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Auf Armlänge – wie Bilder die Aufregungskultur befeuern

Illustration „Auf Armlänge“, Quelle: Süddeutsche Zeitung
Illustration „Auf Armlänge“, Quelle: Süddeutsche Zeitung

Die Art und Weise, wie Menschen auf die Illustration reagiert haben, die am vergangenen Wochenende von der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, sagt viel darüber aus, wie wir heutzutage Nachrichten und Informationen konsumieren und wie wir darauf reagieren. Die Schwarzweiß-Grafik bediene klipp und klar eine Bildrethorik, wie sie Nationalsozialisten, Kolonialisten oder der Ku-Klux-Klan verwendeten, so ein Vorwurf. Die Geschichte hinter dem Bild ist allerdings eine andere, die Intention übrigens auch, was im Sog des Echtzeit-Nachrichtenstroms ebenfalls völlig unterzugehen scheint.

Ein schwarzer Arm, der zwischen die Schenkel einer weißen Frau greift. Für Viele ist klar, dass diese Illustration auf plumpe Art Rassismus schüre und zudem grundsätzlich sexistisch ist. In Folge der Ankündigung für die Wochenendausgabe der SZ (siehe eingebetteter Beitrag unten), entwickelte sich ein veritabler Shitstorm, der, wie so oft bei einem solchen Medienphänomen, auch deshalb entstehen konnte, weil Menschen auf Basis eines ersten Eindrucks bereits ein abschließendes Urteil fällen, um dieses sogleich mit der Netz-Community zu teilen. Wohl um die Wogen zu glätten, entschuldigte sich darauf hin der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung Wolfgang Krach für die Ablichtung der Illustration. Tatsächlich hätte er für ein paar Dinge um Entschuldigung bitten können, nicht jedoch für die Illustration als solche.

Süddeutsche Zeitung – auf Armlänge, Teaser, Quelle: Spiegel.de
Süddeutsche Zeitung – auf Armlänge, Teaser, Quelle: Spiegel.de

Wichtiger als das, was zu sehen ist, ist das, was fehlt, nämlich wichtige Satzzeichen. Hätte man das auf türkisfarbenen Hintergrund gesetzte Zitat des palästinensisch-israelischen Psychologen Ahmad Mansour als solches kenntlich gemacht, wäre der Text nicht als Titel missgedeutet worden. So aber wirkt der Text in Verbindung mit der Illustration wie eine Anschuldigung seitens der Redaktion. Die Größe der Illustration, die sich innerhalb der Teaser-Grafik über die halbe Titelseite erstreckt, verstärkt zudem diesen Eindruck. Tatsächlich nimmt die Illustration auf der Titelseite der Wochenendausgabe lediglich einen sehr kleinen Bereich ein (Abb. unten), ein Umstand, der im übrigen in der Berichterstattung durch andere Medien (SPIEGEL ONLINE, Handelsblatt, Horizont, u.a.) nahezu ausnahmslos verschwiegen wird. Lediglich im Tagesspiegel wird darauf hingewiesen. Für Facebook und Twitter-Kanäle nutzt die Süddeutsche eine spezielle Art der Grafikaufbereitung, bei der auf diese Weise der Fokus auf nur ein Thema gelegt wird. Ein Duktus, wie er auch bei anderen Themen Anwendung findet und der sich damit grundsätzlich von der Gestaltung der tatsächlichen Titelseite unterscheidet.

Titelseite Süddeutsche Zeitung, 9. Januar 2016
Titelseite Süddeutsche Zeitung, 9. Januar 2016

Wer die Artikel gelesen hat, auf die die Schwarzweiß-Illustration verweist, wird den Vorwurf, die SZ würde Fremdenfeindlichkeit schüren, revidieren müssen, denn ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass „Sexismus und männliche Machtfantasien sich länderübergreifend finden lassen“ und keineswegs ausschließlich die für die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht verantwortlichen Täter beschreibt. Ähnlich wie bei der SZ sahen auch die Macher des Nachrichtenmagazins Focus sich dieser Tage mit massiven Vorwürfe konfrontiert. Hierzu muss ich sagen: da ich mich bis dato nicht näher mit dieser Ausgabe beschäftigt habe und ich die Gestaltung des Covers zudem im Vergleich zu der hier thematisierten Illustration für deutlich weniger ausgefeilt halte, will ich es bei dieser Randnotiz belassen. Somit zurück zum Thema.

Das mit den digitalen Medien entstandene immense Informations- und Unterhaltungsangebot hat uns, die wir immer häufiger mehrere Bildschirme gleichzeitig nutzen, in einer Weise konditionieren lassen, die uns geradezu dazu zwingt, nur mit Ausschnitten und Versatzstücken zu arbeiten. Eine Überschrift und der dazugehörende Teaser müssen reichen. Für mehr reicht einfach die Zeit nicht. Weiter scrollen, Seite scannen, zum nächsten Anlaufpunkt springen. Jedes Bild wird dabei bevorzugt anvisiert, weil es uns in vielen Fällen das Lesen erspart. Ein Trugschluss und eine Gefahr. Eine von Microsoft durchgeführte Studie belegt, dass die Aufmerksamkeitsspanne von Menschen aufgrund zunehmender Nutzung digitaler Angebote mittlerweile geringer ist als die eines Goldfischs. Anstatt sich mit den Hintergründen zu beschäftigen, genügt oftmals ein kurzer Kommentar, um den eigenen ersten Eindruck bestätigt zu sehen. Die Möglichkeit, dass man auf Grundlage einer verkürzten Aussage womöglich die falschen Schlussfolgerungen zieht, wird beim Wetteifern um den kreativsten Tweet allzu oft übersehen.

Versuchen wir einmal, den Filter im Kopf auszuschalten. Lösen wir die Illustration von den Vorfällen in der Silvesternacht und lassen wir die Grafik für sich alleine wirken. Was übrig bleibt, ist ein Bild, das in seiner Schlichtheit eine ungemein starke Aussagekraft beinhaltet. Die schwarzweiße Farbgebung unterstreicht nicht nur die Wirkungsweise der Illustration, sie begründet sie. Farbpsychologisch sind mit Schwarz zahlreiche Deutungsebenen verknüpft. Schwarz steht für Tot, Unglück, Trauer und Dunkelheit gleichsam wie für Modernität, Sachlichkeit und Funktionalität. Wer diese Grundfarbe ausschließlich als sinnbildlich für Menschen mit dunkler Hautfarbe begreift, merkt nicht, wie sehr in diesem Moment die eigene Wahrnehmung getrübt ist. Das vielleicht größte Defizit des Menschen beschreibt Jochen Mai in seinem Beitrag über selektive Wahrnehmung sehr anschaulich.

Plakatmotiv „Gegen Missbrauch“ (2007)

Plakat Against Abuse Inc. , Quelle: adsoftheworld.com
Plakat Against Abuse Inc. , Quelle: adsoftheworld.com

Zu der Geschichte dieser Illustration gehört, dass diese bereits vor neun Jahren in einem gänzlich anderen Kontext Anwendung fand. Das oben dargestellte Plakatmotiv entstand im Auftrag des Vereins „Gegen Missbrauch e.V.“ unter Beteiligung der Agentur Grabarz & Partner (Hamburg). Auf höchst eindrucksvolle Weise macht das Motiv auf den Missbrauch von Kindern in Deutschland aufmerksam. Eine Konnotierung im Sinne „Schwarz = dunkle Hautfarbe“ besteht nicht, insbesondere deshalb nicht, weil Schwarz insgesamt als Farbe wirkt und nicht nur auf die Fläche des Armes begrenzt ist. Im Stile einer sogenannten Kippfigur sind gleichsam ein Arm wie auch zwei Beine zu erkennen, je nachdem, welchen Bildausschnitt das Auge gerade erfasst. Der Entwurf stammt von Julia H., die als gelernte Kommunikationsdesignerin mittlerweile eine Kite-Schule leitet. Auf die aktuelle Debatte rund um die Illustration angesprochen, bestätigte sie mir gegenüber zwar die Urheberschaft für die Illustration, weitere Fragen wollte sie mir jedoch nicht beantworten, was ich sehr bedaure. Julia schuf seinerzeit eine brillante visuelle Ausdrucksform, um das Thema Kindesmissbrauch zu verdeutlichen.

Wer genau hinschaut, erkennt einige Unterschiede zwischen dem von Julia geschaffenen Entwurf und der von der SZ verwendeten Grafik. Während die Physiognomie in der von Julia gezeichneten Gestalt an die eines Mädchens erinnert, entspricht sie in der SZ-Grafik der einer Frau. So wurde beispielsweise auch die Fußstellung modifiziert. Offenbar wurde die Illustration durch die SZ-Redaktion nachgezeichnet und in einer Weise verändert, sodass diese besser zum Thema Übergriffe in der Silvesternacht passt. David Pfeifer, leitender Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, der unter anderem für die Bildauswahl verantwortlich ist, versicherte mir gegenüber im Gespräch, dass er dem Ursprung der Grafik nachgehen werde. Sollte die SZ Urheberrechte verletzt haben, werde man dies korrigieren, auch im Dialog mit der Gestalterin, versicherte Pfeifer. Nach wie vor ist er von der Qualität der Illustration überzeugt. Auch die Online-Redaktion der SZ scheint von der Qualität überzeugt, denn immernoch kommt die Originalillustration in der Onlineausgabe des Interviews mit Ahmad Mansour zum Einsatz, ohne dass die Urheberschaft entsprechende kenntlich gemacht würde.

Während die gestalterische Qualität des ursprünglichen Entwurfs tatsächlich gegeben ist, lässt die Modifizierung und noch viel mehr die Aufbereitung durch die SZ-Redaktion sehr zu wünschen übrig. Bereits der gewählte Ausschnitt für die Grafik, der in dieser Einengung im Gegensatz zum Plakatmotiv in der Tat das Bild eines schwarzen Armes befördert, beeinflusst das, was Leser wahrnehmen. Immerhin konnte die Redaktion der Versuchung widerstehen – Stand heute –, alle entsprechenden Beiträge und Grafiken einfach zu löschen, was die Kritik nur noch verstärkt hätte. Zweifelsfrei wurde die journalistische Sorgfaltspflicht in diesem Fall gleich mehrfach vernachlässigt.

Wer Nachrichten produziert, weiß, dass in diesem schnelllebigen Geschäft schon einmal Satzzeichen auf der Strecke bleiben können. Derlei Fehler passieren tagtäglich und in jeder Redaktion. Das sollte man nicht über Gebühr bewerten. Dass viele andere Redaktionen die SZ-Teaser-Grafik unkommentiert als Titelseite darstellen, gehört ebenfalls hinterfragt und korrigiert. Erst dadurch wurde bei Vielen, die die SZ nicht kennen, der Eindruck erweckt, die Illustration würde die halbe Titelseite einnehmen. Einen entscheidenden Fehler begeht allerdings auch, und das beschreibt ein grundsätzliches Dilemma im Zusammenhang mit der Echtzeitkommunikation, wer auf Basis eines Ausschnitts bereits ein abschließendes Urteil fällt. Der ausschließliche Konsum von Teaser-Häppchen führt nämlich mittel- bis langfristig zur Informations-Unterversorgung.

Dieser Beitrag hat 26 Kommentare

  1. ausschnitt oder nicht, anführungszeichen oder nicht, großes bild, kleines bild, dass alles spielt bei der SZ version der grafik ja nun aber leider überhaupt gar keine rolle! das wort “muslime” und schwarzer arm, zack ist die referenz klar. sowieso erschien die zeitung ja bereits im kontext der lauten medialen prolematisierung von sexuell übergriffigen sogenannten “nordafrikanern”. natürlich bestimmt der kontext das bild, was soll die drumherumargumentiererei. die grafiker haben entweder einfach blind nicht verstanden, welche assoziationskette ihr bild zwangsläufig aufmacht, oder aber, und das ist warscheinlicher, sie genauso setzen wollen, wie sie aber nun auch wirklich jedeR im endeffekt rezipiert hat. der fehler liegt also ganz klar an der grafik selber, und nicht etwa an der verrückten fantasie politisch korrekter spinner. abgesehen davon haben weisse illustratorInnen im bezug auf metha ebenen rassistischer grafiken und farbcodes durchaus grundsätzlich noch was nachzuholen. das beweist dieser artikel in dem absatz “Schwarz steht für Tot, Unglück, Trauer und Dunkelheit”. klar. kommt nur drauf an für wen. diese christliche deutungsebene von “Schwarz” war zu kolonialzeiten dem Rassismus zumindest immer ganz dienlich. es wäre gut, wenn alle bereit wären, unseren horizont zu erweitern, anstatt immer wieder zu verdrängen, wie Eurozentristisch betriebsblind oft noch gedacht wird. gerade im design spielt doch der perspektivwechsel sonst so eine grosse rolle, dachte ich?

    1. Absätze oder nicht, deutsche Grammatik oder nicht .. nach ca. 2 Zeilen bekomme ich Kopfweh.

      Danke auch. Diskriminierung von Sehbeeinträchtigten.

      cu, w0lf.

  2. Ich kann Kirillov nur zustimmen. Ein sehr interessanter Artikel zu diesem Thema, der u.a erläutert, dass nur Weiße es sich leisten können, die Unterscheidung der Menschen nach Hautfarben zu ignorieren, findet sich hier: Weißsein als Privileg

  3. @Kirillov @Ivan
    Der in der Grafik angewandte Schwarzweiß-Kontrast beschreibt ein universelles Prinzip, das in nahezu jeder Religion und Kultur auf gleiche Weise interpretiert wird, nämlich als Gegensatz zwischen Licht und Finsternis sowie Leben und Tod. Das ist auch im Islam so. Beide Farben, Schwarz wie Weiß, verfügen, in Abhängigkeit des jeweiligen Kulturkreises, über unterschiedliche Konnotationen. Während im westlichen Kulturkreis Schwarz die Farbe für Trauer ist, ist es etwa in Japan Weiß. In der chinesischen Philosophie findet dieses, auf elementaren Polen basierende Prinzip beispielsweise im Yin und Yang Anwendung, bei dem Weiß den harten, aktiven, männlichen Pol beschreibt und Schwarz das weiche, ruhige, weibliche Wesen verkörpert. Eine Sichtweise, die im hiesigen Kulturraum überrascht, würde man hier doch eine entgegengesetzte Zuordnung vornehmen.

    Schwarz ist über die Kulturen hinweg eine ambivalente Farbe, von der zwar einerseits, und zwar überwiegend, etwas Bedrohliches, Böses ausgeht, die jedoch ebenso viele positive Eigenschaften auf sich vereint (edel, festlich, würdevoll, etc.).

    Der entscheidende Punkt ist: Schwarz wie auch Weiß lassen sich nicht allein auf Merkmale die Hautfarbe betreffend reduzieren, im übrigen ebenso wenig wie Rot und Gelb. Tut man es doch, zeigt dies nur, wie eingeengt die eigene Wahrnehmung ist. Da wäre es in der Tat sinnvoll, den Horizont zu erweitern.

    1. Es geht nicht darum, die Farben Schwarz und Weiß auf die Darstellung von Hautfarben zu reduzieren, sondern darum, dass der Kontext der Veröffentlichung diese Deutung nahelegt. In der ursprünglichen Anwendung der Grafik beim Thema Kindesmissbrauch ist diese Lesart völlig abwegig und daher auch kein Problem, hier ist die Situation jedoch eine andere. Dies einfach zu ignorieren führt nicht weiter, es ist eher Ausdruck der im oben verlinkten Artikel geschilderten “Farbenblindheit”, die natürlich ein erstrebenswertes Ziel wäre, jedoch – wie die Reaktionen auf die Grafik zeigen – weit davon entfernt ist, Wirklichkeit zu werden. Als weißer Mensch, der das Glück hat, in unserer Gesellschaft die Norm zu setzen, muss man sich manchmal darauf stoßen und sich aktiv fragen, was eine Grafik oder Ausdrucksweise für Deutungen zulässt, die nicht intendiert waren. Dies von einer Zeitung wie der SZ einzufordern, halte ich für absolut berechtigt.

      1. Nur, Ivan,
        sind denn diese Muslime/Asylantragssteller von Köln, die dieses sexuelle Harrassment veranstalteten, denn so richtig “schwarze” Menschen?

        Doch eher nicht!

        Selbst wenn sie mehrheitlich aus dem Maghreb kämen oder kommen (Nordafrika), sind sie eher hell: Link

        Das Schwarz-Argument hier, das die Rasse Hautfarbe meint und den Rassimsus-Vorwurf untermauert, greift hier nicht ganz.
        Oder siehst du das anders?

        1. Muslime? Wie kommst du darauf?
          Und meinst du es gibt eine schwarze Rasse?
          Und legst du dann fest, wer schwarz genug ist um sich diskriminiert fühlen zu dürfen?

  4. Die SZ-Grafiker hätten das Bild ja invertieren können. Nur mal so als Möglichkeit. Wäre die Aussage die gleiche, nur eben mit einem weißen Arm? Wie dann wohl die Reaktionen ausgesehen hätten? Das Experiment legt meiner Ansicht nach schon nahe, dass die Hautfarbe bzw. die Interpretation des Schwarz/Weiß als selbige, konnotativ durchaus eine Rolle spielen kann. Will sagen: man kann durchaus beide Sichtweisen gut verargumentieren.

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