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Piktogramme der Olympischen Spiele 2016 in Rio

Brasilien 2014 dürfte sich wohl für immer ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt haben. Während sich das Jahr nun so langsam dem Ende neigt, wagen wir schon einmal einen Ausblick auf das nächste sportliche Großereignis, das uns Brasilien bescheren wird. Groß sind nicht nur die sportlichen Herausforderungen, sondern mit Blick auf die Piktogramm-Serie, die eigenes für die Olympischen Sommerspiele 2016 entwickelt wurde, auch die gestalterischen.

Anders als bei bisherigen Olympischen Spielen, entschied sich das Brasilianische Olympische Komitee (BOC) die Kreation des gesamten Erscheinungsbildes der Sportgroßveranstaltung nicht an externe Agenturen abzugeben, sondern dies selbst in die Hand zu nehmen. Unter der Leitung von Beth Lula als Brand Director wurden Kreative des Landes rekrutiert, die unter dem Verbundnamen „Committee’s Brand Design and Management Team“ das Design der Spiele verantworten.

Piktogrammdesign hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer rein beschreibenden Zeichengebung hin zu einer Art Mischform aus Information und Illustration entwickelt, wobei letztgenannte nun zusehends die dominantere Rolle anzunehmen scheint. Unter Otl Aicher entstand für die Sommerspiele in München 1972 eine Serie, die seit dem als Blaupause und Prototyp für nachfolgende Sportpiktogramme angesehen werden kann. All jene Piktogramme zeichnet ihre funktionale Gestaltung aus. Jegliches Dekorative ging den Piktogramm-Männchen, die ihre Arme, Beine und Oberkörper nur innerhalb des durch 45-Grad-Winkel definierten Rasters bewegen durften, völlig ab.

Rio 2016 Piktogramme

Umso größer der Kontrast zur hier vorgestellten Serie der Olympischen Sommerspiele 2016. Ein Schema, ein einheitlicher Duktus, sieht man mal von der Farbgebung ab, ist schon zu erkennen, allerdings unterliegen Positionen und Breiten der Figuren nicht einem solch strengen Raster. Die auf diese Weise entstandenen größeren Freiheiten entspringen einem Anspruch, der grundverschieden zu einer Gestaltungsphilosophie ist, wie sie Aicher vertrat. „They are an important part of the event’s decoration“, wie Beth Lula im unten aufgeführten Video erklärt. Piktogramme sind demnach also Dekoration!? Ich würde dies mit „Nein, aber“ beantworten.

Typische Einsatzfelder von Piktogrammen sind Leitsysteme, wie wir sie im Verkehr, in öffentlichen Gebäuden wie Flughäfen, Museen und Behörden oder halt eben im Zusammenhang mit Veranstaltungen erfahren und die uns dabei helfen, Orte zu finden, Aufgaben zu erledigen oder, wie in Gebrauchsanweisungen, Dinge zu verstehen. Eine einfache Formgebung erleichtert das Verstehen, ebenso, wenn innerhalb der Formgebung Konventionen befolgt werden. Je unkonventioneller die Form, desto wahrscheinlicher ist, dass wir ein als Piktogramm angelegtes Zeichen nicht verstehen. Weil jedoch Sprache und mit ihr Zeichen einem dynamischen Prozess unterliegen, haben wir gleichzeitig gelernt, dass es für ein und dieselbe Funktion/Sache mehr als nur ein Zeichen geben kann. Dieser Formfundus hilft uns dabei, auch mit einer unkonventionelleren Zeichengebung umzugehen – dies betrifft Buchstaben, Symbole und Piktogramme gleichermaßen.

Rio 2016 Piktogramme
Rio 2016 Piktogramme

Insbesondere im Kontext Olympischer Spiele ist zu beobachten, dass bei der Visualisierung der Sportarten die rein beschreibende Komponente zugunsten einer dekorativen Aufwertung in der Hintergrund gerückt ist, was jedoch keinesfalls die Funktion von Piktogrammen generell in Frage stellt. Vielmehr unterstreicht es die Entwicklung, wie sie die Olympische Spiele in den vergangenen Jahrzehnten vollzogen haben, hinzu pompösen Show-Spielen, bei denen der Sport auch schon mal in den Hintergrund rückt, auch weil er, wie zuletzt in Sochi, von der Politik überlagert und instrumentalisiert wird. Besonders gut kommt dieser Anspruch des Dekorativen in der illustrativen „Piktogramm“-Serie der Londoner Spiele 2012 zum Ausdruck, deren Formen unter anderem auch Fahnen und sogar Bettwäsche zierten.

Wie schon im Zusammenhang mit der Vorstellung des Rio-2016-Maskottchens erwähnt, spielt die Vermarktung der Veranstaltung eine immer größere Rolle. Der damit einhergehenden „Verpflichtung zum Gefälligen“ dürfte auch der illustrative Stil der Piktogramme geschuldet sein, von denen jedes einzigartig sein möchte. Dazu trägt auch der Piktogramm-Korpus bei, der an die Form eines Kieselsteins angelehnt ist und der jeweils mit der dargestellten figürlichen Darstellung interagiert, wie es im Video heißt, und demzufolge variabel ausgerichtet wird. Auch bei den Logos der Host Cities via auch an anderen Stellen kommt dieser Kieselsteinkorpus zum Einsatz. Ausgehend von der im Logo verwendeten Wortmarke „Rio 2016“ (Abb. unten) wurde ein Linienduktus entwickelt, den alle Figuren gemein haben.

16 Monate wurde laut BOC an den insgesamt 64 Zeichen gearbeitet. Erstmals als Piktogramm in einer solchen Serie dargestellt sind übrigens die Sportarten Rugby und Golf, die bei den Olympischen Sommerspielen 2016 das erste Mal mit im Programm sein werden.

Rio 2016 Typography

Rio 2016 Host Cities

Piktogramme bisheriger Olympischer Sommerspiele

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Dieser Beitrag hat 27 Kommentare

  1. Als Couch Potato und jemand, der sich nicht mal für Fußball interessiert, sind für mich ALLE Piktogramme eindeutig entschlüsselbar. Gute Arbeit haben die Brasilianer hier gemacht!

  2. An diesen Beispielen lässt sich gut der Spagat zwischen Funktion und Emotion darstellen.
    Wenn man etwas gestaltet, muss es (z. B. nach dem Ulmer-Modell) zunächst einmal funktionieren und dabei möglichst auch “schön” aussehen – ganz nach Max Bills Erörterung “Schönheit aus Funktion und Schönheit als Funktion”. Die wichtigste Rolle erhält hier aber die Funktion.
    Möchte man, dass es hauptsächlich “schön” aussieht (z. B. nach dem amerikanischen 50er-Jahre-Styling-Modell), steht die vom Objekt ausgehende Emotion VOR der darin verankerten Funktion.
    Da oberflächliche Schönheit schneller wahrgenommen wird als die tatsächliche Funktion (kennt jeder von Bewerbungsgesprächen: Der erste Eindruck ist sehr relevant), werden sich diese Piktogramme gut und dynamisch-abwechslungsreich in das Gesamtbild integrieren. Sie haben organische Formen, tanzen umher (unterschiedliche Drehungen/Ausrichtungen) und vermitteln den Spaß der brasilianischen Kultur; passen also perfekt zu den Schlagwörtern “Regenwald”, “Capoeira” oder “Karneval”. Deshalb wirken sie emotional sehr attraktiv und passen zur medial-pompösen Show.
    ABER, wie es auch im Artikel beschrieben wurde, leiden die Formen an ihrem dekorativen Zweck, wenn es auf die funktionalen Eigenschaften ankommt. Sie benötigen etwas mehr Zeit, um vom Rezipienten entschlüsselt zu werden. Je nach Inhalt, bieten sie sogar Verwechslungsgefahr (man betrachte die vier unterschiedlichen Radfahr-Piktogramme).
    Je nach räumlichen Kontext ist das vielleicht gar nicht so schlimm. Vielleicht bietet der Präsentationsraum eigene Möglichkeiten zur schnellen Differenzierung. Vielleicht werden sie durch Zeichen unterstützt, die eine Verwechslung völlig ausschließen. Insofern kann ja auch die äußere Form eines Plektrums, welches mal so, mal so ausgerichtet ist, hilfreich werden, da der Rezipient die Form schon alleine durch die Ausrichtung schneller wiederfindet.
    Für eine einmalige Sache vielleicht also gut möglich. Nach der Show wird man dafür jedoch keine Verwendung mehr finden können (wie es etwa heute mit den Aicher-Piktogrammen der Fall ist).

  3. Die Piktogramme sind wirklich stimmig, wobei meine Assoziation die Form betreffend eher Plektrum als Kieselstein war. Dennoch muss ich meinen Vorrednern zustimmen, dass beispielsweise die Pferdesportarten nicht für “Laien” klar ersichtlich sind – und auch sonst braucht man zwei Blicke. Das ist etwas schade, die ihre vorrangige Aufgabe natürlich ist, die Information schnell ersichtlich zu übermitteln.
    Vielleicht interessiert es den ein oder anderen:
    1. Dressurreiten
    2. Vielseitigkeitsreiten (Pferd im Sprung, darunter die kleine angedeutete Welle, die das Terrain beschreibt)
    3. Springreiten

    1. Ich glaube eher, die angedeutete Welle ist das Vorderbein, nicht das Terrain.

      Ist das vorletzte Beachvolleyball? Hoffentlich ist der Sand nicht wirklich so hügelig.

      Mir gefallen die Logos auch, besonders, weil sie sehr schön Dynamik ausstrahlen und die Sportler sehr agil und wie “voll bei der Sache” wirken lassen.
      Nur der Plektron-Korpus stört mich. Ich dachte eigentlich, der Trend der organischeren Formen wäre vorbei. Außerdem engen sie die Sportler ein – der Gewichtheber dozt ja schon gegen die “Decke”. Generell passt das nicht zu den dynamischen Bewegungen der Sportler, denn so bewegt man sich nur, wenn man viel Freiraum um sich hat. Der Korpus assoziert genau das Gegenteil. Ich hätte ihn daher ganz weggelassen oder mindestens nicht so nah an die Sportler herangelassen.

      Bei Turmspringen finde ich, hat die Abstrahierung ihren Zenit erreicht. Nur im Zusammenhang kann man darauf einen Menschen in dieser ungewöhnlichen Körperhaltung erkennen. Für sich betrachtet hat es etwas von einem arabischen Buchstaben.

      Die Tatsache, dass die Piktogramme gestalterisch über ihre bloße Funktion hinausgehen und auch dekorativ und gestalterisch verspielt sein sollen, finde ich bei den olympischen Spielen aber genau richtig. Schließlich geht es ja um Sport, was generell Lebensfreude assozieren will, sowie um Unterhaltung (und Politik und Wirtschaft, aber das soll man ja nicht sehen). Es geht hier nicht um neutrale Wegweiser für die Bahnhofstoilette oder die Gepäckausgabe.
      Die Piktogramme aus München haben dagegen schon etwas von dem Ampelmännchen, dass jetzt Sport macht.

  4. Triathlon disqualifiziert sich ja aus meiner Sicht schon deshalb als olympische Sportart, weil es nahezu unmöglich ist, ein ansprechendes Piktogramm für diesen “Sport” zu entwickeln.

    Es ist nun einmal Quatsch, drei Disziplinen willkürlich hintereinanderzuhängen – es sei denn, man ist Sportartikelhersteller, oder man ist mäßig sportlicher Mann in der Midlife-Crisis, findet Laufen anstrengend und möchte lieber weite Teile des Trainings auf einem schicken Carbon-Rennrad absolvieren. Möchtergern, AIDA-Passagiere, aus dem Thermomix-Esser.

    Analog gilt das natürlich auch für den modernen Fünfkampf, der ist aber wiederum so abstrus, dass er gar keine Polemik wert ist.

    1. Das Aneinanderreihen von Disziplinen bietet die Herausforderung, nicht nur einen Bewegungsablauf gut zu beherrschen, sondern schnell vom einen in den nächsten überzugehen. So ist zum Beispiel beim Biathlon die Herausforderung die, dass man aus dem Skilauf heraus mit pochendem Herzschlag und hohem Blutdruck eine ruhige Hand, flache Atmung und Konzentration für das Schießen haben muss. Mit anderen Disziplinen ist das ähnlich. Der Übergang vom Fahrrad in den Langlauf ist bei fortgeschrittener Erschöpfung nicht leicht.
      Der moderen Fünfkampf hat mein ich einen militärischen Ursprung und erklärt somit die Verbindung von völlig verschiedenen Sportarten, die aber auch unterschiedliche Ansprüche haben, mal geht’s um Feinkoordination, mal um Ausdauer.
      Eigentlich ist ein Sieg in solchen Disziplinen viel aussagekräftiger als andere. Der 100m-Sprinter-Sieger kann zwar 100m sprinten, aber was kann er sonst noch gut?

  5. Ist schon blöd, dass Otl Aicher die Aufgabe für München schon perfekt gelöst hat. Nach einem Konzept, das so durchdacht und verdichtet ist, wirkt alles danach wie überflüssige Fußnoten. London 2012 fand ich visuell interessant, weil es den Zeitgeist wiederspiegelt (also der Ebene “Dekoration” etwas hinzugefügt hat), aber Rio finde ich mau: die Formen sehen aus wie bei Peking, und der amorphe Nierentischhintergrund – keine Ahnung.

    Am Bildschirm sehen die fließenden Formen gefällig aus, aber das kann für Piktogramme nicht der Maßstab sein. Können das nachher in allen Einsatzgebieten (Wegeleitsystem, Beschilderung der Sportstätten, kleine Größen) alle Zielgruppen gut erkennen und auseinanderhalten (z.B. Sehbehinderte) – ich wage es zu bezweifeln.

    Und überhaupt: so fröhliche, dynamische Piktogramme, Schriften und Logos für ein Event zu kreieren, dass inzwischen größtenteils kommerzielle Ziele verfolgt, massiv geschützt werden muss (Polizei, Militär, Überwachungstechnik), und den jeweiligen Ländern am Ende vor allem Schulden hinterlässt ist schon ein wenig widersprüchlich. Aber dafür kann natürlich das Kreativteam nichts.

  6. Natürlich kann man durch das vorliegende Material ein Urteil über die formellen Gestaltungsaspekte fällen. Spricht man jedoch über die Wirkung der Piktogramme, sollte man sich im klaren sein, dass sie so wie hier dargestellt eher nicht auftreten werden, sondern in einem ganz andern Umfeld. Wie schon angesprochen, ist es wichtig Piktogramme (oder jegliche andere Gestaltung) im Anwendungskontext zu sehen. Daher hätte ich mir (vom Brand Design Team) mehr Anwendungsbeispiele gewünscht.

  7. Überraschenderweise sind in der offiziellen Rio-2016-App alle Piktogramme ohne Korpus dargestellt. Die „Lesbarkeit“ der jeweiligen Sportart wird dadurch spürbar verbessert, weil das Auge sich nicht mit der unterschiedlichen, eher zufälligen Form des Kieselsteinskorpus’ beschäftigen muss.

    Rio 2016 App – Piktogramme

  8. Achim, ich denke, dass eine Aussenkontur auch ein Piktogramm bündeln, meint: vom Hintergrund, der Umgebung abgrenzen kann.

    Insgesamt beruhigt eine Aussenkontur auch noch das Zusammenspiel mit den umgebenden Elementen. Nicht umsonst haben manche (komplexere) Icons/Logos einen umfassenden Kreis oder Rahmen.

    Zudem lässt die kontrastierende Aussenkontur das Einbinden von Umgebungsdetails zu (Tartan-Bahn, Wasserwellen, …).

  9. Vielleicht gibts die ja irgendwann man als Plektrum-Sammelkollektion. Ansonsten erschließt sich mir die Flächenform nicht so recht :)

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