Heute ist Wahltag. Die Live-Ticker laufen heiß. Die US-Bürger wählen zum 57. Mal den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Barack Obama und Mitt Romney treten zur Wahl an, was sich dank ausführlichster Berichterstattung bis in die letzte Ecke unseres Planeten herumgesprochen haben dürfte. Dass auch Designer in Bezug auf ihre politische Haltung eindeutig „Farbe bekennen“, ist hingegen weniger bekannt.
Chris und Julia Thomas, die in New York die Agentur Hieronymus führen, haben zum zweiten Mal nach 2008 die Plattform 30 reasons aufgelegt, um auf diese Weise den von ihnen favorisierten Obama zu unterstützen. Sie sind der Meinung, Designer stünden in der Pflicht, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen und, so ist das Projekt einzustufen, sich auch politisch zu engagieren. Sie haben 30 talentierte Künstler und Designer gebeten, ihren Grund zu visualisieren, Obama wieder zu wählen.
„Don’t trash progress“, die oben dargestellte Arbeit von Dan Blackman, erscheint mir persönlich von allen eingereichten Motiven am prägnantesten, vor allem aufgrund des griffigen Slogans.
Schön! Zumindest das eine Motiv, dass hier ausgewählt wurde, gefällt mir sehr gut.
Darüber hinaus stimme ich der grundsätzlichen Idee, als Designer seine Fähigkeiten auch in politischen Angelegenheiten als Instrument zu nutzen, um andere aufzuklären und/oder von der eigenen Meinung (vor allem wenn diese – wie in diesem Fall – die richtige ist) zu überzeugen, durchaus zu. Im Endeffekt ist eine solche Arbeit meiner Meinung nach in keiner Weise anders anzusehen als beispielsweise eine Diskussion über die Thematik.
@Achim: lese ich richtig zwischen den Zeilen, dass du etwas anderer Meinung bist?
Gruß
Mechen
edit: Ist diese Flagge nicht spiegelverkehrt? Das irritiert mich gerade stark. Beim zweiten Betrachten verfehlt diese Arbeit dann wohl eher ihr Ziel…
Kommt drauf an von wo man guckt. Die USA spiegeln ihre Flagge doch immer, je nachdem auf welcher Seite man steht. Die Sterne sollen halt immer am Mast sein oder so. Deshalb haben Soldaten auf dem einen Arm die Flagge andersrum als auf dem anderen.
Okay, danke für die Aufklärung, das war mir nicht bekannt. Dann wirkt sich das natürlich nicht auf die Glaubwürdigkeit der Arbeit aus.
Mechen, die indirekte Rede („…Designer stünden in der Pflicht, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen…“) ist zunächst einmal die neutrale Wiedergabe der Aussage seitens der Projektverantwortlichen, so wie sie auf 30reasons.org nachzulesen ist. Eine „Pflicht“, sich politisch oder auf anderem Wege für mehr soziale Gerechtigkeit zu engagieren, kann es nicht geben. Mich stört ein wenig der Begriff „duty“. Wenn der Aufruf als Appell gedacht ist, der auf die Moral jedes Einzelnen abzielt, insbesondere auch an die gesellschaftliche Verantwortung appelliert, die wir Designer haben, dann ist dieser Aufruf sehr wohl unterstützenswert. Ich bin mir allerdings uneins, ob man diesen Aufruf mit einer Wahlempfehlung verquicken sollte. Deshalb die betont neutrale Schreibe.
Design stiftet Identität und Vertrauen, die unmittelbar Handlungen von Menschen auslösen. Vor diesem Hintergrund ist der aufrechte Gang eines jeden Gestalters sicherlich nicht von Nachteil.
1000 Gründe Romney zu wählen: Obama
@Mechen: Ist man inzwischen schon ein Geächteter, wenn man kein Obamafan ist?
[…] die Kollegen des Designtagebuchs bin ich auf eine schöne Aktion der New Yorker Grafik-Agentur Hieronymus gestoßen. Schon zur […]
@Achim: Danke, wollte nur deine Meinung dazu hören. “Duty” geht hier wohl wirklich etwas weit, da muss ich dir recht geben. Entschuldige, dass ich mich nicht vorher intensiver über die Ansichten der Projektverantwortlichen informiert habe, hätte ich mal besser gelesen ;-)
Allerdings finde ich, dass ein Wahlaufruf nur die logische Konsequenz einer Auffassung des Aufrufs in der von dir beschriebenen Weise ist. Denn wenn die Moral des einzelnen in der individuellen gesellschaftlichen Verantwortung resultiert, eine Bestimmte politische Richtung zu unterstützen, dann soll dies doch auch genau so geschehen, oder nicht?
@Flötenschlumpf: Nein, ist man natürlich nicht, ich weiß aber auch nicht wie du auf die Idee kommst ich sei dieser Meinung. Ich wollte lediglich meine Ansicht des ganzen schildern.
Und obwohl ich weiß, dass das hier nicht wirklich hingehört, möchte ich trotzdem einen Link hinterlassen: ein weiterer Grund, Obama zu wählen, vielleicht lässt sich so auch Flötenschlumpf überzeugen ;-)
https://www.youtube.com/watch?v=EDxOSjgl5Z4
@Mechen: Na wenn er in Wirklichkeit weiß ist, dann bin ich für ihn. War ja nur gegen ihn, weil ich dachte, dass er ein Schwarzer ist. So sind wir Rassisten nun mal. :-)
@Flötenschlumpf: So war das natürlich auch nicht gemeint. Aber naja, ist ja nochmal alles gut gelaufen. They did not trash progress.
Sehr interessant ist auch das responsive design der Seite. Das ist sehr gut gemacht und gut gelungen. Einfach mal Browserfenster langsam vergrößern und verkleinern.
Beim Betrachten der Plakate und beim Lesen der Kommentare wird mir einmal mehr bewusst, dass viele »Kreative« stärker als andere Menschen den Drang verspüren, sich dezidiert politisch zu betätigen; der Welt ihre Haltung zu zeigen; die Welt zur Umkehr zu rufen. Jedesmal, wenn ich Zeuge solcher »Demonstrationen« werde, so auch jetzt, stellt sich mir die Frage: warum?
Verstehen Fabrikarbeiter Fabrikarbeiter und Arbeitslose, Zahnärzte, Handwerker, Bäcker. Bauern, Studenten und Taxifahrer weniger von sozialer Gerechtigkeit, Klimawandel, Wirtschaftswachstum, Armut und AIDS als Schauspieler, Musiker, Graphiker, Schriftsteller, Maler und Designer? Vermutlich nicht. Dennoch schweigen jene, während diese ihre Haltung von der Bühne und von Plakaten, in Interviews, Spendenaufrufen und auf der Straße verkünden.
Ein Gedanke liegt nahe: Sie, die »Kreativen« wissen genau so viel wie alle anderen, haben vielleicht ähnliche Ansichenten, im Gegensatz zu anderen aber ein »Sprachrohr«, können artikulieren, was sie denken.
Dabei ist oft das Gegenteil richtig – so paradox es erscheinen mag. Man sieht es z.B. an den 30 Plakaten: am besten artikuliert, am wirksamsten sind gerade die Plakate, die den Anschein von Auftragswerken vermitteln – die, die eine Distanz zu ihrem Gegenstand einnehmen (sei sie auch klein). Eines dieser in meinen Augen stärkeren Plakate ist das hier gezeigte. Sie sind gelassen, sogar ein wenig ironisch – nicht lustig! aber auch nicht moralisierend oder agitatorisch.
Dagegen wird bei den schwächeren Plakaten der Künstler selbst sichtbar. Man weiß sofort, dass er meint, was er schreibt; man spürt das verzweifelte Bedürfnis, der Welt etwas mitzuteilen. Darunter leidet offenbar die Professionalität. »Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt«.
Ein anderes Beispiel für dieses Phänomen sind die jüngsten Äußerungen von Günther Grass zur weltpolitischen Lage: ein Mann, gerühmt vom Nobelpreiskomitee für seine Beherrschung der Sprache, scheitert, als er der Welt seine eigene Meinung mitteilen will. Er schreibt etwas, dass äußerlich an ein Gedicht erinnert sich aber als Gestammel erweist, rhetorisch erbärmliches Gestammel,
Haben »Kreative« ein größeres Sendungsbewusstsein als andere Berufsgruppen – eine Neigung zur Selbstüberschätzung oder geringer ausgeprägte Selbstzweifel? Was treibt Schauspieler dazu, über Tierschutz zu reden, obwohl Tierärzte, Biologen und Bauern auf diesem Gebiet offensichtlich kompetenter sind?
@ Christoph,
ja was treibt Schauspieler dazu, über Tierschutz zu reden und was Designer dazu, sich über Obama zu äußern. Obwohl Tierärzte oder Journalisten/Politiker kompetenter seien. (Sind sie das? Ich denke nicht).
Histrionik, sicher ein gewisses Sendungsbewusstsein, Selbstdarstellungswut, Ego, Missionierungsbedürfnis, aber auch ein echtes Interesse an der Gesellschaft als Ganzes. Manchmal deutlich so oder so, manchmal nicht leicht trennbar. Manchmal ganz sicher reine Persönlichkeits-PR. Wenn es nicht mehr so ganz gut läuft, wenden sich z. B. Schauspieler gerne solchen Themen zu, um im Gespräch zu bleiben siehe Bardot oder Berben. Ist mir aber immer noch lieber, als wenn Schauspieler oder Promi-Fußballer ihre Ehezerwürfnisse über die BILD veröffentlichen…
Ich persönlich glaube übrigens nicht, dass Tierärzte “kompetenter” über Tierschutz reden würden. Für so etwas sind sie mir zu sehr eingebunden in Regelsysteme, die ihnen ihr Aus- und Einkommen sichern: Tierärzte begutachten Fleisch für die Schlachthöfe, verschreiben Antibiotika für die Großtierhaltungen… Da wird man beispielsweise wenig von ihnen hören über die Leiden der Tiere in Langzeit-Transporten. Haben Sie?