, Sneaker und andere Kleidungsstücke damit auszustatten.
Nun unternimmt die BVG einen weiteren Versuch, sich innerhalb der Modewelt als Marke in Szene zu setzen. In Kooperation mit dem Fashionlabel QS by s.Oliver ist eine Kollektionen entstanden, die exklusiv über den Online-Shop von Zalando erhältlich ist. Auch im Pop-up-Store in Berlin am Alexanderplatz (BVG-Kundenzentrum) können Kleidungsstücke wie Kapuzenpullover, Jacken, Westen und Hut mit dem „Muster der Vielfalt“ erworben werden.
Womöglich wird sich der ein oder die andere fragen, weshalb ein städtischer Verkehrsbetrieb eine Streetwear-Kollektion auf den Markt bringt. Was verspricht sich die BVG davon? Nun – es geht in diesem Fall nicht darum, in den Wettbewerb mit anderen Modelabels zu treten oder gar diesen den Rang abzulaufen. Diese Art der Erweiterung der Markenwelt, Brand-Stretching genannt, dient vor allem dazu, die Attraktivität der BVG zu erhöhen und die Kundenloyalität zu stärken. Die Hoffnung auf Seiten der Verantwortlichen bei derlei Marketing-Aktivitäten ist es, etwas vom Glanz aus der Modewelt möge auf die eigene Marke abfärben.
Ein Trend, dem zuletzt auch Discounter wie Lidl und Aldi gefolgt sind. Die auf diese Weise erfolgte horizontale Ausdehnung des Produktangebotes ist vor allem darauf ausgerichtet die Kommunikation der Marke zu erweitern. Wie viele Badelatschen, Sneaker, Anglerhüte oder Tennissocken letztlich verkauft werden, ist dabei weniger entscheidend. Denn wie bereits erwähnt geht es hier nicht um Wettbewerbsfähigkeit oder um die unmittelbare Steigerung des Umsatzes. Es geht vielmehr darum, die damit in Verbindung stehenden positiven Attribute gleichsam die damit einhergehenden positiven Emotionen auf die Marke zu übertragen -> Image-Transfer. Denn: je stärker die emotionale Bindung zu einer Marke, umso weniger anfällig ist diese durch äußere Faktoren (Preisentwicklung, Verfügbarkeit, Qualität).
Eine Marke, die Trend-Bewusstsein in Sachen Mode zu erkennen gibt und in diesem Bereich von vielen Menschen als angesagt und lässig angesehen wird (Kult-Status), kann, so das Konzept, auch in jenen Kernsegmenten punkten, in der die Marke aktiv ist, seien es Lebensmittel oder eben Mobilitätsangebote.
Übrigens: In diesem Jahr wurde auch ein neues Sound-Branding für die BVG entwickelt. Auch daran lässt sich ablesen, wie aktiv um nicht zu sagen umtriebig die BVG in Sachen Marketing/Branding ist.
Wie Felix Lobrecht schon ganz passend erkannt hat: Vielfalt heißt bei deutschen Unternehmen alle außer Türken und Araber. Seitdem ich das gehört habe, hab ich mal aktiv drauf geachtet. Ich sehe auf Werbewänden, die zurecht mit einer größeren Diversität als “weiße schlanke Heteros” werben nun LGBTQI, Menschen mit Asiatischer Herkunft, Menschen mit dunkler Hautfarbe, pummeligere Menschen, “unperfektere Menschen”… alles schön, die Realität ist nunmal eine andere, als die man sonst so in der Werbung gesehen hat. Aber Menschen mit türkischer, arabischer, griechischer, italienischer Herkunft usw, fehlen immer noch gänzlich in der Werbung.
Interessanter Punkt, auf den man mal wirklich achten sollte. Bisher ist mir das nämlich noch nicht aufgefallen.
Hier im Rahmen der BVG muss man aber auch sagen, dass sie auf der offiziellen Modenschau sehr wohl auch türkisch/arabische Wurzeln berücksichtigt haben. Zwar nur mit einem Kopftuch im BVG Muster (ob das jetzt das beste Symbol ist, ist eine andere Frage), aber immerhin.
Meine Güte, dann reichen Sie halt eine Petition ein.
Glauben Sie mir, “Türken und Araber” sehe ich mehr als genug in Deutschland. Wenn mit denen nicht geworben wird, dann wird das seine Gründe haben, über die ich hier nur spekulieren könnte.
Weiteres ausgrenzendes, womöglich rassistisches Gedankengut möchte ich von Ihnen hier nicht lesen müssen. Dieser eine Kommentar reicht bereits, um ein Bild davon zu bekommen. Ein widerlicher Kommentar.
An alle anderen dt-Leser: Ein sachlicher Austausch über Diversität in der Werbung ist hier im dt sehr willkommen. Finde es (ebenfalls) interessant, was Dennis zu diesem Thema schrieb.
Danke, Achim, für diesen deutlichen Widerspruch! Ein solcher Kommentar wie von Mathias ist absolut unpassend …
@Dennis
Also erstmal ist das sehr pauschalisiert (“…fehlen immer noch gänzlich in der Werbung.”) – womit man nur verlieren kann – und es trifft nicht zu (siehe DB, und unzählige weitere Unternehmen). Und auch hier im Beispiel kann man die von ihnen aufgezählten Herkünfte mit dem einem oder anderen Model assoziieren wenn man es darauf anlegt…
Zudem ist es schwierig in 1 Minute Werbefilm alle soziale Strömungen, Identitäten, Ethnien, Kulturen etc. zu repräsentieren.
Vielleicht noch etwas zum Hintergrund:
Der Grund, warum es überhaupt ein neues Sitzbezug-Muster gibt, sind Streitigkeiten mit dem Designer (Herbert Lindinger) des alten „Würmchenmusters“ – eben wegen dieses Merchandising (der Begriff „Brandstretching“ passt hier m. E. nicht). Er wollte Zusatzzahlungen für den ausgedehnten Anwendungsbereich.
Nun hat die BVG also das Muster ihrer Bezüge geändert, damit sie weiterhin eine Kollektion vermarkten kann, die sich auf die Sitze der Fahrzeuge bezieht, ohne hierbei den gleichen Fehler bei der Vereinbarung der Nutzungsrechte zu machen.
Übrigens ist der direkte Vorgänger von „Muster der Vielfalt“ nicht das Würmchenmuster, sondern ein Design namens „Nachtlinien“ – eine schwarzgraue Zwischenlösung, die aber so langweilig wie streetwear-untauglich ist.
Danke Corinna. Auf die Hintergründe rund um die Einführung des „Muster der Vielfalt“ wurde im Sommer hier im dt im Beitrag „Neues Sitzmuster der BVG bewegt Berlin“ ausführlich eingegangen, auch auf den Rechtsstreit.
Brandstretching meint etwas ganz anderes als Merchandising nämlich, wie im Beitrag erwähnt, die horizontale Ausdehnung des Produktangebotes. Der Launch einer Streetwear-Kollektion ist in diesem Fall, da die BVG ein Verkehrsbetrieb ist, eine Ausdehnung des Produktangebotes. Der BVG geht es, wie ich versucht habe zu beschreiben, mit der Kollektion gar nicht einmal um eine klassische verkaufsfördernde Maßnahme – also um Merchandising –, sondern darum die Kommunikation um und über die Marke auszuweiten sowie darum das Image der Marke positiv zu beeinflussen.
Tatsächlich sehen die Sachen doch echt cool aus. Dazu muss man den BVG wirklich loben, die Werbung, diese Klamotten-Aktionen – alles um das Marketing macht da echt Spaß und erzeugt bei mir als Ruhrpottler ein sehr positives Bild von BVG und von Berlin gleich mit. Wahrscheinlich kann ich froh sein, deren Verkehrsangebot nicht nutzen zu müssen, aber darum geht es bei der Bewertung ja nicht.
Coole Aktion und noch früh genug dabei, bis es ausgelutscht ist, nach Aldi, Lidl und den ganzen anderen mit Ihren Mode-Aktionen.
Ähnliches ist der BVG ja damals mit dem Sneaker gelungen. Man hatte eine fantastische Idee, die danach alle einfach nur noch kopieren konnten. Egal, wer irgendwann etwas mit einem Sneaker macht, mach dann den Sneaker-wie-die-BVG.
Mein Highlight ist das sehr gut gemachte Video.
Wo ernsthaftes Wiederspiegeln der Grundidee des Musters mit einen mächtigen Augenzwinkern verbunden wird. Kudos den Köpfen dahinter
Das Muster lädt tatsächlich für Kleidung ein – knallig bunt im 80/90er Style liegt voll im Trend.
Gerade mit den jungen (und jung gebliebenen) Berlinern die passende Zielgruppe gefunden.
Also ganz ehrlich empfinde ich dieses extreme fokussieren, seit gefühlt 2-3 Jahren, auf Diversität in Werbung und vor allem in den sozialen Medien, als nur noch nervig.
Es gibt kaum noch eine Marke, die nicht irgendeine Werbung schaltet, in der nicht peinlichst genau darauf geachtet wird, ob ja alle Hautfarben, alle Geschlechter und alle Neigungen repräsentiert werden. Falls nicht: shitstorm. Hinten runter fallen die ursprünglichen Inklusionsthemen wie Barrierefreiheit und Menschen mit Behinderung. Das kann mir auch niemand ausreden. Stört mich massiv, weil es so gezwungen wirkt und einfach nur aufgedrückt. Sorry, ich bin eben schon Ende 30 und denke nicht mehr wie ein 15-jähriger youtuber.