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Relaunch der New York Times

New York Times Relaunch

Die New York Times hat seit gestern einen neuen Webauftritt. Erste Eindrücke der neuen Umgebung wurden bereits im März vergangen Jahres präsentiert (dt berichtete). Nicht nur aus publizistischer Sicht gilt die NY Times als eine der führenden und einflussreichsten Nachrichtenmarken weltweit. Mit der Umstellung auf das neue Interface könnte sie auch webtechnologisch Benchmarks setzen. Grund genug, sich das neue Design einmal genauer anzuschauen.

Relaunch? Ja, ein großer!

Zunächst suggeriert die neue Startseite, als habe sich im Vergleich zur Vorversion kaum etwas geändert. Ein Trugschluss, wie sich nach ein paar Klicks herausstellen wird. In der Vergangenheit galt nytimes.com als ein wahres Spaltenmonster – fünf von ihnen fanden sich bislang auf der Startseite (siehe Abb. unten). Auf der neuen Homepage wurde die linke Navigationsspalte zugunsten einer besseren Übersicht geopfert. An der grundsätzlichen Optik ändert sich jedoch wenig. Anders etwa als zuletzt bei USA Today, das im Zuge eines Relaunchs/Redesign gleichzeitig einen völlig neuen Markenauftritt bekam, bleibt dieser bei der New York Times unangetastet.

New York Times Redesign

Das neue Interface

Die Ressort-Navigation findet sich ab sofort im Header, wo sie horizontal unterhalb der weiterhin zentral ausgerichteten NYT-Wortmarke positioniert ist. Alle Ressorts werden in einem Menü unter dem Begriff „Sections“ ganz links oben gebündelt, sowohl in der Desktop-Umgebung, wie auch auf mobilen Endgeräten. Diese Konsistenz erleichtert das Zurechtfinden unabhängig vom jeweiligen Endgerät.

Auf Blau als führende Farbe für Link-Auszeichnungen wurde weitestgehend verzichtet, was nicht nur Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen, etwa einer Rot-Grün-Sehschwäche, beklagen werden, denn die blau hervorgehobenen, verlinkten Überschriften verliehen der Seite Struktur. Nun sind die meisten Links in der gleichen Farbe wie nicht-verlinkter Text dargestellt, tatsächlich mittels Hexadezimal-Farbcode #000000 also in Schwarz und nicht, wie der besseren Lesbarkeit wegen allgemein bekannt, in einem dunklen Grauton. Die Farbgebung im Webauftritt wurde mit der der NYT-App harmonisiert.

Anstelle der guten alten Systemschrift Georgia kommt nun die NYT Cheltenham als Webfont zum Einsatz. Mehr als 10 Jahre hat es gedauert, eh die Hausschrift der New York Times nun auch im Webauftritt das Gesicht der Nachrichtenmarke prägt. Eine unfassbar lange Zeit, die verdeutlicht, dass auch große Marken mitunter mit Babyschritten unterwegs sind, wenn es darum geht, ein konsistentes Erscheinungsbild zu erreichen. Kombiniert wird die Cheltenham mit der NYT Franklin, die zum Beispiel innerhalb der Hauptnavigation und der Kommentarfunktion greift. Auch die FF Enzo wird verwendet, etwa im eigens sehr ansprechend aufbereiteten Special zum Redesign. Eine Typographie, die in dieser Kombination einzigartig sein dürfte. Chapeau.

nytimes.com Kommentare

Vorreiter eines neuen Typus

Ältere Artikel und auch die Suche werden noch im alten System vorgehalten, womit klar ist, dass die Umstellung noch lange nicht abgeschlossen ist. Und dennoch: Ein Relaunch, der schon jetzt begeistert, als Leser und als Webmacher. Geradezu spektakulär gut gelöst ist die Einbindung der Kommentare (siehe Abb. oben). Diese erscheinen innerhalb eines iFrames rechts vom Artikel.

Artikelseiten wiederum unterscheiden sich diametral von allen anderen Nachrichtenangeboten. Während diese üblicherweise auch auf Artikelseiten dazu neigen, das gesamte Spektrum des Portalangebotes vorzuhalten, in der Hoffnung, Leser könnten sich ausgerechnet an dieser Stelle dafür begeistern, wo sie doch damit beschäftigt sind, sich auf ein bestimmtes Thema einzulassen, gibt die neue NYT Artikeln den ihnen gebührenden Raum. Der Inhalt wird dadurch ungemein aufgewertet. Ein Werbebanner, etwa das Medium Rectangle im Format 300×250 Pixel, entfaltet in solch einem Umfeld einen umso stärkeren Klickreiz. Finanziell scheint diese Rechnung aufzugehen und auch die Leser werden es zu schätzen wissen, wenn Sie beim Lesen eines Artikels nicht von marginalen Informationshäppchen in gleichnamiger rechter Spalte abgelenkt werden. Fokussierung statt Fülle – ein Schlüssel zum Erfolg, übrigens jedweden Webangebotes.

Weiter unten befindlicher Inhalt erscheint erst mit Scrollen per Lazy Loading. Das sorgt für eine optimale Performance, denn so werden Komponenten erst geladen, wenn sie auch wirklich im Blickfeld des Besuchers sind. Das Springen zwischen den Artikeln ist auf dem Desktop mittels Rechts- und Links-Pfeilen möglich, auf Tablets und Smartphones geschieht dies mittels Wischen. Im Grunde müsste man für derlei Anwendungen einen neuen Terminus verwenden, weil sie einen neuen Typus darstellen, „Wepp“ zum Beispiel. Klassischer Webauftritt und Tablet-App verschmelzen zu einer Einheit. Content kann an nur einer Stelle vorgehalten werden, um ihn dort zentral zu pflegen. Eine Entwicklung, die seit vielen Monaten stattfindet und die das Web, so hoffe ich, noch viele innovative und spannende Interface-Konzepte bescheren wird.

Signalwirkung

Die New York Times wird gemein hin als Vorzeigebeispiel und auch als Rettungsanker in Sachen Monetarisierung betrachtet. Die schon mehrmals totgesagte Paid-Content-Strategie – bei nytimes.com funktioniert sie überaus erfolgreich. Ende letzten Jahres hatte die NYT über 720.000 digitale Abonnenten. Es wäre zu wünschen, dass nytimes.com auch im Webdesign eine solche Signalwirkung entfacht. Eine der Voraussetzung hierfür wäre, die Frage der Vermarktung zu überdenken.

Schaut man sich hierzulande die seit vielen Jahren oftmals nahezu unveränderten Nachrichtenportale an, die immer nach einem ähnlichen Muster aufgebaut sind und an einem veralteten, weil vorrangig in Deutschland vorkommenden Bannerformat festhalten, dem Wallpaper, muss man attestieren, dass von wenigen Ausnahmen abgesehen hiesige Medien- und Verlagshäuser den jeweiligen Webauftritt ihrer Nachrichtenmarken, der ja den Kern der digitalen Markenwelt darstellt, vernachlässigen. Webauftritte, die aufgrund der Verwendung von Wallpapern über eine feste Breite von 800 oder 900 Pixeln verfügen – das kann es heutzutage einfach nicht mehr sein!

Schlusslicht: Dass die deutsche Kanzlerin als Testimonial für ein Fotoportal fungiert, habe ich auch erst im Zuge der Sichtung des neuen NYT-Webauftritts entdeckt. In jederlei Hinsicht war die Sichtung der neuen NYT ein kurzweiliges Erlebnis.

Mediengalerie

Weiterführende Links:

Dieser Beitrag hat 10 Kommentare

  1. Ältere Artikel […] werden noch im alten System vorgehalten, womit klar ist, dass die Umstellung noch lange nicht abgeschlossen ist.

    Alte Artikel werden voraussichtlich auch nicht auf das neue Design portiert werden. Aufgrund des hohen Traffics der Seite werden alle Artikel der NYT als statische Seiten aus dem Redaktionssystem heraus erzeugt. Das macht es auch schwierig für die Entwickler, an der Plattform “ad hoc” Änderungen vorzunehmen, da ein riesiges Artikelarchiv als “Rattenschwanz” hinten dran hängt. So werden immer nur aktuelle Beiträge überarbeitet, Archivmaterial bleibt in dem Zustand, wie es erstellt wurde.

  2. Täusche ich mich, oder ist der Webauftritt nach dem Relaunch nicht einmal responsiv? Weiß hier jemand, ob es nachvollziehbare Gründe gibt, bei einem Relaunch auf Responsivität zu verzichten? Es gibt natürlich Apps – ich finde jedoch, dass es immer wieder Situationen gibt, in denen Benutzer nicht auf Apps zurückgreifen und Webseiten mittels des Smartphone-Browsers aufrufen.

    Immer wieder kann man beobachten, dass große Unternehmen oder Institutionen (bewusst?) auf Responsivität verzichten. Klar sind die Kosten erhöt, aber doch nicht drastisch, sofern die Vorgabe zu Beginn der Entwicklung klar ist.

    Oder hängt es in diesem speziellen Fall mit der dahinter stehenden Technik bzw. dem Redaktionssystem / CMS zusammen?

  3. Mir gefällt der neue Webauftritt der nytimes auch sehr gut. Allerdings bin ich ein wenig überrascht von der neuen Artikelansicht, welche sich dann doch deutlich vom restlichen Design der Seite unterscheidet. Wählt man von der Artikelansicht eine Section aus, erscheinen die Artikel in einem 3 Spalten-Layout. Somit unterscheidet die nytimes zwischen Hauptseite (4 Spalten), Section-Seite (3 Spalten) und Artikel. Sieht alles gut aus, ist aber nicht wirklich intuitiv…

    Die Kommentare sind übrigens technisch gesehen nicht in einem iFrame sondern ein DIV-Layer der eingeblendet wird ;-)

  4. Gefällt mir gar nicht. Man kann reininterpretieren was man will, intuitiv ist es nicht, besonders hübsch auch nicht. Die Seite ist nach wie vor vollkommen farb und emotionslos. Selbst der Spiegel macht mehr Spaß als die NYT. Aber die hat eben den großen Namen eines internationalen Blattes und damit verblendet es einige Personen. Manche finden ja alles was neu ist ohnehin gut, auch wenn es nicht besser sondern nur anders ist. Für mich nach wie vor keine gute Seite, die würde hier in DE nicht erfolgreich sein oder in einem Land das nicht durch siene internationale Ausrichtung weltweit gelesen wird. Was die alten Inhalte angeht, so kriegen das andere ebenfalls sehr trafficlastige Seiten auch hin, hier wird einfach aus Bequemlichkeit gespart.

  5. @Arne: Danke! Dann also über eine extra Adresse. Bei meinem Windows Phone funktionierte das nicht. Aber das bin ich bei dem Betriebssystem ja auch schon gewohnt. Da ich heute der Fragensteller bin, gleich noch eine hinterher: Gibt es Argumente pro bzw. contra die Methode, mobile Endgeräte über eine extra Webadresse zu schicken (m.besipiel.de / mobile.beispiel.de / etc. ) ?

  6. Ich komme zu einem zwiespältigen ersten Fazit.

    Gut gelöst:
    Content im Mittelpunkt, der ganze Portal-Kram ist endlich weg. Die Kommentare an der Seite und ausblendbar sind schön. Dass ein Feature wie “Story Scrolling” (= ein Artikel wird nicht in einer 324-teiligen Klickstrecke “aufbereitet”, sondern komplett auf einer Seite dargestellt) als tolles neues Feature präsentiert wird, ist eigentlich eine Frechheit, als User erwarte ich das als Selbstverständlichkeit.

    Schlecht:
    Irgendwie habe ich mit dem Desktop permanent den Eindruk, mit dem falschen Gerät auf die Seite zuzugreifen, das Design fühlt sich viel zu sehr nach Tablet-Optimierung an. Wahrscheinlich würde das schon durch eine minimalistische Navigationsleiste links (so wie bisher) im Wesentlichen zu lösen sein. In Sachen Navigation war die konventionelle Lösung mit der Maus besser. Verschlimmert wird das dadurch, dass die Ressorts in keinster Weise kennzeichlich gemacht sind, sondern, genauso wie Überschrift und Text, schwarz dargestellt sind. Hier bleiben für mich Guardian und El País die Benchmarks.

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