Anfang September wurde der Zusammenschluss der beiden Versicherer Barmenia und Gothaer zur BarmeniaGothaer-Gruppe vollzogen. Nun wurde der Markenauftritt der neuen Marke BarmeniaGothaer vorgestellt. Mittelfristig soll BarmeniaGothaer die Marken Barmenia und Gothaer ablösen.
Die Fusion der Versicherer Barmenia (Wuppertal) und Gothaer (Köln) zur BarmeniaGothaer ist der erste große Zusammenschluss in der Branche seit über 20 Jahren. Die Gothaer-Feuer-Versicherungs-Bank wurde 1820 gegründet, die Barmenia (ursprünglich „Gewerbekrankenkasse zu Leipzig“) im Jahr 1904. Mit nunmehr rund acht Millionen Kundinnen und Kunden und 7.500 Mitarbeitenden zählt die BarmeniaGothaer-Gruppe Angaben des Unternehmens zufolge zu den zehn größten Versicherern in Deutschland.
Die Gothaer ist vor allem für ihre Lebensversicherung bekannt, die Barmenia insbesondere für ihre Krankenversicherung. Während die Barmenia Leben ab September mit der Gothaer Leben verschmolzen wird, soll die Gothaer Krankenversicherung in der Barmenia Krankenversicherung aufgehen – letzteres werde dem Unternehmen zufolge bis zu drei Jahre dauern.
Die vor wenigen Tagen vorgestellte neue Marke werde sukzessive an verschiedenen Kontaktpunkten sichtbar und erlebbar gemacht, wie es in der Medienmeldung heißt. Informationen zum Zusammenschluss und zur Marke sind ab sofort auf barmeniagothaer.de abrufbar.
Auszug der Pressemeldung
Nach dem Zusammenschluss der Barmenia und der Gothaer zur BarmeniaGothaer präsentiert der Versicherungskonzern die neue Marke. Fundament bei der Entwicklung: der bereits während der Zusammenführung gelebte Grundgedanke der Gleichberechtigung der beiden Vorgängerunternehmen. „Der Entwicklungsprozess der Marke war davon geprägt, die Stärken der Barmenia und der Gothaer auf Augenhöhe zu bündeln und in einen gemeinsamen Auftritt zu überführen. Dabei wollten wir an das in unserer Branche so wichtige Vertrauen und die Bekanntheit der Vorgängermarken anknüpfen und diese Basis modern und zukunftsorientiert weiterentwickeln“, so Frank Lamsfuß, der als Vorstand Vertrieb, Marketing und IT der BarmeniaGothaer die neue Marke verantwortet.
Die beiden Exklusivvertriebe der Barmenia und Gothaer treten zunächst weiterhin getrennt unter den bestehenden Marken Barmenia und Gothaer auf. Die Umstellung auf die neue Marke BarmeniaGothaer werde mittelfristig erfolgen.
Aus zwei mach eins. Mittelfristig werden die beiden Logos der Marken Barmenia und Gothaer durch das neue Logo der Marke BarmeniaGothaer abgelöst. Die neue Wortbildmarke mit einem Funken-/Stern-ähnlichem Zeichen („Sparkle“) als Bildelement vereine die Markenwerte und ist sowohl einzeln als auch in Kombination mit dem Markennamen Ausdruck der Corporate Brand (siehe Veranschaulichung).
Drei Markenwerte wurden im Zuge der Markenpositionierung definiert: 1. „menschlich – Partner ohne Wenn und Aber“, 2. „passioniert – Wir entwickeln Bestlösungen“ sowie 3. „zukunftsweisend – Wir gehen voran“. Diese Markenwerte fänden auch im Claim der neuen Marke BarmeniaGothaer ihren Ausdruck: „Weil du wichtig bist.“
Dunkelblau kommt als Primärfarbe zur Anwendung – ein Farbton, der aus Sicht des Unternehmens für Solidität steht. Als Akzentfarben kommen ein Hellblau („sky blue“) sowie Lavendel zum Einsatz – letzterer Farbton sei in der Versicherungsbranche einzigartig und ermögliche somit Differenzierung im Wettbewerb.
Passend zum neuen Markenauftritt wurde eine eigens für die BarmeniaGothaer entwickelte Schrift entwickelt – die BG Sparkle Sans. „Mit stabilen Geraden, harmonischen Bögen und dynamischen Schrägen vereint sie Nähe, Modernität und Dynamik“, so das Unternehmen.
Die Entwicklung des Markendesigns erfolgte in Zusammenarbeit mit Serviceplan München. Die Markenidentität wurde gemeinsam mit der Markenberatung ESCH- The Brand Consultants definiert.
Kommentar
Wann genau der in gebrochenen Lettern gesetzte „Gothaer“-Schriftzug eingeführt wurde, ist mir nicht bekannt. Verbrieft ist eine Verwendung des Schriftzugs seit den frühen 1950er-Jahren, wenn auch nicht durchgehend bis heute. Dass ein in der Geschichte von Gothaer seit (mind.) sieben Jahrzehnten verankertes Zeichen nun sukzessive verschwindet, ist bedauerlich. Denn das Typologo passt nicht nur besonders gut zum Kontext Versicherung, es ist überdies prägnant, eigenständig, funktional und ästhetisch. Im Ausdruck klassisch, traditionell, konservativ, wertbeständig. Der „Gothaer“-Schriftzug kommuniziert in idealtypischerweise Solidität.
Der Verlust des Barmenia-Logos, mit einem Zungen-förmigen Korpus (intern „Punze“ genannt) und einer in Helvetica gesetzten Wortmarke, wiegt weniger schwer. Die Wortmarke ist generisch, das Logokonstrukt als solches (Wortmarke + Claim, beide umgeben von einem Korpus) nur bedingt skalierbar / einfach handzuhaben.
Das Design ist nicht etwa ein Versuch, wie man ihn bei Fusionen zuweilen unternimmt (Beispiel Kraft Heinz Company), an bestehende Logodesigns anzuknüpfen. Fraktur-Stilistik und Helvetica‘esker Purismus wurden nicht kombiniert, vielmehr wurde ein gänzlich neues Design erdacht. Und zwar eines, das stärker dem Zeitgeist entspricht. Die Fusion und Verschmelzung ist auf der visuellen Ebene einzig auf die Farbgebung begrenzt. Blau, der gemeinsame Nenner beider Markenauftritte, bleibt erhalten. Der Farbklang Dunkelblau, Hellblau, Lavendel hat Wiedererkennungswert, und er versprüht Agilität.
Der „Gothaer“-Schriftzug ist ein visueller Verweis auf die mehr als 200-jährige Tradition des Versicherers. Wohingegen die „Sparkle“-Bildmarke zunächst einmal bezugslos wirkt. Das Neue hat es bekanntlich schwer. Acht-zackige Zeichen (Logos, Icons, Piktogramme, u.a.) in Sternform gibt es zudem viele. Sind „menschlich, passioniert und zukunftsweisend“ wirklich Kernwerte mit Differenzierungsqualität? Ich habe so meine Zweifel.
Zur BG Sparkle Sans, einer geometrischen Serifenlose: Modernität? Ok, diese kann man dem Font attestieren. Dynamik? Eine AOKBuenosAires, PulsBarmer Sans oder die Marselis von R&V, um einmal einen Vergleich im direkten Wettbewerb vorzunehmen, sind dynamischer und lebendiger, letztere sogar deutlich. Die BG Sparkle Sans würde ich nicht als dynamisch bezeichnen, sondern vielmehr als formell-neutral, ähnlich wie eine Allianz Neo. Nähe strahlt der Corporate Font BG Sparkle Sans aus meiner Sicht deshalb kaum bis keine aus, dafür fehlt es den um Haltung/Korrektheit bemüht wirkenden Lettern an Individualität und Persönlichkeit – ich vermisse die menschliche Note. Sätze wie „Du stehst bei uns an erster Stelle“ wirken eher streng, kühl, reserviert bis distanziert, Stichwort Text-Bild-Schere. Der Text sagt das eine, die Typographie vermittelt jedoch etwas anderes, eher: „Sachlichkeit steht bei uns an erster Stelle“.
Für eine abschließende Bewertung des Markendesigns ist es noch zu früh. Klar ist schon heute: es wird viele Jahre dauern, bis die „Sparkle“-Bildmarke über den Kundenstamm und die eigene Belegschaft hinaus als bekanntes Markenzeichen angesehen und verstanden werden kann. Auch deshalb ist entscheidend, die Bekanntheit der Marke über Werbung, Sponsoring, u.a. crossmedial zu verfolgen bzw. zu intensivieren. Bei Bundesligist Bayer 04 Leverkusen, wo Barmenia als langjähriger Hauptsponsor agiert, wurde die Umstellung bereits eingeleitet, siehe PM: Nach Fusion von Barmenia und Gothaer: Neues Marken-Branding in der BayArena.
Update 15.10.2024:
Im Zuge der Diskussion äußerte ein Leser Zweifel an der Echtheit des Bildes, das auf der Startseite von barmeniagothaer.de angezeigt wird (siehe nachfolgender Screenshot). Eine von mir durchgeführte Überprüfung und Analyse des Bildes hat ergeben, dass es sich bei dem Motiv mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein mittels Künstlicher Intelligenz entstandenes Bild handelt. Auf meine Anfrage hin wurde dies auch seitens Gothaer bestätigt. Das betreffende Bild auf der Startseite von barmeniagothaer.de ist KI-generiert. Abgebildet sind keine Menschen.
Im Rahmen der Markenkommunikation wird BarmeniaGothaer mit dem Kernwert „menschlich“ positioniert und beworben. Auf der Startseite barmeniagothaer.de heißt es etwa: „Wir sind für dich ein zuverlässiger Partner und freuen uns auf Begegnungen und Beratungen auf Augenhöhe – jederzeit mit dir im Mittelpunkt und von Mensch zu Mensch.“
Eine von mir an die Unternehmenskommunikation bei Gothaer per E-Mail gerichtete Frage, inwieweit die Verwendung von Replikanten / Abbildungen nicht-menschlicher Figuren mit diesem Kernwert und Leitbild vereinbar ist, blieb bislang unbeantwortet. Meines Erachtens stellt sich in diesem Fall, ähnlich wie bei Unternehmen, die beispielsweise vorgeben klimaneutral zu produzieren, obwohl die Produktion selbst nicht klimaneutral ist, die Frage hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der vom Unternehmen getätigten Aussage/Botschaft.
Da das betreffende Bild auf barmeniagothaer.de nicht mit einem entsprechenden Hinweis versehen ist, werden Besucher zudem im Glauben gelassen, die abgebildeten Personen seien real. Das Unternehmen BarmeniaGothaer kommt demnach der unter anderem vom Deutschen Ethikrat, dem Deutschen Kulturrat und Teilen der Kreativwirtschaft (ki-aber-fair.de) gestellten Forderung hinsichtlich Transparenz und Nachvollziehbarkeit nicht nach.
Mediengalerie
Weiterführende Links
Die Herleitung für das Bildzeichen finde ich sehr bemüht und austauschbar. Welches Unternehmen sieht nicht den Menschen (Kunden) im Fokus und will zukunftsweisend agieren? Ich habe in dem Signet eher sowas wie einen Einschlag oder Aufprall gesehen, also praktisch etwas Unvorhergesehenes, was ja für eine Versicherung ganz gut passt.
Den alten Gothaer-Schriftzug habe ich sofort im Kopf, wenn ich den Namen irgendwo lese oder höre. Wirklich schade, dass dieser nun abgelöst wird. Er stach durch die gebrochene Schrift einfach aus dem Einheitsbrei heraus.
Das alte Barmenia-Logo, muss ich gestehen, hatte ich gar nicht vor Augen. Also kein großer Verlust (für mich).
Beim neuen „Sparkle“-Bildzeichen musste ich (zu) oft hinschauen, bis ich begriffen hatte, dass die untere linke Ecke einen Pfeil darstellen soll. Alleinstehend kann das „Sparkle“-Bildzeichen alles bedeuten – aber an eine Versicherung würde ich nicht unbedingt denken.
Den Verlust des Gothaer-Schriftzugs bedaure ich auch.
Aber was für mich noch schlimmer ist, ist das Dunkelblau. Das ist für mich nicht seriös, sondern es drückt. Es ist kalt, unfreundlich, finster. Ich fühle mich bei dem Farbton an späte Herbstabende erinnert, aber die der ungemütlichen, bewölkten Art.
Ich habe selten so ein Unbehagen beim Betrachten einer Unternehmens-Primärfarbe empfunden.
Die Grafik zur »Repräsentation der Markenwerte« ist so ein typisches Agentur-Blabla. Kommt in der Präsentation gut, aber niemand, der diese Erklärung nicht gesehen hat, wird jemals den »Mensch« darin erkennen.
Und es ist natürlich auch sehr erstaunlich, dass der zukunftsweisenden Pfeil (übrigens nicht sehr originell) dann von dem restlichen »Sparkle« begrenzt bzw. aufgehalten wird. Sprich der Pfeil zeigt eher in die Mitte der Bildmarke, wo eine Art Explosion stattfindet. Wenn dieses Logo nicht später in Animationen erklärt wird, z.B. in Fernsehspots, gehen die drei Markenwerte komplett unter.
Dass das bekannte Gothaer-Logo abgelöst wurde, ist wohl kaum zu verhindern gewesen. Es sei denn, man hätte das Barmenia dem Look angepasst. Wäre mal ein interessanter Versuch.
Tut mir leid, aber sieht für mich so herzlos aus, als wenn man eine KI mit der Designgestaltung beauftragt hätte
Passend dazu – die Frau auf der Startseite von barmeniagothaer.de vermittelt auch irgendwie uncanny valley vibes… sind Friseur:innen oder Zahnärzt:innen hier, die die Physik der Haare bzw. die Anatomie der Zähne klären können?
Danke müde taube.
Ich bin zwar weder Friseur noch Zahnarzt, dafür nutze ich Midjourney und andere KI-Bildgeneratoren, die auch schon des öfteren hier im dt thematisiert wurden :-)
Zur Erläuterung – es geht um dieses Bild:
Tatsächlich gibt es mehrere Hinweise darauf, dass es sich in diesem Fall um ein KI-generiertes Motiv handelt.
1. Fehlende Symmetrie: die Ohren der „Frau“ sind unterschiedlich groß; bei einem frontal aufgenommenen Foto müsste die Position der Ohren ähnlich sein. In diesem Fall sitzen die Ohren allerdings nicht annähernd auf der selben horizontalen Achse. Wie wir wissen sind menschliche Gesichter/Körper nicht 100 % symmetrisch. Oftmals sind die Abweichungen sogar recht groß. Die unterschiedliche Position der Ohren geht meiner Einschätzung nach in diesem Fall jedoch deutlich über die natürliche Abweichung/Varianz hinaus.
2. Ohren: auch die Form der Ohren selbst ist sonderbar. Beim rechten Ohr der „Frau“ (links im Motiv) scheint das Ohrläppchen mit der Schläfe verwachsen zu sein (anatomische Unplausibilität).
3. Haar: Es wirkt, als kommen Haarsträhnen direkt aus dem rechten Ohr der „Frau“ beziehungsweise als ob Haarsträhnen unmittelbar hinter dem sogenannten Tragus (Knorpelanteil der Ohrmuschel) verlaufen, anstatt hinter dem Ohr; viele Haarsträhnen sind unterbrochen und vollziehen merkwürdige, abrupte Richtungswechsel.
4. Zähne: Die Form der Zähne wirkt unnatürlich; zwei Backenzähne beschreiben einen konkaven Bogen (statt dass sie gerade nach unten verlaufen oder leicht konvex gewölbt sind); der Übergang zum Zahnfleisch ist abrupt – es ist eine klare horizontale Kante zu erkennen, ebenso Artefakte/Pixelfehler.
5. Shirt der „Frau“: die hellblaue Farbgebung des Bündchens ist sonderbar; links im Motiv ist lediglich die äußere Kante des Bündchens hellblau gefärbt, wohingegen rechts im Motiv das Bündchen über die komplette Breite mit einem Farbverlauf von Hellblau zu Lavendel (von unten nach oben) ausgestattet ist.
Fehlende Symmetrie, sonderbare Haar- und Zahnform werden gemeinhin als Merkmale genannt, anhand derer KI-generierte Gesichter und Deepfakes identifiziert werden können, siehe auch whichfaceisreal.com. Auch ein stark weichgezeichneter (blurry) Hintergrund, oder Artefakte, die wie hier bei vergrößerter Darstellung sichtbar werden, sind Hinweise. Wichtig ist hierbei, zwischen Artefakte, die im Zuge der Datenkompression auf Dateiformate wie JPEG entstanden sind von jenen Artefakten und Bildunregelmäßigkeiten zu unterscheiden, die das Ergebnis eines KI-Renderings sind.
Je länger man sucht, umso mehr Unregelmäßigkeiten lassen sich benennen (ungleiche Breite der Shirt-Träger, u.a.). Einzelne Merkmale, wie das sonderbare Haar, findet man so ähnlich auch in realen Abbildungen. Es ist die Häufung und die Summe an Unregelmäßigkeiten, die insgesamt ein starker Hinweis dafür sind, dass es sich in diesem Fall um ein KI-Motiv handelt. Der stärkste Hinweis ist aus meiner Sicht die unterschiedliche Farbgebung des Bündchens. Sehr oft habe ich bei der Generierung von Bildern mittels Prompts derlei willkürlich anmutende, unlogische Farbwechsel beobachten können. Friseure und Ärzte werden womöglich andere Merkmale als deutliche(re) Hinweise benennen.
Dass ein Unternehmen, das Menschlichkeit im Leitbild verankert hat, zumal als wichtigsten/ersten Markenkernwert, mit Replikanten wirbt, ist doch sehr bedenklich, und meiner Meinung nach Ausdruck dafür, wie naiv mit KI-Technologie im Kontext Branding/Kommunikation/Werbung vielfach hantiert wird. Wo bleibt die Ethik im Design?
Mehr zum Thema im wissenschaftlichen Kontext: How to Distinguish AI-Generated Images from Authentic Photographs | researchgate.net
Lust auf ein Spiel/Test? AI-generated or Real?
Das wäre mir alles niemals aufgefallen. Hätte auch einfach ne unsaubere Photoshop-Retusche sein können. Die Kernfrage die sich jetzt stellt ist, ob die BarmeniaGothaer davon wusste. Oder ob deren Agentur halt das Bild gebastelt hat, ggf. mit den Photoshop-KI-Tools, und das nicht kommuniziert hat.
Es ist ja auch eine Auslegungssache, ob man der Wert »menschlich« damit verwässert, dass man KI-Bilder benutzt. Ich finde, solange darauf Menschen zu sehen sind, die weitgehendst menschlich aussehen, geht das für mich in Ordnung. Anderen können und werden das anders sehen.
Zu Deiner Frage: Seitens Gothaer wurde mir lediglich folgendes zu dieser Frage mitgeteilt: „Grundsätzlich ist es unser Ansatz bei Fotos sowohl auf eigene Shootings und reale Menschen bzw. Fotos aus Bilddatenbanken zurück zu greifen. Den Einsatz von KI-generierten Fotos schließen wir aber auch nicht aus.“
Daraus lässt sich zwar nicht mit Bestimmtheit ableiten, so aber doch schlussfolgern, dass die Verantwortlichen bei BarmeniaGothaer Kenntnis davon hatten/haben, dass das betreffende Motiv KI-generiert ist.
Darüber hinausgehende Fragen bezüglich möglicher ethischer Bedenken, etwa auch die Glaubwürdigkeit betreffend, blieben unbeantwortet.
Ist halt eine Versicherung, irgendwie erwarte ich da auch nicht das aufregende Feuerwerk, sondern einen zurückhaltend seriösen Auftritt. Dass das schnell eine Gratwanderung zum herzlos-langweiligen Auftritt ist, gehört dann wohl dazu. Ich muss aber sagen, dass ich das Logo tatsächlich spannend finde. Diese ganz leichte, kaum zu bemerkende Unregelmäßigkeit mit dem unten links herausgezogenen Pfeil, den man erst auf den zweiten Blick sieht, der Kreis in der Mitte, der sich wie bei einem Vexierbild abzeichnet, all das macht zusammen mit der Offenheit für Interpretationen wie Blume, Stern oder Explosion und den damit möglichen vielfältigen Assoziationen, dass ich tatsächlich von einem prägnanten Logo sprechen würde.
Meine erste Assoziation war “Christliches Hilfswerk”…
Sehr passende Verbindung!
Ich erinnere mich noch sehr gut an die Fusion von Barmer und GEK Krankenkasse in 2010. Auch als Hochzeit unter Gleichen mit einem riesigen Aufwand beworben und wahrscheinlich für Millionenbeträge überall eingeführt, hieß die Krankenkasse kurze Zeit später statt Barmer GEK nur noch Barmer und Logo und Markenname der GEK war überall verschwunden (offiziell erst nach der Fusion mit einer weiteren Kasse in 2016, dann erneut mit einem neuen Barmer-Logo). Bei Barmenia befürchte ich einen ähnlichen Ablauf, hier vielleicht sogar noch mit der Einführung eines neuen Kunstnamens, denn wer kann/will BarmeniaGothaer aussprechen?
Danke Achim für deinen Beitrag und den Kommentar! Habe dem nichts hinzuzufügen. Etwas schade, dass die beteiligten Agenturen sich hier leider keine Originalität und Durchdachtheit attestieren können.
Danke Paul.
Die Krux ist zudem, dass derlei Arbeiten womöglich später, etwa weil den Juroren die Künstlichkeit nicht auffällt, wie vielen anderen Menschen auch nicht, bzw. weil ethische Aspekte nicht den Bewertungskriterien unterliegen, mit einem kommerziellen Design Award bedacht werden (Red Dot, German Brand, u.a.). Und Unternehmen und Agenturen, genauer gesagt die für die Kreation verantwortlichen Personen (Agentur), wie auch die für deren Freigabe (Unternehmen), dies fälschlicherweise als Bestätigung verstehen, alles richtig gemacht zu haben.
Ein diabolischer Kreis(lauf), der Abstumpfung und Qualitätsverlust zur Folge hat. Warum, so fragt sich eine Agentur, sollte man dann noch einen professionellen Fotografen beauftragen, zusammen mit den von der Agentur gecasteten Menschen/Models samt schwerem Equipment in ein Flugzeug zu steigen, um in einem südeuropäischen Land Aufnahmen für eine Kampagne zu shooten? Wo doch das Bildmaterial nur wenige Prompts entfernt für einen zweistelligen monatlichen Abopreis allzeit griffbereit ist. Abstumpfung hinsichtlich ethischer Werte und Prinzipien, Qualitätsverlust im Visuellen und Fotografischen. Und eben auch im Story Telling, wie der genannte Widerspruch Menschlichkeit < > Replikant verdeutlicht.
Ich wünsche mir aus der Kreativbranche heraus, auch aus den Medien, viel mehr kritische Stimmen. Mehr Hinterfragung. Haltung. Verantwortung.
Wichtig ist zu sagen, dass die benannten Unregelmäßigkeiten, Ungereimtheiten, Merkwürdigkeiten und anatomischen Auffälligkeiten kein Beleg und kein Beweis dafür sind, dass es sich eindeutig um ein künstlich hergestelltes Motiv handelt. Nicht nur für das menschliche Auge sind KI-Motive zuweilen schwer als solche zu erkennen, auch mit Hilfe von künstlicher Intelligenz betriebenen Deepfake-Detektoren lässt sich dies oftmals nicht einwandfrei ermitteln.
Eine Analyse des Bildes mit Hilfe des Deepfake-O-Meters, ein vom UB Media Forensic Laboratory der University of Buffalo entwickeltes Analyse-Tool, bei dem gleich mehrere Detektoren-Modelle zum Einsatz kommen, hat folgendes ergeben: demnach kommen zwei Detektoren zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit für Künstlichkeit groß ist. Das NPR-Modell (Neighboring Pixel Relationships, 2024, Github) hat die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dem Motiv um ein KI-generiertes Bild handelt, mit 60,8 % berechnet, das CORE-Modell kommt auf 61,7 %. Wohingegen vier Modelle eine Fake Probability von 0 % und weitere vier Modelle eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit errechnet haben.
Bei Analyse des Motivs lediglich mit dem Ausschnitt der „Frau“ ermittelt das NPR-Modell eine Wahrscheinlichkeit von 86,2 %.
Auch diese mittels KI erhobenen Daten sind kein Beweis, weder in die eine noch in die andere Richtung. Die meisten mir bekannten öffentlich zugänglichen Detektoren tun sich meiner Erfahrung nach (heute noch?) damit schwer, zwischen echt und KI-generiert zu unterscheiden. Selbst zweifelsfrei nicht-reale Motive (Beispiel) werden von Deepfake-Detektoren vielfach und überwiegend (!) als real bewertet. Menschen lassen sich noch leichter täuschen.
Edit: 12.10.24, 22:10 Uhr: Ein weiterer Hinweis: auf freepik.com, wo die AI-Engine „Flux 1.1 Pro AI Image Generator“ zum Einsatz kommt, gibt es unzählige KI-generierte Motive mit ähnlichem Aufbau, Inhalt und Stilistik (teils mit KI-typischen bizarren Ausprägungen).
Das Sujet entspricht einem weit verbreiteten Muster von KI-generierten Bildern.
Auf flux1.ai lässt sich mittels Reverse-Bildersuche für das BarmeniaGothaer-Motiv der folgende Prompt-Befehl ermitteln: „smiling woman and man jogging together on a sunny day in a city park, Claire Hummel, a stock photo, featured on pexels, smiling young woman, smiling girl, girl running, smiling and looking directly, fit woman, golden hour 8 k“
Diese Prompts an die Flux-Engine übergeben erzeugt ein Motiv mit ähnlichem Sujet.
Danke, für den fundamentierten Einblick! Als Laie finde ich allerdings die Forderung nach Haltung und Verantwortung kurios. In der Werbung kennen wir idealisierte Stockfotos seit Ewigkeiten und wissen doch, dass es sich um ebensolche Illustrationen handelt. Dass die joggende Frau vermutlich nicht wirklich Barmenia-Kundin ist, sondern nur das Gefühl von Lebensfreude und Aktivität rüberbringen soll, wissen oder spüren doch vermutlich selbst unkundige Betrachter. Welchen Unterschied macht es da, ob das Bild KI-generiert oder vom Fotografen inszeniert wurde? Klar, für die Fotografenbranche macht es einen Unterschied, und die Gefahren, die von KI für die Nachrichtenwelt ausgehen, sind natürlich eklatant. Aber die Bildersprache der Werbung ist für mich sowas von künstlich, auch wenn sie gut gemacht ist, dass ich im Hinblick auf die Verwendung von KI keinerlei moralisch-ethische Probleme sehe.
Der Vorfall Anfang dieses Jahres, als hier im dt eine Person unter dem Pseudonym Elija/Elijah mittels Fake-Account Kommunikationsstrategien angewandt hat, um in verschleierter Weise rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten, mit dem Ziel, dieses salonfähig zu machen, ist mir noch sehr präsent. Auch damals hast Du, Andreas, in dem Vorgehen der Person keine moralisch-ethischen Probleme gesehen, meine Reaktion und Antwort hingegen als unangemessen bezeichnet. Der betreffende Fake-Account wurde von mir gesperrt. Auch viele andere Kommunikationsstrategien sind nicht auf Anhieb als solche zu erkennen und zu durchschauen. Deshalb ist dieser Einschub keinesfalls als Vorwurf zu verstehen, sondern als Feststellung. Grundsätzlich schätze ich Deine Wortbeiträge hier im dt, auch wenn deutlich wird, dass wir oftmals völlig verschiedene Auffassungen vertreten.
Beide Themen, Rechtsextremismus und Künstliche Intelligenz, im übrigen auch Werbung und Branding, sind über die Ethik und die Moral verbunden, über die Frage, was ist richtig, was falsch, was ist moralisch, und was unmoralisch. Rechtsextremismus ist per se falsch. Grundsätzlich gilt auch: wer rechtsextremes Gedankengut relativiert und kleinredet, fördert Rechtsextremismus! In Konsequenz dessen auch Hass, Hetze und Gewalt. Hier endet meine Toleranzgrenze, als Betreiber dieses Mediums wie auch als Mensch. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz sollte wiederum immer, und da teile ich die Auffassung, die der Deutsche Ethikrat vertritt, verantwortungsvoll erfolgen. „KI-Systeme können moralisch problematische Resultate erzeugen“, wie der Ethikrat in seiner Stellungnahme „Mensch und Maschine“ schreibt (PDF). Auch Deepfakes, seien es Bilder, Videos oder Audioinhalte, sind ein solches Problem.
Überhöhung und Übertreibung gibt es in der Werbung und auch im Kommunikationsdesign schon lange, ebenso inszenierte Darstellungen (Bilder, Texte, Videos, Designs, etc.). Die Grenze zwischen einer solchen zulässigen Übertreibung und einer offensichtlichen Falschaussage/Lüge sind dabei nicht immer leicht zu ziehen, auch weil Insider-Wissen vorausgesetzt wird. Wenn beispielsweise Unternehmen behaupten, 100 % klimaneutral zu produzieren, ist dies für Außenstehende meist gar nicht nachvollziehbar. Entsprechende Werbung ist oft irreführend, etwa jene von Katjes, wie der Bundesgerichtshof im Juni entschied, da der Hersteller, so die Begründung, die Klimaneutralität lediglich über CO2-Kompensation erreicht. Wie so oft. Die Produktion selbst ist nicht klimaneutral. Die Aussage ist also keine Überhöhung, sie ist schlichtweg eine Falschaussage. Und das sollte man trennen.
Verantwortungsvoll handeln heißt, Konsequenzen des Tuns berücksichtigen. Und dies gilt im Kontext Kommunikationsdesign aufgrund der Wirkkraft von Medienanwendungen und Werbeinhalten in besonderem Maße, sowohl für die auftraggebende Seite wie für die auftragnehmende. „Derjenige, der einer Botschaft die visuelle Form geben soll, muss auch den Inhalt verantworten können”. Der Ansicht von Typograph und Designer Erik Spiekermann schließe ich mich in diesem Fall uneingeschränkt an. Im Spannungsfeld zwischen Werbung, Branding und KI an Verantwortung zu appellieren, halte ich im Hinblick auf aktuelle Strömungen und Tendenzen innerhalb der Branche für dringend geboten.
Welchen Unterschied macht es, ob ein Bild KI-generiert oder vom Fotografen inszeniert wurde? Nun. Die Unterschiede können auf der rein visuellen Ebene minimal/marginal sein. In beiden Fällen kann das Artwork darauf ausgerichtet sein, einen schönen Schein zu erzeugen. Viele Bilder, Zeichen und Symbole sind ein Blendwerk. Ähnlich wie auf Instagram geteilte Fotos geben sie lediglich vor, etwas bestimmtes zu sein. Inszenierung, Beschönigung, Vortäuschung falscher Tatsachen gibt es in der Kunst, etwa in der Malerei, seit der Antike. Und länger. Und selbstverständlich ist das in der Werbung Dargestellte immer eine Inszenierung. Es ist wichtig, sich von diesem Blendwerk nicht täuschen zu lassen, und stattdessen den Blick darauf zu richten, was unterhalb der Ebene des Sichtbaren geschieht, konzeptionell, inhaltlich, strategisch und nicht zuletzt eben auch in moralischer Hinsicht.
„Design heißt, Denken und Machen aufeinander zu beziehen. Ästhetik ohne Ethik tendiert zur Täuschung. Es geht um das Produkt als Ganzes, nicht allein um seine äußere Form“, schrieb Otl Aicher. Aicher war nicht nur ein herausragender Gestalter, er ist seit je her auch im Hinblick auf ethisch-moralische, überhaupt hinsichtlich gesellschaftlicher Fragestellungen ein guter und verlässlicher Ratgeber. Das Zitat stammt aus dem Jahr 1991. Es könnte aktueller nicht sein.
Design ist das GANZE, nicht nur das Visuelle. Ein Fußball kann noch so ein tolles grafisches Aussehen haben und hervorragende Flugeigenschaften aufweisen – wenn der Ball das Ergebnis von Kinderarbeit und Ausbeutung ist, dann ist es ein schlechtes Design, und der Ball in Summe ein schlechtes, kritikwürdiges, um nicht zu sagen verabscheuungswürdiges Produkt. Gäbe es keine Bio-Siegel und andere Lebensmittelkennzeichnungen, würden unterschiedliche Fleisch-, Obst- und Gemüseerzeugnisse aufgereiht im Supermarktregal und in der Kühltheke auch gleich aussehen. Ebenso wie die Machart, Beschaffenheit und Herstellung des Balles auf das Produkt einzahlen, im Positiven wie im Negativen, zahlt auch die Machart eines Bildes auf das Endergebnis ein, und damit auf die dahinterstehende Marke! Dies gilt auch für andere kreative Arbeiten wie Logos und Illustrationen, gleichsam für Leistungen aus anderen künstlerischen Disziplinen, wie Schauspiel, Schreiben/Texten, Gesang/Musik, Malerei, Bildhauerei, etc.. WIE ein Produkt beschaffen ist, WIE es entstanden ist, WIE eine Geschichte erzählt wird, WIE ein Musikstück gespielt und interpretiert wird, macht den Unterschied.
Wenn ein Bild/Foto nicht mit einem damit in Zusammenhang stehenden Text korrespondiert, dann sprechen wir von einer sogenannten Text-Bild-Schere. Und auch das betreffende Bild auf barmeniagothaer.de (joggende „Frau“) korrespondiert nicht mit der vom Unternehmen getätigten Aussage. Das Bild kommuniziert nicht Menschlichkeit, es kommuniziert Künstlichkeit. Während eine klassische Text-Bild-Schere auch für Laien leicht zu erkennen ist, sind viele andere inhaltlichen Widersprüche erst nach systematischer Überprüfung, Recherche und Analyse sichtbar. Weshalb Widersprüche und Verschwörungen im Umfeld von Social Media viel Nährboden finden. Die Aufmerksamkeitsspanne reicht dort in aller Regel nur wenige Sekunden.
Da das betreffende Bild auf barmeniagothaer.de nicht mit einem entsprechenden Hinweis versehen ist, werden Besucher im Glauben gelassen, die abgebildeten Personen seien real. Wohingegen etwa im aktuellen Spot der AOK („Kaspar hat Rücken“) für jede/n leicht zu erkennen ist, dass die Körperbewegungen, die die Person vollbringt, nicht real sind. Es gibt Werbung und Medienanwendungen, bei denen der Einsatz von KI-Renderings weniger kritisch ist, und es gibt Werbung, die moralische Probleme verursacht.
Ich unterstelle keine Täuschungsabsicht. Doch das Bild ist eine Täuschung. Abgebildet sind nicht eine joggende Frau samt bärtigen Mann im Hintergrund, sondern Replikanten mit den entsprechenden geschlechtlichen Eigenschaften. Zwischen einer fotografischen Abbildung und einem KI-Rendering besteht auch im Sprachlichen ein Unterschied. Diese Differenzierung ist wichtig. Die Gleichsetzung von Fotografie und KI-Rendering negiert sprachliche Unterschiede. Und wer keine sprachlichen Unterschiede macht, vermittelt (in letzter Instanz), dass ihm letztlich alles egal und gleichgültig ist. Ethik, Gewalt, Menschen, das eigene Dasein. Eine durchweg nihilistische Haltung, aus der heraus Fälschungen als Originale angesehen werden, Klimaschädliches als Klimafreundliches, Rechts- und Linksextremisten als Demokraten. Eine verdrehte Weltanschauung und Haltung, die, aus Sicht des Individuums, auch von Verantwortung befreit, und einen Aufruf zum gewaltsamen Protest rechtfertigt (wie dem am 6. Januar 2021).
In den letzten Jahren konnte man in Bezug auf die Präsenz von Menschen in der Werbung beobachten, dass offenbar ein Umdenken stattgefunden hat. Lange Zeit traten in der Werbung meist nur Menschen als Testimonial und Markenbotschafter auf, vor allem Frauen betraf dies, die einem allgemeinen Schönheitsideal entsprachen: jung, gutaussehend, schlank, weiße Hautfarbe, etc.. Was zunehmend und völlig zurecht, auch aufgrund der oftmals sexsistischen Inhalte, von vielen Menschen kritisiert wurde. Mittlerweile scheint die Werbung näher an die Lebenswirklichkeiten der Menschen, auch an deren Konfektionsgrößen, herangerückt zu sein, zumindest ein wenig. Authentizität wird propagiert. Diversität und Unterschiedlichkeit sind sichtbarer denn je. Gerade auch vor diesem Hintergrund wäre es höchst sonderbar, sollten Unternehmen (und von diesen beauftragte Werber/Agenturen) nun wieder in alte Muster verfallen und verstärkt abermals überholte Klischees und Stereotype bedienen.
Wie es der Zufall so will (oder doch der Algorithmus?), wurde mir dieser Tage eine Werbung der Sparkasse anzeigt, in der jener zentrale Markenwert der neuen Marke BarmeniaGothaer – menschlich – aufgegriffen und in persiflierender Weise in Zusammenhang mit der durch KI erzeugten sonderbar unmenschlich wirkenden Figuren/Abbildungen gestellt wird. Auch dies kann ein Anlass sein, um sich zu fragen: Was ist menschlich, was echt? Und was künstlich, eine Täuschung?
Es gibt in Deutschland vier Versicherungen die die meisten Menschen schon am Logo wiedererkennen. HUK, ARAG, Allianz und eben Gothaer.
Logos sind dann erfolgreich wenn sie keiner Erklärung bedürfen. Das kann man nicht planen oder erzeugen, sowas schafft man letztlich nur mit Glück. Und wenn man so eine Wiedererkennung hat, dann wirft man sie nicht einfach weg.
Mir fehlen bei sowas einfach die Worte. Was ist nur in dieser Branche los?
Wiedererkennung ist nicht alles. Man kann sich auch Durch Negativa beachtliche Wiederekennung verschaffen. Teile die in einigen Beiträgen und dem Kommentar vermittelte Sympathie für ein antiquiertes Gebilde wie die Gothaer-Wortmarke so ganz und gar nicht. Mag jetz die „Schaftstiefel”-Diskussion nicht wiederbeleben aber wenn derlei Kontrukt Eigenschaften wie „klassisch, traditionell, ästhetisch, wertbeständig” oder gar „idealtypischerweise Solidität” zugeschrieben werden regt sich da in mir schon Widerspruch. Was ich einem Versicherungs-Logo so gerne gönnen würde ist „Vertrauenwürdigkeit”. Das kann ich aber einer in einer schlichten Gotischen ob des in ihrer Strenge vermittelten Authoritätsgehabe so gar nicht erkennen. Da ist mir die Assoziation „christliches Hilfswerk“ dann doch noch deutlich sympathischer.
Dank Dir Koni.
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Update 19.10.2024, 11:34 Uhr: In Folge des Kommentars ist eine längere Diskussion zwischen Koni und mir als Autor entstanden, bei der, abseits vom eigentlichen Thema, eine unterschiedliche Interpretation und Deutung der Formensprache der sogenannten schlichten Gothisch / Gebrochene Grotesk deutlich wurden. Der Austausch und Dissens war auch von Missverständnissen geprägt, zudem bot dieser für Dritte kaum bis gar keinen Erkenntnisgewinn. Um nicht vom eigentlichen Thema abzuschweifen habe ich, in Abstimmung mit Koni, den entsprechenden Thread entfernt.
Bei diesem Dialog ist deutlich geworden, dass diese Untergattung der Gebrochenen Schriften bei dt-Leser Koni in erster Linie negative Konnotationen auslösen, wohingegen ich diese negativen Bezüge – selbstverständlich – auch wahrnehme, darüber hinaus jedoch auch, trotz ihrer Geschichte, in diesem Schrifttypus viele weitere Eigenschaften und Wesenszüge sehe, wahrnehme und schätze, nämlich positive. Unter anderem ästhetische Merkmale. Und diese Eigenschaften, das verdeutlichen meiner Einschätzung nach auch die genannten zahlreichen Beispiele (Gothaer, Warsteiner, u.a. Biermarken, Meduza, Hannoversche Allgemeine, Gaststättengewerbe, etc.), sehen offenbar viele andere Menschen auch, sonst wären derlei Wortmarken heute nicht mehr so verbreitet. Wichtig ist dabei den geschichtlichen Hintergrund zu berücksichtigen: Zunächst waren es gebrochene Schriften, die von den Nazis präferiert wurden. Verschiedene gebrochene Schriften, jene, die zur Gattung der Gebrochene Grotesk zählen, wie die Tannenberg, sind Anfang der 1930er Jahre entstanden. Wohingegen die Geschichte von gebrochenen Schriften viele hundert Jahre zurückreicht. Gebrochenen Schriften waren in Deutschland bis 1941 in Verwendung, bis auf Erlass von Reichsminister Martin Bormann, der sogenannte Schriftenerlass vom 3. Januar 1941, die Nationalsozialisten verfügt hatten, dass gebrochene Schriften nicht mehr zu verwenden seien, stattdessen Antiquaschriften als neuer Standard. Darin wurde entgegen der realen historischen Schriftentwicklung behauptet, gebrochene Schriften seien jüdischen Ursprungs, was jedoch jeglicher Grundlage entbehrt. Weitere ausführliche Hintergrundinfos zur Untergattung der Gebrochenen Grotesk finden sich unter: Schlichte Gotisch bzw. Schaftstiefelgrotesk | typografie.info.
Markenzeichen und Logos mit gebrochenen Schriften
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Wer gebrochene Schrift mit dem NS in Verbindung bringt, hat wohl noch nie etwas vom Normalschrifterlass gehört:
https://de.wikipedia.org/wiki/Antiqua-Fraktur-Streit#Normalschrifterlass
Danke Tobias, für die Verlinkung.
Bleibt die Verwunderung darüber, warum ein Beitrag, der angesprochene Zuschreibungen nicht teilt, anlasslos den Reflex auslöst, gebrochene Schriften insgesamt gegen NS- Bezüge verteidigen zu müssen.
»Da ist mir die Assoziation „christliches Hilfswerk“ dann doch noch deutlich sympathischer.«
@Koni
Ist doch auch erstmal nichts schlechtes, oder?
eh ned.
Im Erzgebirge und sicher auch anderswo findet man auch heute noch viele Anwendungsbeispiele in der Tannenberg-Stilistik. Es ist eben auch ein Duktus mit dem sich vergleichsweise einfach ästhetisch gut funktionierende Schautexte für Schilder etc. schreiben lassen. Da braucht man bei anderen Gattungen schon deutlich mehr Übung und »Handgeschick«. 🤓
Und hier übrigens noch mehr Perspektiven zum Thema:
https://www.typografie.info/3/topic/18836-schaftstiefelgrotesk
Ist es nicht schön, hier eine so diffenzierte und sachliche und vor allem fundierte Diskussion zu lesen?
Ich finde: ja und bedanke mich ausdrücklich bei Achim und allen Beteiligten!
Auf meine Anfrage hin wurde mir heute seitens der Abteilung Unternehmenskommunikation bei Gothaer mitgeteilt, dass das betreffende Bild auf der Startseite von barmeniagothaer.de KI-generiert ist. Soviel schon einmal vorab. Ich stehe derzeit noch im Austausch.
Toll, Walmart steigt also in die deutsche Versicherungsbranche ein?!
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Nein im Ernst.
Hier wird gleichzeitig ein sehr gutes (Gothaer) und ein sehr schlechtes Logo (Barmenia) aufgegeben.
Die Frage ist, wo will man mittelfristig hin? Wird es bei dem Doppelnamen bleiben, so wie einst aus Signal und Iduna Nova die Signal Iduna wurde? Dafür halte ich die Kombination zu sperrig und zu schlecht über die Lippen kommend.
Meine Befürchtung ist, dass im Zweifel eher Gothaer als Barmenia fällt, da letzteres (die Herleitung von Barmen ist mir bewusst) generischer klingt.
Zur Barmenia-Markenhistorie (oder so): Bayer 04 hat ja vor wenigen Wochen ein Sondertrikot zum 120-jährigen Vereinsjubiläum herausgebracht. “Auch die Bayer 04-Sponsoren sind Ton-in-Ton abgebildet: Auf der Brust prangt das historische Barmenia-Logo.” Tatsächlich ist dort eine Engel(?)-Bildmarke zu sehen, die in der Tat historisch anmutet, der darunter sitzende ‘Barmenia’-Schriftzug sieht dem bisher aktuellen aber verdammt ähnlich. https://www.bayer04.de/de-de/news/bayer04/keine-tradition-seit-1904-sondertrikot-zum-120-jaehrigen-jubilaeum
Danke Raphael.
Bei der betreffenden Bildmarke handelt es sich um das einstige Logo der „Leipziger Verein-Barmenia Krankenversicherung a. G.“, einer Vorgängerorganisation der Barmenia Versicherung, die im Jahr 1946 ihren Firmensitz von Leipzig nach Wuppertal verlegt hat, dem heutigen Firmensitz der Barmenia.
Die in Helvetica gesetzte „Barmenia“-Wortmarke ist erst später entstanden. Auf dem Bayer-04-Sondertrikot wurde das historische Signet der Leipziger Verein-Barmenia Krankenversicherung a. G. mit der vergleichsweise jungen „Barmenia“-Wortmarke kombiniert. In dieser Kombination wurde das Logo so meines Wissens früher nicht genutzt.
Auf dem nachfolgenden Emailschild ist dieses Signet mit der ursprünglichen Wortmarke zu sehen.
Leipziger Verein-Barmenia-Krankenversicherung Emailschild
Im Hinblick auf die Formensprache der Gothaer-Wortmarke sicherlich interessant: Auch bei der Barmenia gibt es, wie bei so vielen anderen Unternehmen und Marken auch, einen Bezug zu gebrochenen Schriften und der Untergattung Schlichte Gotische. Seinerzeit (1935) war dieser Schrifttypus noch nicht in der Weise negativ konnotiert, wie es heute, mit dem Blick auf die Historie, der Fall ist.
Leipziger Verein-Barmenia (1935)
Soweit der kleine Ausflug zur Geschichte der Marke Barmenia.
Stark! Danke.
Dass es sich um eine Vermischung von Alt & Neu handelte, hab ich fast vermutet. Der Barmenia-Schriftzug aus der “historischen” Variante sah mir zu aktuell aus. Danke auf jeden Fall für’s Einordnen.
Der schlechte Stand gebrochener Schriften ist echt ein Thema, leider. Habe dieses Jahr nochmal deinen Beitrag zum Apotheken-A gelesen, in dem es ja auch um das Thema ging. Was an der 1935er-Werbung (?) der Barmenia auffällt, ist die paralle Nutzung der zwei unterschiedlich gesetzten kleinen a’s. Ist mir vor allem auch aufgefallen, nachdem ich nochmal alte und neue Variante der Barmenia- und BarmeniaGothaer-Logos genauer angeschaut habe: da hat die Barmenia ein neues/anderes kleines a erhalten.
Der Sparkle hat mich die ganze Zeit konkret an ein anderes Logo erinnert. Ich dachte immer heimlich irgendwie “Targo”. Hab der Versuchung dann jetzt nicht mehr widerstanden, das mal zu prüfen. Und siehe da: Die Targo-BANK hat ein X aus vier einzelnen Elementen (sogar in Blau!), mit einem “Köpfchen” (ähnlich der Sparkle-Herleitungs-Darstellung für “menschlich”)! Die Schestergesellschaft(?) Targo-VERSICHERUNG nutzt dieses Signet nicht – bei denen findet sich lediglich der rote Punkt (das “Köpfchen”) wieder.
Zur Veranschaulichung hier noch die Grafiken
Ich komme nicht aus der Branche, jedoch lese ich die Artikel immer mit großem Interesse – sie erweitern meinen Horizont und ich lerne viel. Herzlichen Dank an Dich Achim für Dein Engagement und auch an alle Kommentatoren, die sich einbringen. Durch Dich und Euch werden „Außenstehenden“ wie mir Augen geöffnet und durch die Beleuchtung der Hintergründe kann man vieles besser verstehen. Das ist sehr wertvoll!
Letzte Woche bin ich auf der D342 nahe Lyon gefahren und ich sah an einem Gebäude das Logo des dort ansässigen Unternehmens DUCREUX http://www.ducreux-cfi.com/logistique
und sofort kam mir der dt-Artikel über BarmeniaGothaer in den Sinn. Freilich können mehrere Leute die gleiche Idee haben und sie umsetzen und ich möchte niemandem etwas unterstellen und vielleicht ist es nur Zufall: aber die Ähnlichkeit mit dem neuen BarmeniaGothaer-Logo ist für mich frappierend.
NB: Dass der bisherige, sehr bekannte Gothaer-Schriftzug aufgegeben wurde, finde ich sehr schade. Auch schade finde ich, dass im Vorspann des jüngsten Murot-Tatorts „Murot und das 1000-jährige Reich“ eine Frakturschrift als Stilelement genutzt wurde, um einen Bezug zur NS-Diktatur herzustellen. Hier wäre bessere Recherche angesagt gewesen. Oder einfach mal ein Blick ins designtagebuch.
Herzlichen Dank Bernd.
Wenn auch die Formgebung etwas anders ist, so ist in beiden Fällen, DUCREUX und BarmeniaGothaer, die zugrundeliegende Idee identisch. Dies werden wohl auch jene anerkennen müssen, denen die Gestaltung grundsätzlich gefällt.
Ob man angesichts der großen Verbreitung von Stern-ähnlichen Zeichen (siehe Screenshot Google-Bilder-Suche) und in Ermangelung einer originären und einzigartigen Idee einem anderen visuellen Konzept hätte den Vorzug geben sollen/müssen, darüber kann man diskutieren. Ich schließe mich dt-Leser Paul an: Originalität, Durchdachtheit und eine konzeptionelle Tiefe sehe auch ich nicht.
Was den jüngsten Murot-Tatort und die Verwendung einer Gebrochenen Schrift im Titel betrifft, so gebe ich Dir recht Bernd. Es ist genau diese Art der Gestaltung, die dem historischen Gebrauch Gebrochener nicht gerecht wird. Die Gestaltung ist plump, vor allem ist sie falsch und widersprüchlich. Wie so oft dient hier eine Gebrochene Schrift, um einen vagen visuellen Bezug zum Nationalsozialismus herzustellen.
Der Nazi-Muff, der Gebrochenen Schriften unisono anhaftet, wird so weiter manifestiert, und die damit verbundenen Klischees immer und immer weiter bedient. Die Gestaltung ist deshalb widersprüchlich, da es sich bei der gewählten Schriftart um die von Roland Hörmann im Jahr 2008 veröffentlichte Adhesive Nr. Seven (Phospho Type Foundry) handelt. Eine wunderbare, kreative Schrift, die Hörmann selbst als eine „zeitgenössisch“ Blackletter“ bezeichnet. So gesehen ist das Bildzitat, das hier vom DasErste-Redaktionsteam gewählt wurde, falsch, zumindest ist es widersprüchlich. So wie auch eine Darstellung von Menschen mit dunkler Hautfarbe (people of color) in Nazi-Uniform, und da schließt sich der Kreis zum Thema KI, höchst widersprüchlich ist.
Visual Tatort „Murot und das 1000-jährige Reich“, Typographie gesetzt in der „Adhesive Nr. Seven“, entworfen von Roland Hörmann, im Jahr 2008 veröffentlicht (Phospho Type Foundry, 2008) Quelle: DasErste
Klüger und anspruchsvoller ist die Gestaltung des Plakats zum Film „Only Lovers Left Alive“ von Jim Jarmusch, bei der ebenfalls jene von Hörmann entworfene Adhesive Nr. Seven im Titel zum Einsatz kommt (beim offiziellen Filmplakat kommt gleichwohl die FF Brokenscript zum Einsatz). In diesem Fall stimmt der historische Kontext. Die Geschichte handelt von einem seit Jahrhunderten verheirateten Vampir-Paar.
Filmplakat „Only Lovers Left Alive“ (Jim Jarmusch), Typographie des Titels: gesetzt in der „Adhesive Nr. Seven“, entworfen von Roland Hörmann und im Jahr 2008 veröffentlicht (Phospho Type Foundry, 2008)
Der Nazi-Muff ist kein nachträglich bösartig aufgeladener, er rührt eben aus jenen Umständen in denen die heute (auch) damit verbundenen Assoziationen ihren Ursprung haben. Der Umgang mit Gebrochenen zu jener Zeit (vor allem diese grobe Elementarisierung) hat sich eben in das typografische Gedächtnis eingeprägt. Diese (nicht aus dem Nichts!) entstandenen Assoziation für diese Anwendung hier nicht zu nutzen wär eher töricht. Die Gebrochenen (gerade in dieser hier verwendetetn wuchtig-herrischen Ausprägung) steht natürlich nicht nur aber eben auch für diese Zeit und ihre Umstände. Besonders schön finde ich im Vorspann den typografischen Verlauf von den Errungenschaften moderner Gesellschaftsformen zurück in finstere Zeiten (für die eben die schlichten Grotesken -ich weiß ich wiederhole mich- zwar nicht nur aber eben halt auch stehen).
Der Zusammenhang zwischen Nationalsozialismus und Gebrochenen Schriften (der Gattung schlichte Gotische) ist völlig unstrittig, die damit verbundene Zuschreibung vielfach begründet, legitim und nachvollziehbar. Jedoch. Auch Antiqua-Schriften haben eine „dunkle Vergangenheit“. Die Propaganda der Nationalsozialisten basiert in vielen Bereichen, und zwar bereits vor 1941, auf Antiqua-Schriften (mit und ohne Serifen). Eine Auseinandersetzung mit und zu diesem Thema findet jedoch kaum statt.
Nationalsozialismus – Verwendung Antiqua-Schriften. Quelle: Plakatmotiv „Gebt mir vier Jahre Zeit“ u. Motiv „Arisch oder nicht?“, „Werbung im Dritten Reich“ (Uwe Westphal). Quelle: Titelblatt „Grundsätzliches Programm der nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-Partei“, annefrank.org. Quelle: Motiv Titelseite Völkischer Beobachter, collectiegelderland.nl
Headlines in der BILD-Zeitung sind/waren stilistisch in ähnlicher Weise gesetzt wie im NS-Hetzblatt Völkischer Beobachter (ab 01/1941). Die Rapper von RUN DMC nutzen eine ähnliche Formensprache als Logo (mit Meme-Qualität). Zahlreiche NS-Pamphlete wiederum sind in der Futura gesetzt, die die Moderne verkörpert wie keine andere Schrift, und die wohl auch deshalb von Hitler geschätzt wurde, wie zu lesen ist. Dennoch ist die Futura – selbstverständlich – keine „Nazi-Schrift“. Da sie im Laufe der Jahrzehnte als Ausdrucksmittel immer wieder neu interpretiert wurde, haftet ihr der Nazi-Muff nicht mehr (so) an. Ebenso wenig ist “fette, schwarze Typo in Antiqua-Lettern + roter Unterstrich” ein ausschließlich mit dem Nationalsozialismus in Zusammenhang stehendes Stilmittel.
Die Zusammenhänge sind komplex. Eine vereinfachte Zuschreibung Nationalsozialismus = Gebrochenen Schriften (der Gattung schlichte Gotische) wird dem Thema nicht gerecht, wurde es noch nie. Ein differenzierter Blick lohnt, zumal sich die Neue Rechte heutzutage ganz anderer Kommunikationsmittel bedient. Mittel, und hierzu zählen auch Antiqua-Schriften, die die wahre Gesinnung verschleiern. Seit kurzem setzt die Identitäre Bewegung, wie ich gerade feststelle, auf Petrolblau als Hausfarbe. Nicht unähnlich in der Farbgebung wie die CDU/CSU-Fraktion, ließe sich ergänzen. Schwarz, Gelb wurden abgelegt.
Achim, ich glaube, dass sich Nachkriegsdeutschland aus der Scham geflüchtet hat indem man möglichst nicht mehr “deutsch” sein wollte. In Westdeutschland insbesondere, in der DDR verlief alles etwas anders (meine Lesart: die Faschisten seien die westdeutschen Bürger und das kapitalistische System, man hat in der DDR ganz unbefangen Patriotismus zelebriert und sogar preußische Militärrituale a la Fackelzüge am Völkerschlachtdenkmal Leipzig fortgeführt).
In Westdeutschland sagte man üblicherweise insbesondere unter Bildungsbürgern einfach “die Bundesrepublik” wenn man vom eigenen Land sprach. Schon Begriffe wie Heimat waren fast tabu, die Bundesrepublik als Wohnort. Alles möglichst nüchtern.
Man suchte wo immer möglich, wieder besonders unter Bildungsbürgern, sozusagen die Auswanderung aus Deutschland ohne Deutschland zu verlassen.
Jetzt will ich mich gar nicht mit deutscher Schuld in einem Designblog befassen, als Jahrgang 1986 habe ich da eigentlich auch gar nichts zu diskutieren, ich nehme alle Fakten so wie sie in Geschichtsbüchern stehen. Selbst meine Großeltern waren bei Kriegsende ja erst Kinder, mir fehlt altersbedingt die Familienbiographie der 68er mit “Nazis in der eigenen Familie” und all die damit sicherlich verbundenen mentalen Probleme und einem schwierigen Verhältnis zur eigenen Herkunft und heimischen Kultur.
Ich beobachte das eher etwas aus der Distanz als dazu eine eigene Meinung zu haben. Aber wenn diese Entwicklung so ist, dann ist es eben so, dass Fraktur nur im deutschsprachigen Raum benutzt wurde und damit gehört es für viele zu dem Land aus dem man kollektiv auswandern und von dem man nichts mehr wissen wollte. Mental nannten die 68er das ja in einer Reihe mit Butzenscheiben, Jägerzaun und röhrendem Hirsch (ich musste auch erst googlen was damit gemeint ist). Die Begriffe Mief und dumpf sind fast ausschließlich zur Benutzung in diesem Kontext reserviert worden, scheint mir. Ästhetisch wurde in Westdeutschland in den Nachkriegsjahrzehnten die Fraktur eben diesem ästhetischen Mikrokosmos zugezählt, ob verdient oder nicht spielt ja für Stereotype nie eine Rolle.
Während andere Druckschriften nie spezifisch deutsch waren und somit nicht entsprechend assoziiert sind.
Ich persönlich kann das nicht nachvollziehen. Insbesondere damit erst 2024 zu kommen, gerade dann wenn sie Jahrgänge, die sowas beschäftigt haben mag, einen schrumpfenden Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachen, von immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund, die bei all dem eh nur die Augenbrauen hochziehen, ganz abgesehen.
Aber wenn ich Auftragnehmer bin und zumindest feststellen muss, dass ein Teil der Zielgruppe eine glatte, simple Schrift nicht mit irgendwas anderem assoziieren wird, was nicht zum Thema Versicherungen gehört, dann ist es leider schon folgerichtig die Schrift entsprechend zu ändern. Marketing ist nicht das richtige Forum um solche Kontroversen zu führen, noch möchten Marken in solche Kontroversen hineingezogen werden.
Ich würde mich umgekehrt überhaupt nicht wundern wenn’s in 20 Jahren ein riesiges Revival der Fraktur gibt. Aber das ist ein anderes Thema.
Danke Eric,
„aus der Scham geflüchtet“ scheint mir in diesem Zusammenhang ein treffender Punkt. Ich wünsche mir weniger Scham. Weniger Schubladendenken. Stattdessen mehr bewusste Auseinandersetzung und einen aufgeklärten Umgang mit Typographie, Farben und mit anderen Gestaltungselementen, Zeichen und Symbolen. In der US-Subkultur ist das von Dir als möglich gesehene Revival seit Jahrzehnten im Gange.
Im Marketing und im Kommunikationsdesign können wir nicht jene in der Gesellschaft ohnehin geführten Kontroversen beiseite schieben. Wir leben nicht auf einer abgeschotteten Insel. Marketing/Werbung steht aufgrund der Medienwirksamkeit und Reichweite in besonderem Maße im Fokus, und die in dieser Branche arbeitenden Menschen in besonderer Weise in der Verantwortung. Wenn, wie etwa im Kontext Gender Design, Stereotype produziert werden, oder wenn widersprüchliche Aussagen getroffen werden (Menschlichkeit versus Künstliche Intelligenz), dann gehört dies thematisiert, debattiert und verhandelt. Ich sehe nicht, dass sich Auftragnehmer wie auch Auftraggeber aus ihrer Verantwortung flüchten können. Ich erwarte schon, dass diese Kontroversen unmittelbar in Marketing-Abteilungen von Unternehmen geführt werden, ebenso in Agenturen, und natürlich auch in einem Fachblog wie diesem.
Nur zum Spaß: Der Name BarmeniaGothaer ist ja doch auch etwas sperrig. Gleichzeitig ist es natürlich auch gut, dass alte und bewährte Namen nicht (gänzlich) aufgegeben werden. Kunstwörter kommen da gerne mal etwas “schwierig” (schwer verständlich) her. Ein Beispiel: Talanx. Ein anderes (andere Branche): Lanxess. — Könnten übrigens beide zum selben Konzern gehören… Auch Targo ist eines dieser Kunst-Konstrukte.
Was man beim Zusammenführen von — echten, bestehenden — Namen ja auch gerne macht, ist diese zusammen zu schmelzen. Ein klassisches, fast schon historisches, Beispiel ist die Bakerloo line der London Underground (ursprünglich: BAKER Street and WaterLOO Railway). Das gleiche Bedürfnis hatte ich auch bei der BarmeniaGothaer und bin meinerseits auf folgende Varianten gekommen:
Barthaer
Gomenia
Gothenia
Gothmenia
(Goth-Mania)
BarGo
BarGoth
BarmGoth
GotBar
GoBar
GoBa
Eine andere Alternative zum aktuellen Namen, der die Ortsbezeichnungen beibehält, wäre aber auch:
Barmen-Gothaer (so wie bei Straßennamen oder ähnlichem, z.B. die Berlin-Kölnische, die ja in der Gothaer aufgegangen ist).
Wie gesagt: nur zum Spaß.