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Buchrezension: Emotion gestalten

Emotionen gestalten

Seit letzter Woche läuft „Alles steht Kopf“ in unseren Kinos, Pixars neuer Animationsfilm, in dem die Emotionen der elfjährigen Riley sowie ihrer Familienmitglieder ein sehenswertes Eigenleben führen. In lustigen, glubschäugien Figuren verpackt erreicht ein Thema die breite Öffentlichkeit, das uns im Marketing schon seit Jahren begleitet. Höchste Zeit, sich mit der strategischen Gestaltung von Emotionen zu beschäftigen.

„Inside Out“ lautet der Originaltitel des Films, der im übrigen viel passender ist, einfach weil er besser beschreibt, was sich in unserer Schaltzentrale da oben abspielt. John-­Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience Berlin hatte im Rahmen seiner Forschung herausgefunden, dass unser Gehirn bereits sieben Sekunden vor einer bewussten Entscheidung aktiv ist. Sieben Sekunden, in denen wir nicht nur Informationen und Eindrücke sammeln, sondern auch Emotionen entstehen, die wiederum nach Ansicht vieler Experten ganz wesentlich die Grundlage für spätere Entscheidungen darstellen.

Genau darauf haben es Markenmacher in der ganzen Welt abgesehen. Den „Vorstoß ins limbische Zentrum“, wie ich es im Rahmen des Artikels „Emotionen pur! – Mit Marken mitten ins Herz“ geschrieben hatte, folgenden heutzutage immer mehr Marken und Unternehmen. Kaum eine Anzeige oder TV-Spot, in denen nicht der Versuch unternommen wird, den potentiellen Kunden, wie es so schön heißt, emotional abzuholen. Storytelling ist eine Ausprägung dieses Trends. Wir merken uns Geschichten einfach besser als pure Fakten, und so begegnen uns in der Werbung Filialleiter bei ihrer morgendlichen Laufrunde und jede Menge Baumarktkunden, die „ihr“ Projekt, ihre persönliche Erfolgsgeschichte präsentieren.

Mareike Roth und Oliver Saiz beschäftigen sich, ausgehend von ihrer Masterarbeit, seit vielen Jahren mit der Frage, ob sich die Emotionen und die Werte einer Marke erfassen und fokussiert gestalten lassen. In ihrem Buch „Emotion gestalten“ stellen sie Methoden und Strategien vor, die die Treffsicherheit des Designs erhöhen, wie sie selbst schreiben. Damit ist klar, dass sich „Emotion gestalten“ an diejenigen richtet, die Marken gestalten, sei es in Bezug auf Form, Farbe und Material wie auch aus strategischer Sicht.

Ich war beim Lesen zunächst skeptisch. Finden sich denn nicht bereits in der Farb- und Gestaltpsychologie ausreichend Erkenntnisse, die man – im wahrsten Sinne des Wortes – gewinnbringend in die Gestaltung eines Produktes einfließen lassen kann? Die gibt es sicherlich. Die beiden Autoren bauen auf diesem Wissen auf, strukturieren Emotionen, sodass die für das Design relevanten Aspekte erkennbar werden und ergänzen diese Grundlagen um Analysen und sogenannten Emotionsstrategie-Tools, dem Filetstück des Buches, wie es Roth und Saiz bezeichnen. Ergebnis ihrer langjährigen Untersuchungen ist ein „Emotion Grid“, einem Raster, mit dessen Hilfe sich innerhalb eines Designprozesses die emotionale Richtung eines Produktes definieren lässt.

Tatsächlich wird in dem Buch in erster Linie Produktdesign untersucht und abgebildet. Einmal mit dieser Sichtweise vertraut, ändert sich jedoch auch der Blick auf Kommunikationsdesign-Anwendungen, die nach Lesen des Buches fortan auf ihren emotionale Aussage hin durchleuchtet und bewertet werden. Zumindest mir erging es so. Aber das Buch leistet mehr als das Schulen/Trainieren des Auges. Wer sich als Designer auf die im Buch vorgestellten „Design Elements“ und den mittels Emotion Grid zusammengefassten Zonen stützt, unterfüttert damit seinen Entwurf mit starken Argumenten, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Farbe, Form und Beschaffenheit werden auf diese Weise legitimiert. Aufgrund der Komplexität des Themas geschieht dies freilich nicht nebenbei, sondern erfordert eine entsprechend intensive Einarbeitung.

Design orientiert sich bekanntlich am Menschen. Damit Design den Status des Begehrenswerten erlangt, müssen wir als Mensch emotional berührt werden. „Emotion gestalten“ liefert kein Patenrezept, ein solches begehrenswertes Design zu schaffen, aber es zeigt einen Weg auf, wie man diesem Ziel ein Stückchen näher kommen kann. Inhaltlich sehr gut strukturiert bietet es mit Hilfe der vorgestellten „Tools“ darüber hinaus eine, wie ich meine, überzeugende Argumentationsstrategie. Denn natürlich geht es innerhalb von Designprozessen auch immer darum, Entscheidungsträger zu überzeugen.

Etwas schade finde ich die vergleichsweise nüchterne respektive wenig emotionale Aufmachung. Gerade bei einem Thema wie diesem wäre in Sachen Haptik und Gestaltung mehr möglich gewesen. Positive Emotionen weckt der mit Klarlack überzogenen Einband jedenfalls keine. Ungeachtet dessen leisten die beiden Autoren mit „Emotion gestalten“ einen wertvollen Beitrag, die vielschichtige Verbindung von Design und Emotion zu ergründen.

Basisdaten

Verlag: Birkhäuser
Umfang: Ca. 224 Seiten + Plakat
Sprache: Deutsch
Ladenpreis: € [D] 39,95
ISBN: 978-3-03821-156-3

Verlosung

Auf dt-Leser wartet ein Gratis-Exemplar. Wer es frei Haus zugestellt bekommen möchte, hinterlässt bis zum 20.10.2015 einen Kommentar. Schreibt bitte, welches Erscheinungsbild oder Produkt euch emotional anspricht und auch warum es euch auf diese Weise anspricht.

Mediengalerie

Dieser Beitrag hat 105 Kommentare

  1. Ich bin bald mit meinem Studium fertig und suche immer nach neuen Aspekten, neuen Ideen, neuen Inspirationen die ich in meine Arbeiten einbinden kann. Derzeit befindet sich der Informationsfluss der Medien in einem Umbruch, Social Networks bekommen eine immer größere Bedeutung in unserem Leben, Facebook wird allmählich verdrängt durch YouTube, Snapchat, Instagram, YouNow und wie sie nicht alle heißen. Das heisst widerum, dass noch mehr emotionaler Einfluß genommen wird, noch mehr Bilder die auf uns einprasseln. Um die Emotion besser grafisch Umsetzen zu können, ist es garantiert nicht verkehrt, dieses Buch in den Händen halten zu dürfen!

  2. Spherovelo von early rider und auch die übrigen produkte sind mit der extra portion liebe zum detail gemacht.

  3. Ich habe mir vor kurzem ein handgefertigtes Mousepad aus Echtholz gekauft und es ist wunderschön. Ich nutze es täglich und freue mich immer wieder aufs Neue darüber. Es ist schlicht und dennoch durch die Holzstruktur einmalig und voller Details, jede Kerbe ist anders als die nächste. Mich faszinieren diese Strukturen, die die Natur bietet. Fährt man mit der Hand über das Mousepad, dann fühlt es sich wunderbar weich an. Die Farbe ist in einem angenehm dunklen Cognac-Braun. Da macht das Arbeiten am Computer gerade im grauen Herbst gleich viel mehr Spaß ;-)

  4. Ich habe eine Lampe im Memphis-Stil, die ich dieses Jahr auf einem Flohmarkt gekauft habe. Immer wenn ich das Ding sehe, freue ich mich ein bisschen. Die Memphis Group hat sehr konsequent mit den Regeln der Funktionalität gebrochen, um den Spass an der Form selbst zurückzuholen. Finde ich immer noch sehr erfrischend in unser oft bis zur Unmenschlichkeit durchoptimierten Gesellschaft.

  5. Mich begeistert die Gestaltung und das “Feeling” des Lifestyle-Getränks GLUMP Alkoholcolaâ„¢. Für mich der Inbegriff eines Szenegetränks, die Claudia Roth unter den Energydrinks – immer gegen den Strom und vielleicht etwas zu extravagant. Das gesamte Werbekonzept spricht mich durch seine moderne, mit bunten Bubble-Referenzen bestückte Art auf eine jugendliche Weise an und verleitet zum Reflexkauf.

    Ich freue mich sehr über ein Exemplar von ‘Emotional gestalten’.

  6. Neulich hatte ich eine Promo-Postkarte des Kochbuchs “Oma Heidi kocht” in der Hand. Schöne Idee, schöne Bilder und gute Gespräche (www.omaheidi.de) – und ja, schon emotional. Wenn Produkte präsentiert werden finde ich immer die Bildsprache und Musik sehr wichtig um Emotionen auszudrücken. Pete Docter, der Regieseur von “Alles steht Kopf” hat ja auch bei dem Film “Oben” Regie geführt – ein geiler, sehr emotionaler Film!

  7. Dies ist tatsächlich eine schwierige Antwort.
    Ich glaub das Treffenste ist für mich die Kinder Bueno Werbung.
    Da ich leidenschaftlicher Schokoladenesser bin spricht mich diese Art von Werbung sehr an.
    Ich weiß wie das Produkt schmeckt, sich in den Händen anfühlt und wie ich es öffne und dessen Konsitenz sobald ich die Werbung sehe. Folglich kriege ich darauf hunger -das ist halt cleveres Konsummarketing :)

    Andere Arten von Werbung macht eher nachdenklich. Die Werbung mit den schwebenden Menschen mit dem Song “Die Gedanken sind frei” erzeugen bei mir ein heimisches Gefühl..nicht wirklich erklärbar aber ich mag sie sehr. Hier wird mit Emotionen gespielt…..genauso mit der Vodaphone Werbereihe mit dem Enkel, der alle Lebenswünsche für seinen Opa erfüllt….
    Das erzeugt tiefste Emphatie…

    Bei Verpackungen ist es wieder anders….alles was anders ausschaut, praktisch verarbeitet ist und das Material bzw Weiterverarbeitung sich von den 0815 Verpackungen unterschiedet, ist für mich wieder interessant :) Quasi wie ein Geschenk, welches inspiziert und ausgepackt werden muss voller Neugierde :)

  8. Bekannt durch einen Rechtsstreit mit Apple, finde ich die Marke “Apfelkind” mehr als nur ansprechend und liebevoll designt. Das Logo wurde mit einer detaoilverliebtheit gestaltet – besonders den Weißrraum, den das Mädchen durch ihr Erschienen im Apfel erzeugt, finde ich sehr harmonisch! Der Online-Auftritt und auch die Bildsprache sind wirklich super gut durchdacht und fügen sich nahtlos ins Gesamtkonzept des Markenauftritts ein :)
    Gott sei Dank haben sie den Markenrechtsstreit mit Apple gewonnen! (Obwohl ich auch de APlle Produkte als wirklich genial erachte!)

    Hier der Link zum schmökern ;)
    https://apfel-kind.de

  9. Super spannendes Thema!

    Optisch als auch emotional sprechen mich seit Jahren Produkte von Leica an, sicherlich auch weil mein Herz für Fotografie schlägt. Die Fazination dieser Marke ist für mich durch ihre Reduktion auf das Wesentliche geprägt. Nüchterne, funktionierende Technik, gepart mit nostalgisch wirkendem Design. <3

    Ich würde mich riesig über das Buch freuen!
    Paul

  10. Tatsächlich hat mich genau der Film “Inside out” erfolgreich emotional berührt. ;)
    Im Gegensatz zu vielen anderen aktuellen Animationsfilmen, die oft schmerzhaft gezwungen versuchen, den Betrachter zum Heulen zu bringen, schafft Inside Out das auf völlig ungezwungene, natürliche Weise und geht dabei äußerst kreativ und sensibel mit der Visualisierung des Gehirns um, daher ist der Film nicht nur für Filminteressierte absolut sehenswert.

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