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Rebrand und Relaunch von Wirtualna Polska, dem größten Nachrichtenportal Polens

Ein, wie ich finde, lohnenswerter Blick auf die Medienwelt bei unseren Nachbarn, die vor dem Hintergrund aktueller Geschehnisse (Weltkriegsgedenken, Ukraine-Krieg, Russland-Sanktionen) besonders aufmerksam die Nachrichtenlage verfolgen. Wirtualna Polska, das größte Nachrichtenportal Polens, hat sich ein neues Branding und eine neue Website zugelegt. Gleich mehrere Trends sind bei diesem Wechsel ablesbar.

1995 wurde das Nachrichtenportal von Wirtualna Polska ins Netz gestellt, damit gilt es als das erste seiner Art in Polen. Alexa führt das Portal WP.pl in der Landesrangliste auf Platz 7, noch vor Wikipedia. In Bezug auf die Bedeutung ist WP.pl also in etwa mit Bild.de oder Spiegel.de hierzulande vergleichbar – mit erstgenanntem Nachrichtenportal verbindet es die Ausrichtung auf boulevardeske Themen.

Responsivität ist es nicht, was den Relaunch von WP.pl auszeichnet. Auch nach dem Relaunch kommt der Webauftritt ohne Responsive Design aus. Stattdessen setzt Wirtualna Polska auf eine gesonderte Mobile Website, in diesem Fall mit der niedlichen Bezeichnung „Mini“ (siehe Screenshot).

Anstatt in diesem Artikel auf den neuen Markenauftritt im Detail einzugehen, will ich einmal einige Trends benennen, die das Rebranding und der Relaunch bei Wirtualna Polska exemplarisch abbilden.

Wirtualna Polska Logo

Fünf Trends, technischer, gestalterischer wie journalistischer Art, auf die (auch) Wirtualna Polska setzt und die sich ablesen lassen:

Vereinfachte Formensprache

Das Logo der Nachrichtenmarke wird einfacher. Statt eines verspielten Ansatzes mit eigenwilliger „@-Sonne“ bilden nun die zu einer Einheit verschmolzenen Buchstaben „WP“ alleine das Erkennungszeichen. Eine gewisse Ähnlichkeit hat das rote „WP-Band“ mit dem CNN-Logo. Vereinfachung der Formgebung, zuweilen bis über die Grenze zur Beliebigkeit hinaus, ist nach wie vor ein maßgeblicher Trend in der Gestaltung.

Variabilität / Flexibilität innerhalb des Corporate Designs

Moderne visuelle Identitäten zeichnen sich durch ihr hohes Maß an Variabilität aus. Markenauftritte von AOL, A1 oder beispielsweise Melbourne sind keine statischen, in Beton gegossenen Gestaltungskonzepte, sondern offene Lösungen, die sich fast beliebig erweitern lassen. Ob eine Nachrichtenmarke allerdings gleich dazu übergehen muss, sich in Google-Manier Logo-Doodles zuzulegen, darf und sollte man natürlich hinterfragen. Denn Logos, die, wie in diesem Fall, sich als Vektorform zu einer Illustration verwandeln lassen, die mit Farbverläufen versehen und mit Fotografien kombiniert werden, sehen schnell albern aus. Variabilität und Erkennbarkeit ist stets eine Gratwanderung. Der Wunsch, es möglichst allen Recht machen zu wollen – denn das ist es, was derlei verspielte Konzepte zwischen den Zeilen kommunizieren –, sollte nicht Triebfeder hinter einer Kreation sein, wie ich finde.

Mehr Bilder, weniger Text

Wer um die Gunst der (Online)Leserschaft buhlt, der kommt an Bildern nicht vorbei – zu groß ist ihre Wirkung. Das weiß man auch bei Wirtualna Polska und hat mit dem kürzlich vollzogenen Relaunch die Anzahl wie auch die Größe der Bilder deutlich angehoben (siehe Screenshot Vergleich). Ein solcher Bilderteppich ist freilich schwer zu konsumieren, denn hinter jeder Ecke lauert ein noch größeres, noch stärker die Aufmerksamkeit erregendes Motiv, das „Klick mich“ ruft. Das kann zuweilen unterhaltend sein, Informationssuchende werden mit Hilfe eines solchen Interfaces allerdings nicht angesprochen. So lässt sich gewissermaßen anhand des Interfaces der Anspruch des Mediums ablesen.

Clickbait

Heftig.co machte (hierzulande) vor, wie sich mit banalem redaktionellen Inhalt enorme Reichweite erzielen lässt. Etablierte Nachrichtenmarken, offenbar nun auch Wirtualna Polska, versuchen den Erfolg zu kopieren. „Clickbait“ ist das Zauberwort respektive Schimpfwort. Das Rezept ist simpel wie entlarvend: Man gebe einem Artikel eine möglichst reißerische, emotionalisierende Überschrift: „Ein Mann versucht einen verstörten Schäferhund zu retten. Als er sich näherte, stockte mir der Atem.“ „Entlarvend“ deshalb, weil schon anhand der Überschrift das Fehlen von Relevanz erkennbar ist, was freilich Millionen von Nutzern nicht davon abhält, derlei Überschriften respektive zugehörige Teaserbilder auf Heftig.co, HuffingtonPost.de oder Watson.ch anzuklicken.

Infinite Scrolling

Fast schon ein alter Hut. Während man in deutschsprachigen Nachrichtenportalen Infinite Scrolling kaum vorfindet, verfügen viele englischsprachige Websites, wie die der TIME oder der LA Times, über diese Form des Nachladens von Inhalt beim Scrollen. Schneller als mit jedem Klick lassen sich so weitere Artikel konsumieren. Vor allem beim Interagieren im sogenannten Lean-Back-Modus kommt die Funktion, die nun auch auf WP.pl implementiert wurde, vielen Nutzern entgegen. Andere wiederum empfinden das automatisierte Nachladen als zu aufdringlich und störend.

Soweit der Überblick. Auch wenn der Relaunch von WP.pl. nichts wirklich Neues zum Vorschein bringt – eine solche Neujustierung stünde auch mancher deutschsprachigen Nachrichtenmarke gut.

Verantwortlich für das Rebranding zeichnet die Agentur BNA/Brand New Attitude.

Mediengalerie

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Finde das Logo-Redesign und vor allem auch den Website-Relaunch sehr gelungen. Danke für diesen Beitrag – das wäre mir höchstwahrscheinlich sonst nie über den Weg gelaufen.

    Eine gesonderte “Mini”-Seite kann natürlich auch Vorteile bringen. Vor allem bei Seiten mit enorm vielen und regelmäßigen Aktualisierungen. Nicht bei jeder Pixelgröße auf richtige Umbrüche und Bildausschnitte achten zu müssen erhöht die Produktivität der Journalisten bestimmt beträchtlich.
    Durch die Weiterleitung von Mobil-Geräten auf die “Mini”-Seite, die ja dann doch responsive ist und sich der Breite des Gerätes anpasst, sehe ich kaum einen Nachteil.

    1. Als reines Nachrichtenportal ist WP.pl sehr wohl das größte des Landes. Onet.pl hat zwar geringfügig mehr User, ist aber auch eher vergleichbar etwa mit einem Internetportal wie Web.de.

  2. In der Tat dürfte die Bedeutung von “Wirtualna Polska” (und auch “Onet”) noch weiter wachsen. Wie in Deutschland, geht auch in Polen die Zahl derjenigen zurück, die sich allein auf Printmedienstützen, deutlich zurück. Dies trifft vor allem im Bereich Tageszeitungen die Platzhirsche “Fakt”, “Gazeta Wyborcza” und “Rzeczpospolita” (übrigens Preisträgerin eines internationalen Layoutpreises) sowie im Bereich Wochenzeitschriften “Polityka”, “Wprost” und “Newsweek Polska”. Generell leidet die polnische Presse, wie in zahlreichen anderen Ländern Europas, unter einer wachsenden Boulevardisierung und Regionalisierung. Globale Themen treten gegenüber lokalen Geschehnissen deutlich in den Hintergrund und schaut man sich die Nachrichtensendungen polnischer Fernsehsender an, erkennt man einen deutlich starken Anteil an eigentlich völlig trivialen Beiträgen fernab von Politik oder Wirtschaft.

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